Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zu Minijobs, 10.12.2012
In aller Kürze
- Minijobs sind nach der Teilzeitbeschäftigung die am weitesten verbreitete „atypische“ Beschäftigungsform in Deutschland. Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit zählt derzeit über 7,4 Mio. Minijobs, davon 2,5 Mio. im Nebenjob.
- Die Daten des IAB-Betriebspanels zeigen, dass der Anteil geringfügiger Beschäftigung in den Betrieben zwischen 2006 und 2011 nahezu konstant geblieben ist.
- Minijobs sind besonders häufig in kleineren Betrieben, in den Dienstleistungsbranchen, und dort vor allem im Einzelhandel und in der Gastronomie zu finden.
- Hinweise auf Verdrängung von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung durch Minijobs gibt es insbesondere in kleinen Betrieben. In größeren Betrieben scheinen sich die beiden Beschäftigungsformen eher zu ergänzen.
- Die empirische Analyse zeigt vor allem, dass die Verbreitung und die Beschäftigungseffekte der Minijobs je nach Branche und Betriebsgröße sehr heterogen sind. Deshalb muss das Phänomen „Minijob“ entsprechend differenziert betrachtet und bewertet werden.
Geringfügige Beschäftigung in deutschen Betrieben
Im Januar 2013 wird die steuerfreie Einkommensgrenze für geringfügig Beschäftigte um 50 Euro auf 450 Euro erhöht. Das hat die Diskussion über die sozial- und arbeitsmarktpolitische Bedeutung von Minijobs neu entfacht: Befürworter betrachten sie als wirksames Instrument für betriebliche Flexibilität und gegen Schwarzarbeit, Kritiker sehen die Minijobs als eine wesentliche Ursache für die steigende Niedriglohnbeschäftigung und Altersarmut. Auf betrieblicher Ebene wird untersucht, wie sich die geringfügige Beschäftigung entwickelt hat und inwieweit Minijobs andere Beschäftigungsverhältnisse verdrängen.
Die sozial- und arbeitsmarkt- politische Diskussion
Der Minijob – so die geläufige Bezeichnung für geringfügige Beschäftigung – zählt in Deutschland neben Teilzeitarbeit, befristeten Arbeitsverhältnissen und Leiharbeit zu den sogenannten atypischen Beschäftigungsverhältnissen. Seit der Reform der Minijobs im Jahr 2003 konnten im Rahmen einer geringfügigen Tätigkeit bislang bis zu 400 Euro verdient werden, ohne dass Steuern und Sozialabgaben für den Arbeitnehmer anfielen. Dabei ist die Arbeitszeit nicht begrenzt und es ist unerheblich, ob der Minijob haupt oder nebenberuflich ausgeübt wird. Demgegenüber hatte der Arbeitgeber Pauschalbeiträge in Höhe von rund 30 Prozent zu entrichten, unter anderem in die gesetzliche Kranken und Rentenversicherung. Nach der Gesetzesänderung im Herbst 2012 wird die Verdienst grenze ab Januar 2013 auf 450 Euro angehoben.
In der Diskussion um den Stellenwert und die Bedeutung der Minijobs am Arbeitsmarkt reichen die strittigen Positionen von der Forderung nach einer faktischen Streichung der Sonderregelungen und einer Steuer und Sozialversicherungspflicht ab dem ersten Euro bis hin zur Beibehaltung bzw. Neuregelung, wie es von der gegenwärtigen Regierungskoalition umgesetzt wurde. Einige zentrale Argumente dieser Diskussion werden im Weiteren vorgestellt.
Der Einsatz von Minijobs aus betrieblicher Perspektive
Aus betrieblicher Sicht dienen atypische Verträge vor allem dazu, die tatsächlichen oder antizipierten Personalkosten zu senken und die Flexibilität zu erhöhen. Die Bruttostundenkosten für geringfügige Arbeit fallen nämlich de facto geringer aus als bei versicherungspflichtig Beschäftigten (Bäcker 2007; Weinkopf et al. 2009): Die prozentual höheren Sozialabgaben, die der Arbeitgeber bei Minijobs entrichten muss, werden dadurch wettgemacht, dass die Stundenlöhne der Minijobber oft niedriger sind als die von vergleichbaren sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (Rudolph 2005; Weinkopf et al. 2009). Unbeobachtete Produktivitätsunterschiede der Beschäftigten werden bei diesen Vergleichen allerdings nicht berücksichtigt.
