Dokumente zum Zeitgeschehen

»Weniger Bevölkerung und mehr Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland«

Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2012, 26.9.2012

Gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Teilen Deutschlands

Die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganz Deutschland ist politisches Handlungsziel und Grundanliegen für die Arbeit der Bundesregierung. Die demografischen Veränderungen und die sich verengenden finanziellen Spielräume sind wichtige Elemente des Rahmens, in dem sich Politik, Verwaltung und Wirtschaft in den nächsten Jahren bewegen. 

Seit der Wiedervereinigung Deutschlands ist der Prozess des Zusammenwachsens zwischen Ost und West weit vorangeschritten. Zugleich bleibt noch ein Stück Weg zu gehen, um die wirtschaftlichen Unterschiede in Deutschland entlang der ehemaligen Trennungslinie zu überbrücken. Neben den in diesem Bericht schwerpunktmäßig betrachteten Herausforderungen der wirtschaftlichen Angleichung und des Arbeitsmarktes vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, ist die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und die Aufarbeitung des SED-Unrechts weiterhin eine wichtige Aufgabe.

Ein intakter  gesellschaftlicher Zusammenhalt und umfassende Möglichkeiten zur demokratischen Mitgestaltung bilden die Grundlage für die Bewältigung gesellschaftlicher Veränderungsprozesse. Zur Förderung dieses Ansatzes wurde durch den Beauftragten der Bundesregierung für die Neuen Bundesländer das Programm "Zusammenhalt durch Teilhabe" initiiert. Ziel ist es, im Bewusstsein unserer Gleichwertigkeit und mit Respekt vor den Unterschiedlichkeiten, die uns prägen, den Zusammenhalt unserer Gesellschaft miteinander zu sichern. Das Programm fördert Projekte für demokratische Teilhabe und gegen Extremismus in Ostdeutschland. Es stärkt vor Ort diejenigen, die sich im Alltag, in ihrem ehrenamtlichen Engagement gleichzeitig auch um die demokratische Praxis sorgen.

Um die bisherigen Erfolge in den Regionen dauerhaft wirksam zu verankern, wird das Programm über 2013 hinaus fortgeführt. Ziel ist es, eine Gemeinwesenkultur mit ausgeprägter demokratischer Partizipation zu stärken, in der extremistische und verfassungsfeindliche Strömungen keinen Platz finden. Hierzu werden auch künftig Akteure aus Verbänden, Vereinen, Bürgerinitiativen und Kommunen in ihrer Arbeit unterstützt.

Einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung des SED-Unrechts leistet der Fonds „Heimerziehung in der DDR in den Jahren 1949 bis 1990“. Der vom Bund und den ostdeutschen Ländern im März 2012 vorgelegte Bericht „Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR“ dokumentiert, dass vielen Kindern und Jugendlichen in Heimen der DDRJugendhilfe schweres Leid und Unrecht zugefügt worden ist, an dessen Folgeschäden sie heute noch leiden. Seit 1. Juli 2012 besteht der von Bund und den ostdeutschen Ländern gemeinsam getragene Fonds mit einem Volumen von insgesamt 40 Mio. Euro. Daraus sollen Betroffene Hilfen und  Unterstützungsleistungen bei heute noch bestehenden Folgeschäden oder bei Minderung von Rentenansprüchen erhalten. Die konkreten Hilfsangebote, das Verfahren zur Vereinbarung von Leistungen und die Kontaktdaten der regionalen Anlauf- und Beratungsstellen, an die Betroffene sich wenden können, stehen auf der Website www.fonds-heimerziehung.de zur Verfügung.

Der in den vergangenen zwei Jahrzehnten im Fokus  stehende Aufbau der Infrastruktur ist weit voran geschritten. Die Infrastrukturprojekte der Deutschen Einheit sind überwiegend fertig gestellt und in Betrieb. Seit 1991 wurden in den ostdeutschen Ländern insgesamt rd. 82 Mrd. € in die Schienenwege des Bundes, in die Bundesfern- und -wasserstraßen sowie im Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) in kommunale Straßen, S-, U- und Stadtbahnen investiert. Damit betrug der Anteil der ostdeutschen Länder bei einem Bevölkerungsanteil von etwa 20 Prozent und einem Flächenanteil von rund 34 Prozent knapp 36 Prozent der Gesamtinvestitionen. Dieses Verhältnis bringt die Anstrengungen des Bundes zur Beseitigung des 1990 im Osten  vorhandenen Defizits an leistungsfähiger Verkehrsinfrastruktur zum Ausdruck.

Die Wirtschaftsstruktur Ostdeutschlands hat sich in den vergangenen zwei Dekaden grundlegend verändert. Es ist eine international wettbewerbsfähige, mittelständisch strukturierte Wirtschaft entstanden. Die neuen Länder sind allerdings auch heute noch, im 22. Jahr nach der Wiedervereinigung, durch viele gemeinsame strukturelle Merkmale und Herausforderungen gekennzeichnet, die ein noch fortbestehendes Defizit im Hinblick auf die Angleichung an die westdeutschen Bundesländer dokumentieren. Zugleich beginnen sich unterschiedliche räumliche Wirtschafts- und Branchenschwerpunkte sowie demografisch bedingte Differenzierungen herauszubilden. Das Bild eines einheitlichen Raumes zwischen Ostsee und Erzgebirge ist daher immer weniger zielführend; auch die alten Bundesländer bilden keinen homogenen Raum.

