Dokumente zum Zeitgeschehen

»Wahlergebnisse in Deutschland sind sozial nicht mehr repräsentativ«

Untersuchung der Bertelsmann Stiftung zur sozialen Verteilung der Wahlbeteiligung, 4.9.2015

Erstmalig durchgeführte Schätzungen zur Wahlbeteiligung der sozialen Milieus bei der Bundestagswahl 2013 zeigen: Die Wahlbeteiligung der sozialen Oberschicht liegt um bis zu 40 Prozentpunkte über der Wahlbeteiligung der sozial schwächeren Milieus. Die sozial benachteiligten Milieus sind im Wahlergebnis um bis zu ein Drittel unterrepräsentiert. Ihr Anteil an den Nichtwählern ist fast doppelt so hoch wie ihr Anteil an allen Wahlberechtigten. Gleichzeitig sind die sozial stärkeren Milieus deutlich überrepräsentiert. (Wahl-) Umfragen unterschätzen die soziale Spaltung der Wahlbeteiligung systematisch.

Aus neueren Wahlstudien ist bekannt: Je höher die Arbeitslosigkeit, geringer die Haushaltseinkommen und schlechter die Wohnlagen in einem Stadtviertel, Stimmbezirk oder Wahlkreis, umso geringer die Wahlbeteiligung. Der Gesamtbefund dieser Studien ist eindeutig: Je prekärer die soziale Lage eines Wohnumfeldes, umso höher ist der Anteil der Nichtwähler. Das lässt aber noch keine eindeutigen Schlüsse auf das individuelle Profil der Nichtwähler zu: Wenn in einem Stadtviertel mit hoher Arbeitslosigkeit die Wahlbeteiligung niedrig ist, heißt das noch nicht, dass Arbeitslose nicht mehr wählen. Entsprechend hartnäckig halten sich Zerrbilder und Mythen über den typischen Nichtwähler in Deutschland. Vor allem die „bräsig Zufriedenen“ und die „politisch besonders Kritischen“ seien typisch für die wachsende Zahl der Nichtwähler, heißt es. Im Grunde also kein Problem für die Politik? Eher sogar im Gegenteil: die Nichtwahl als Indikator einer gut funktionierenden und reifen Demokratie? Wer so argumentiert, muss sich über die soziale Spaltung der Demokratie ebenso wenig Gedanken machen wie über daraus resultierende Verzerrungen politischer Repräsentation und den Verlust politischer Gleichheit. Dies ist eine ebenso bequeme wie politisch fahrlässige Fehleinschätzung, wie neue Schätzungen zur Wahlbeteiligung der sozialen Milieus bei der Bundestagswahl 2013 belegen. Aus der Wahlbeteiligung der 640 repräsentativen Stimmbezirke der ARD-Wahlumfrage und den Anteilen der dort lebenden gesellschaftlichen Milieus hat infratest dimap im Auftrag der Bertelsmann Stiftung erstmals die Wahlbeteiligung der einzelnen Milieus geschätzt. [...]

Die hier vorgestellten Schätzungen zur Wahlbeteiligung der sozialen Milieus bestätigen die These einer sozial tief gespaltenen Wahlbeteiligung in Deutschland. Die daraus resultierenden Wahlergebnisse sind sozial nicht mehr repräsentativ. Die sozial stärkeren Milieus sind im Wahlergebnis deutlich überrepräsentiert und die sozial schwächeren Milieus deutlich unterrepräsentiert. Eine sozial selektive Wahlbeteiligung führt zwar nicht zwangsläufig zu einer sozial selektiven Politik und Interessenvertretung. Der gewählte Bundestag vertritt die Interessen aller Menschen in Deutschland und ist dem Gemeinwohl verpflichtet. Aber gleichzeitig vertreten Politiker die Interessen ihrer Wähler. Eine zunehmend selektive Wahlbeteiligung kann deshalb für die repräsentative Demokratie zu einem Teufelskreis sinkender Wahlbeteiligung, selektiver Repräsentation und dadurch weiter erodierender Akzeptanz und Partizipationsbereitschaft werden.

Die vollständigen Ergenisse der Untersuchung finden Sie hier.