Mit Minijobs können Betriebe flexibel auf Kundenwünsche und ströme reagieren. Wenn z. B. längere Öffnungszeiten im Einzelhandel oder ein hohes Gästeaufkommen in der Gastronomie zu bewältigen sind, lässt sich dies mithilfe vieler kleiner Beschäftigungsverhältnisse passgenauer bewältigen. Zudem sind Minijobs für Arbeitgeber interessant, wenn wenig Arbeit anfällt. Auch der geringe administrative Aufwand des Melde und Beitragsverfahrens wird von den Unternehmen geschätzt. Dieser Vorteil mag vor allem für kleine Betriebe ohne professionelle Personalabteilungen entscheidend sein.
Geringfügige Beschäftigung wird außerdem häufig in Privathaushalten eingesetzt, da dem „Arbeitgeber“ dort nur geringe Abgaben entstehen und die Aufwendungen steuerlich absetzbar sind.
Zudem gibt es Hinweise, dass auf betrieblicher Seite Kosten gespart werden, indem Minijobber bei tarif und arbeitsvertraglichen Standards nicht immer zum Zuge kommen. Darunter fallen betriebliche Sonderzahlungen und Zuschläge, die betriebliche Altersversorgung und Sozialleistungen, die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, der gesetzliche oder tarifvertragliche Erholungsurlaub, die gesetzliche Feiertagsvergütung, der Kündigungsschutz, das Diskriminierungsverbot von Teilzeitbeschäftigten oder die Elternzeit. „Die Beschäftigten wissen häufig nicht, welche Ansprüche sie haben, oder sie trauen sich nicht, diese einzufordern.“ (Weinkopf et al. 2009).
Jenseits der betrieblichen Ebene wird außerdem angeführt, dass die gegenwärtige Ausgestaltung der Minijobs einen erheblichen Beitrag zur Reduzierung von Schwarzarbeit leisten würde. Auf der anderen Seite wird jedoch auch darauf hingewiesen, dass Minijobs zur Verschleierung von Schwarzarbeit genutzt werden können, indem nur ein kleiner Teil der Tätigkeit legal ausgeführt wird und sich die Beteiligten so den Kontrollen faktisch entziehen (BMWI 2009).
Risiken und Vorteile aus individueller Sicht
Das Zustandekommen von Minijobs ist aber keines falls nur das Resultat personalpolitischer Strategien der Arbeitgeber. Vielmehr werden Minijobs von äußerst unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen nachgefragt: Neben der größten Gruppe der Hausfrauen (und Hausmänner) nutzen Schüler, Studierende und Rentner, aber auch Erwerbstätige und Arbeitslose diese Beschäftigungsform als Hinzuverdienstmöglichkeit. Knapp die Hälfte der ausschließlich geringfügig Beschäftigten ist angewiesen auf den Minijob, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Der anderen Hälfte dient der Minijob dazu, sich Extrawünsche zu erfüllen. Nur für etwa 4 Prozent der Minijobber ist das verdiente Geld eher unwichtig (Meinken et al. 2012).
Die Attraktivität der Minijobs besteht vor allem darin, dass die Beschäftigten Stundenlöhne „brutto für netto“ erhalten, weil keinerlei Steuern und Sozialabgaben bezahlt werden müssen. Die Ausgestaltung der Minijobs trifft auf ein Steuerrecht, das insbesondere für nicht erwerbstätige Ehepartner An reize schafft, einen Minijob anstelle einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung anzunehmen. Zudem ist der Zugang zu Minijobs gerade im Segment einfacher Tätigkeiten relativ leicht. Sie eignen sich besonders als Zweitjob oder als unkomplizierte Zuverdienstmöglichkeit.
Doch Minijobs haben auch ihren Preis. So sind die mittleren Bruttostundenlöhne von Minijobbern im direkten Vergleich zu allen atypischen Beschäftigungsformen die niedrigsten. Selbst ein Vergleich der mittleren Nettolöhne zeigt, dass nur Leiharbeiter nach Abzug der Steuern und Abgaben weniger verdienen als geringfügig Beschäftigte (Statistisches Bundesamt 2012).
Obwohl für Minijobber derselbe Kündigungsschutz gilt wie für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, sind ihre Arbeitsverhältnisse wesentlich instabiler (Kalina/VossDahm 2005). Die geringere Stabilität könnte allerdings auch auf Bedürfnisse der Arbeitnehmer zurückgehen.
Weiter ist zu berücksichtigen, dass ein Teil der Minijobber nur geringe Ansprüche an die Rentenversicherung erwirbt. Obwohl die Möglichkeit besteht, den Rentenversicherungsbeitrag aufzustocken und vollwertige Pflichtbeitragszeiten zu erwerben, tun dies nur etwa 5 Prozent der Minijobber im gewerblichen Bereich (Minijobzentrale 2012). Dies hat zur Folge, dass das Risiko von Altersarmut steigt. Das gilt vor allem für Frauen, da Minijobs als Hauptbeschäftigung überwiegend von ihnen ausgeübt wer den (Klenner/Schmidt 2012). Inwiefern die jüngste Gesetzesänderung hier eine Änderung nach sich zieht, bleibt abzuwarten.
