Ausgabe April 1990

Erklärung des Außenministeriums der UdSSR vom 14. März 1990 zum Beginn der 2 plus 4 Verhandlungen (Wortlaut)

Der in letzter Zeit begonnene Prozeß der Annäherung zwischen der BRD und der DDR und die damit entstandene reale Aussicht einer Vereinigung Deutschlands haben die deutsche Frage erneut in den Vordergrund der Weltpolitik gerückt. Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wird heute auf solche Schwerpunktelemente konzentriert wie den Abschluß eines Friedensvertrages, den militärpolitischen Status des künftigen Deutschland, seine Grenzen, die Erhaltung der heutigen Stabilität und des Kräftegleichgewichts auf dem Kontinent, die weitere Entwicklung des gesamteuropäischen Prozesses, einschließlich der Schaffung neuer Strukturen der kollektiven Sicherheit. Die Lösung jeder dieser Aufgaben - sowohl einzeln genommen als auch in ihrer Gesamtheit - ist allein schon wegen ihres großangelegten Charakters lediglich auf einer vereinbarten Grundlage denkbar.

Unter Berücksichtigung dessen wurde in Ottawa beschlossen, unter Einbeziehung der zwei deutschen Staaten, der UdSSR, Großbritanniens, der USA und Frankreichs einen entsprechenden Verhandlungsmechanismus zu schaffen, in dessen Rahmen alle Teilnehmerseiten in Übereinstimmung mit dem Charakter und dem Umfang ihrer Rechte und Verantwortungen wirken werden. Das schließt selbstverständlich die Teilnahme jedes anderen europäischen Staates in dieser oder jener Form bei der Erörterung von Fragen nicht aus, die für ihn von Interesse sind und sich auf die friedliche Regelung der deutschen Frage beziehen. Ein besonderes Augenmerk muß der Lösung der Synchronisierung der Annäherung und der möglichen Vereinigung der zwei deutschen Staaten mit dem gesamteuropäischen Prozeß gelten. Eine derart umfangreiche Arbeit kann, sofern man natürlich mit der gebührenden Verantwortung an sie herangeht, selbst mit den Bemühungen vieler Teilnehmer nicht in einem Zuge geleistet werden. Deshalb kann es nur um die etappenweise Entwicklung, ohne ihre künstliche Forcierung und ohne die Herbeiführung einer Atmosphäre zeitlichen Drucks rund um den Aufbau der deutschen Einheit gehen. Davon geht eigentlich auch die überwiegende Mehrheit der interessierten Staaten aus.

Anscheinend pflichtet man dem auch in Bonn bei. Jedoch haben es gewisse Kreise in der BRD in der Praxis fortgesetzt darauf abgesehen, aus der Regelung der deutschen Frage eine Reihe ihrer potentiellen Teilnehmer auszuschließen und die Weltgemeinschaft, einschließlich der Vier Mächte, vor vollendete Tatsachen zu stellen.

Einen Schlüssel zur Durchsetzung dieses Ziels sehen einige CDU/CSU-Politiker darin, Artikel 23 des Grundgesetzes der BRD anzuwenden, der es ermöglicht, die DDR an die BRD in Teilstücken, als einzelne Länder oder als ganze Republik anzuschließen. Anders gesagt, ist man im Grunde genommen auf die Usurpation eines deutschen Staates durch den anderen aus.

In diesem Fall rechnet man anscheinend in Bonn damit, die DDR um ihre souveränen Prärogativen zu bringen, als gleichberechtigter Partner die Rechte und Interessen der Bürger der DDR, ihre sozialen Errungenschaften, jene Werte zu verteidigen, die seit Bestehen der Republik beharrlich geschaffen worden sind. In Übereinstimmung mit dieser Zielsetzung wird heute auch die praktische Linie der BRD gegenüber der DDR gestaltet. Man möchte sie durch eine massive Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Republik und durch die Anschläge auf die volkswirtschaftlichen, Vermögens- und gesellschaftlichen Strukturen vor die Gefahr des wirtschaftlichen Chaos stellen. In der DDR, und nicht nur dort, wird darauf verwiesen, daß eine solche Variante die Lebensinteressen der Bürger der Republik beeinträchtigen und ihnen die Hauptlast und Nebenfolgen der Anpassung an andere sozialökonomische und politische Bedingungen und Zustände aufbürden würde. Keine geringen Opfer würde sie auch den westdeutschen Steuerzahlern abverlangen. [...]

 

--

Leider ist dieser Beitrag in der HTML-Ansicht nur in Auszügen verfügbar. Den gesamten Text finden Sie in der PDF-Datei, die auf dieser Seite zum Download angeboten wird.

 

 

 

Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

Zur Ausgabe Probeabo