Das in den neuen Ländern in den vergangenen zwei Jahrzehnten in wirtschaftlicher Hinsicht Erreichte ist beeindruckend. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die westdeutschen Länder natürlich nicht auf dem Niveau von 1990 stehen blieben, sondern ihrerseits eine erfolgreiche Wachstumsphase – teilweise gerade bedingt durch den 5 Einigungsprozess – absolvierten. Diese Entwicklung muss von den aufholenden ostdeutschen Ländern mit bewältigt werden. Die gelungene Transformation einer Zentralverwaltungswirtschaft in eine soziale Marktwirtschaft und die Integration der ostdeutschen Länder in das föderale Staats- und Rechtssystem bleibt eine große Leistung der Deutschen Einheit.

Deutlich werden diese Entwicklungen beim Vergleich der Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse zwischen Ost- und Westdeutschland. Volkswirtschaftliche Kennziffern wie das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, die Arbeitslosenquote oder die Höhe des erreichten Kapitalstocks bieten nach wie vor wichtige Maßstäbe der Orientierung. Sie zeigen, dass die Angleichung der neuen Bundesländer an das hohe Wirtschafts- und Wohlfahrtsniveau der alten Bundesländer weiter vorangekommen ist, aber dennoch der Abstand zwischen Ost und West bis heute beachtlich geblieben ist. Allerdings sind Durchschnittsbetrachtungen zwischen Ost und West immer weniger hinreichend, den Besonderheiten der Entwicklungsprozesse in Ostdeutschland gerecht zu werden. Dies gilt besonders dann, wenn konkret nach Stärken und Schwächen der bisherigen Entwicklungen nachgefragt wird. Daher ist es sinnvoll, den Blick zu erweitern und neben den etablierten ökonomischen Durchschnittsvergleichen noch stärker als bisher die Beobachtungen zu differenzieren, um einen präziseren Vergleich der Lebensverhältnisse zu ermöglichen.

Dabei sollen strukturelle Zusammenhänge beleuchtet werden, die die wirtschaftlichen Konvergenzprozesse maßgeblich beeinflussen. Dazu zählt beispielsweise, ob der erhebliche Mangel an größeren Unternehmenseinheiten und –zentralen als Folge des Transformationsprozesses nach der Wiedervereinigung bis heute Wachstum, Innovation oder das Erschließen von Auslandsmärkten negativ beeinflusst. Ein weiterer wichtiger Vergleichsmaßstab ist die Betrachtung der regionalen Entwicklung: Mit ihrer Hilfe können präzisere und differenziertere Aussagen über die Wirtschaft, die Lebensqualität und Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger vor Ort getroffen werden.

Der Bericht befasst sich daher mit Fragen nach der Konvergenz in den Bereichen Wirtschaft und Arbeitsmarkt auch mit Blick auf die regionalen Unterschiede.

Für eine umfassende Betrachtung des bisherigen Entwicklungsweges der neuen Länder muss die demografische Entwicklung einbezogen werden. Sie wirkt in vielfältiger Weise auf nahezu alle Lebensbereiche, so z.B. auf die Arbeitsmärkte und die Entwicklung der ländlichen Räume und schafft Herausforderungen im Bildungs- oder Sozialbereich. Dabei hat der Bevölkerungsrückgang in Ostdeutschland vordergründig auch positive Aspekte. Auf den Ausbildungs- und Arbeitsmärkten hat er - im Zusam6 menspiel mit einer guten wirtschaftlichen Entwicklung - in den letzten Jahren für spürbare Entspannung gesorgt. Die Arbeitslosenquote in Ostdeutschland ist auch deshalb stark gesunken. Andererseits werden viele Regionen durch deutlichen Bevölkerungsrückgang vor schwierige Herausforderungen hinsichtlich der Aufrechterhaltung eines ausreichenden Angebots an öffentlichen Leistungen und einer ausreichenden Fachkräfteversorgung gestellt.

Entscheidend ist, den demografischen Wandel grundsätzlich als Chance für die Modernisierung unserer Gesellschaft zu begreifen und nutzbar zu machen. Der Übergang zu einer kleiner und älter werdenden Gesellschaft erfordert ein Umdenken in Strukturen und Organisationsformen und ein neues Verständnis des Miteinander und der Verantwortung für die Gesellschaft und jeden Einzelnen.

Bei der Sicherung der Daseinsvorsorge geht es um mehr als nur um die Versorgung der Bevölkerung mit existenzsichernden Leistungen vor Ort. Es geht auch darum, die Voraussetzung für ein attraktives und familienfreundliches Umfeld, soziale Netzwerke und gesellschaftliche Teilhabe. Lebensqualität und sozialer Zusammenhalt sind der „Kitt“ für das gesellschaftliche Leben und die Zukunftsfähigkeit der ländlichen und strukturschwachen Regionen. Daneben ist es auch für Unternehmen und Investoren existentiell, dass sie in den Regionen eine leistungsfähige und unternehmensrelevante Infrastruktur vorfinden. Daher tragen Bund, Länder und Kommunen eine besondere Verantwortung für die Daseinsvorsorge.

Nach wie vor besteht die Notwendigkeit, dass die Bundesregierung im Politikprozess für die neuen Länder Impulse setzt, sie begleitet, berät und daran mitwirkt. Die Politik für die neuen Länder ist eine gesamtdeutsche Aufgabe. Dabei steht eine verlässliche Fortsetzung und Optimierung der Förderpolitik für die neuen Länder im Mittelpunkt.

Den vollständigen Bericht finden Sie hier.