Gerade in diesem Zusammenhang ist die Frage nach der Funktion von geringfügiger Beschäftigung in der Erwerbsbiografie von Bedeutung: Wenn Arbeitnehmer diese Erwerbsform anstelle von sozialversicherungsplichtiger Beschäftigung ausüben, sinken nicht nur die Einnahmen der Versicherungssysteme, sondern auch die soziale Absicherung der Minijobber ist gefährdet. Solange geringfügige Beschäftigung eher den Charakter eines Hinzuverdienstes hat oder nur von temporärer Bedeutung ist – z. B. beim Wiedereinstieg nach einer Phase der Arbeitslosigkeit – ist diese Problematik von untergeordneter Bedeutung. Doch auch hier gibt es unterschiedliche Ergebnisse: Einige Autoren zeigen, dass Minijobs z. B. die Beschäftigungsstabilität nach Beendigung von Arbeitslosigkeit erhöhen, Dequalifizierungsprozesse während Phasen der Arbeitslosigkeit verlang samen (Caliendo et al. 2012) und so möglicherweise Übergänge in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erleichtern. Andere Studien konnten jedoch kaum positive Effekte hinsichtlich der Brückenfunktion nachweisen (Fertig 2005; Steiner 2008).
Befürworter wie Gegner von Minijobs finden also durchaus Argumente für ihre Position. Dabei wird immer wieder auch auf mögliche Verdrängungseffekte aufmerksam gemacht: Sind über 7 Mio. geringfügige Beschäftigungsverhältnisse tatsächlich zusätzlich oder lassen sich diese mit verdrängter Schwarzarbeit begründen? Oder verdrängen Minijobs aufgrund ihres Flexibilitätspotenzials und der geringeren Stundenlöhne vielmehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung? Anhand der Daten des IABBetriebspanels diesen Fragen im Folgenden nachgegangen und ins besondere die innerbetriebliche Entwicklung der Beschäftigung untersucht.
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Fazit
Sind Minijobs tatsächlich zusätzliche Stellen, die im Zuge eines Beschäftigungsaufbaus entstehen? Oder ist es vielmehr so, dass sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse in geringfügige umgewandelt werden, weil die Betriebe aus Kosten und Organisationsgründen lediglich Minijobs anbieten bzw. weil Arbeitnehmer Minijobs bevorzugen? Anhand der Daten des IABBetriebspanels können wir zu einigen der strittigen Fragen neue Ergebnisse bei steuern.
Minijobs finden sich besonders häufig in kleineren Betrieben. Unter sektoralen Gesichtspunkten zeigt sich eine deutliche Konzentration im Bereich der Dienstleistungen – insbesondere im Gastgewerbe sowie im Einzelhandel. Dort gibt es auch Indizien für eine substitutive Beziehung zwischen Minijobs und regulärer Beschäftigung.
Weitere Analysen haben aber auch klar gemacht, dass nicht zuletzt die Betriebsgröße von entscheidender Bedeutung ist: Gerade in Kleinstbetrieben ergeben sich über fast alle Branchen hinweg deutliche Hinweise auf Verdrängung. Allerdings ist hier zu bedenken, dass diese Betriebe nicht in jedem Fall zusätzliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse hätten schaffen können – sei es, weil die Arbeitnehmer Minijobs bevorzugen oder weil das Arbeitsvolumen zu gering ist.
Bei den Großbetrieben mit 100 und mehr Beschäftigten zeigt sich ein gegenläufiges Bild: Dort geht die Zunahme von Minijobs mit einem Wachstum an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung einher. Hinsichtlich einer umfassenden Beurteilung möglicher Beschäftigungseffekte der Minijobs ist zu berücksichtigen, dass die hier verwendete Datengrundlage nur Betriebe mit mindestens einem sozial versicherungspflichtig Beschäftigten umfasst. Daher sind keine Aussagen über solche Betriebe möglich, in denen neben dem Inhaber nur geringfügig Beschäftigte tätig sind. Beispiele hierfür sind etwa kleinere Gastronomie und Dienstleistungsunternehmen. Minijobs werden nicht nur von äußerst unter schiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen aus unterschiedlichen Motiven nachgefragt, auch die Verbreitung und die Beschäftigungswirkungen sind je nach Branche und Betriebsgröße durchaus hetero gen. Damit unterstreicht die empirische Analyse vor allem, dass nur eine differenzierte Betrachtung und Bewertung dem Phänomen Minijob gerecht wird.
Die vollständige Studie finden Sie hier.