Stellungnahme der Gesellschaft für Virologie, 19.10.2020
In den vergangenen Wochen sahen wir weltweit, insbesondere auch bei unseren europäischen Nachbarn, wie die Anzahl an SARS-CoV-2-Infizierten mit näherungsweise exponentieller Dynamik anstieg und weiterhin ansteigt. Während Deutschland bis vor kurzem eine moderate Inzidenz verzeichnete, ist auch hier mittlerweile der erneute Beginn einer exponentiellen Ausbreitung zu beobachten. In Österreich(133) und in der Schweiz(230) ist die 14-Tage Inzidenz im Vergleich zu Deutschland (47)5 bereits deutlich höher.
Die wieder verstärkte Ausbreitung von SARS-CoV-2-Infektionen ist insbesondere auf private Veranstaltungen wie Familienfeste, Hochzeitsfeiern sowie andere Zusammenkünfte zurückzuführen. Obwohl sich dadurch der Großteil des Infektionsgeschehens in jüngeren Altersklassen abspielt, die von den gesundheitlichen Folgen von COVID-19 zumeist deutlich weniger betroffen sind als ältere, sehen wir überall eine Zunahme an Hospitalisierungen und ein stetiges Vordringen der Infektionen in höhere Altersgruppen.
Aufgrund der explosiven Infektionsdynamik, die wir in allen Hotspots quer durch Europa feststellen, steht zu befürchten, dass ab einer bestimmten Schwelle auch in bisher unkritischen Regionen die Kontrolle über das Infektionsgeschehen verloren geht. Bei Überschreiten dieses Schwellenwerts sind die Nachverfolgung einzelner Ausbrüche und strikte Isolationsmaßnahmen nicht mehr realisierbar und eine unkontrollierte Ausbreitung in alle Bevölkerungsteile, einschließlich besonders vulnerabler Risikogruppen, nicht mehr adäquat zu verhindern. Es steht zu erwarten, dass dies zu einer raschen Überlastung der Gesundheitssysteme führen würde, was zum Beispiel in Deutschland allein schon wegen des Mangels an Intensivpflegekräften bereits bei weit unter 20.000 Neuinfektionen pro Tag der Fall sein könnte8. Hierunter wird nicht nur die Behandlung von COVID-19 Patienten, sondern die gesamte medizinische Versorgung leiden.
Mit Sorge nehmen wir zur Kenntnis, dass erneut die Stimmen erstarken, die als Strategie der Pandemiebekämpfung auf die natürliche Durchseuchung großer Bevölkerungsteile mit dem Ziel der Herdenimmunität setzen. So plädieren die UnterzeichnerInnen der sogenannten Great Barrington Declaration für die sofortige Aufhebung aller Beschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens, einschließlich aller Abstandsregeln und der Maskenpflicht. Um Morbidität und Mortalität in den vulnerablen Gruppen (Ältere, Vorerkrankte) abzumildern, schlägt die Declaration besondere Schutzmaßnahmen für diese Personen vor bis hin zur Quasi-Isolierung („Menschen im Ruhestand, die zu Hause wohnen, sollten sich Lebensmittel und andere wichtige Dinge nach Hause liefern lassen“).
Wir lehnen diese Strategie entschieden ab, obwohl wir selbstverständlich die enorme Belastung der Bevölkerung durch die einschneidenden Eindämmungsmaßnahmen anerkennen.
Die vollständige Stellungnahme finden Sie hier.