6.9. - N a h e r O s t e n. Der irakische Außenminister Aziz erklärt nach einem Gespräch mit Präsident Gorbatschow in Moskau (vgl. "Blätter", 10/1990, S. 1156 f.), zwischen den Positionen beider Seiten gebe es beträchtliche Unterschiede. Er habe Gorbatschow vor dessen Zusammenkunft mit US-Präsident Bush in Helsinki über den irakischen Standpunkt unterrichtet und die ablehnende Haltung gegenüber der Anwesenheit ausländischer Truppen in der Golfregion erläutert. - Am 10.9. vereinbaren die ehemaligen Kriegsgegner Iran und Irak die Wiederaufnahme ihrer diplomatischen Beziehungen. Außenminister Aziz kommt aus diesem Anlaß nach Teheran, wo er auch von Präsident Rafsanjani empfangen wird. - Am 11.9. spricht Präsident Bush vor dem Kongreß in Washington von "lebenswichtigen Wirtschaftsinteressen" in der Golfregion und weist dabei auf die "Welterdölreserven" hin. Bush fordert erneut eine Beteiligung "unserer Freunde und Verbündeten" an den Kosten des amerikanischen Engagements. - Am 12.9. kehrt der israelische Außenminister Levy von einer zehntägigen Reise aus den Vereinigten Staaten zurück. In Presseberichten heißt es, Levy habe in Washington auch über die weitere Lieferung moderner Waffen an Israel verhandelt. - Am 15.9. erhält der amerikanische Außenminister Baker bei Gesprächen mit Bundesaußenminister Genscher und Bundeskanzler Kohl die Zusage der Bundesregierung, sich mit Geld und Sachleistungen in einer Gesamthöhe von 3,3 Mrd. DM an den Kosten der Operationen im Golf zu beteiligen. Ein Teil der Rüstungsgüter soll dem Bestand der aufgelösten Nationalen Volksarmee der DDR entnommen werden. - Am 24.9. legt der französische Staatspräsident Mitterrand der UN-Generalversammlung in New York einen Plan vor, der u.a. folgende Etappen vorsieht: 1. Anerkennung der Beschlüsse des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen durch den Irak und Freilassung der im Irak und Kuwait festgehaltenen Geiseln; 2. Rückzug des Iraks und Wiederherstellung der Souveränität Kuwaits; 3. Direkter "Dialog zwischen den Betroffenen" über das Ende der Besetzung des Libanons durch fremde Truppen, über den "legitimen Anspruch der Palästinenser "auf den Besitz eines Gebiets ..., das ihr Vaterland sein könnte", sowie über Garantien für die Sicherheit Israels. Am Ende dieses Weges müsse "als Garantin" eine internationale Nahost-Konferenz stehen; 4. Beiderseitig vereinbarter Rüstungsabhau in der Region. Frankreich hatte zuvor sein Militärkontingent im Golfgebiet um 4000 Mann verstärkt und damit auf die Besetzung seiner Botschaft in Kuwait durch irakische Soldaten reagiert.
9.9. - U d S S R / U S A. Präsident Gorbatschow und Präsident Bush treffen sich in Helsinki zu einem kurzfristig angesetzten Meinungsaustausch. Im Mittelpunkt steht die Lage in der Golfregion. In einer gemeinsamen Erklärung bekräftigen beide Präsidenten nachdrücklich ihre Unterstützung für die Beschlüsse des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (vgl. "Blätter", 10/1990, S. 1156) und fordern die irakische Regierung auf, ihre Truppen bedingungslos aus Kuwait zurückzuziehen, die Rechte der legalen kuwaitischen Regierung wiederherzustellen sowie die im Irak und in Kuwait festgehaltenen Geiseln freizulassen. Falls der Irak seine Aggression nicht beende, müßten weitere Maßnahmen im Rahmen der UN-Charta erwogen werden.
- K a m b o d s c h a. Der indonesische Außenminister Alatas eröffnet in Jakarta eine weitere Gesprächsrunde zwischen den vier in den Kambodscha-Konflikt verwickelten Bürgerkriegsparteien. Die Vereinten Nationen sind durch einen persönlichen Beauftragten des UN-Generalsekretärs vertreten. Im Mittelpunkt der Gespräche stehen der Friedensplan der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats (Text in "Blätter", 10/1990, S. 1177 ff.) und die Zusammensetzung des darin vorgesehenen Nationalen Staatsrates (Supreme National Council). Der Führer der "Widerstandskoalition", Prinz Sihanouk, erklärt sich bereit, den Vorsitz des Rates (12 Mitglieder) zu übernehmen.
12.9. - D e u t s c h l a n d f r a g e. Vertreter der beiden deutschen Staaten sowie der vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges unterzeichnen in Moskau den im Rahmen der "Zwei-Plus-Vier"-Verhandlungen ausgearbeiteten "Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland" (Text in "Dokumente zum Zeitgeschehen"; zur Vorgeschichte vgl. "Blätter", 9/1990, S. 1029 f). Unterzeichner sind Bundesaußenminister Genscher und DDR-Ministerpräsident de Maizire sowie die Außenminister Dumas (Frankreich), Hurd (Großbritannien), Schewardnadse (UdSSR) und Baker (USA). An der Zeremonie nimmt auch Präsident Gorbatschow teil. Der Vertrag wird durch einen "Gemeinsamen Brief der beiden deutschen Regierungen" an die vier Außenminister ergänzt, der sich u.a. mit den "Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage (1945-1949)" befaßt. Am 1.10. wird nach einer Zusammenkunft der Außenminister der drei Westmächte und der Sowjetunion in New York eine gemeinsame "Erklärung zur Aussetzung der Wirksamkeit der Vier-Mächte-Rechte und -Verantwortlichkeiten" veröffentlicht. Die Erklärung gilt bis zum Abschluß des Ratifizierungsprozesses des am 12.9. unterzeichneten Vertrages und wird von den beiden deutschen Regierungen formell zur Kenntnis genommen. - Am 2.10. teilen die bisherigen Stadtkommandanten Frankreichs, Großbritanniens und der USA dem Regierenden Bürgermeister Momper die Aufhebung des Besatzungsstatus der drei Westsektoren von Berlin mit. Zuvor hatte die "Alliierte Kommandantur" ihre letzte Sitzung abgehalten.
13.9. - U d S S R / B R D. Der sowjetische Außenminister Schewardnadse und Bundesaußenminister Genscher paraphieren in Moskau einen "Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit" (Text in "Dokumente zum Zeitgeschehen"). Die Unterzeichnung des Vertrages soll während eines geplanten Besuches von Präsident Gorbatschow in der Bundesrepublik stattfinden.
14.9. - D D R. Die bisherige Einheitsgewerkschaft, der im Jahre 1945 gegründete Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB), löst sich mit Wirkung vom 30. September d.J. auf. Ein außerordentlicher Kongreß faßt in Berlin mit großer Mehrheit einen entsprechenden Beschluß. - Am 2.10. tritt die Volkskammer in Berlin zu ihrer letzten Sitzung zusammen, an der als Gäste Vertreter des Bundestages teilnehmen. Die Sitzung wird von Parlamentspräsidentin Bergmann-Pohl (CDU) geleitet, die auch amtierendes Staatsoberhaupt der DDR ist. Von den 400 Abgeordneten werden bis zur ersten gesamtdeutschen Wahl am 2. Dezember d.J. 144 Abgeordnete in den Deutschen Bundestag entsandt: CDU 63, SPD 33, PDS 23, FDP 9, DSU 8, Bündnis '90/Grüne 7; fraktionslos: 1 (zur Zusammensetzung der Volkskammer nach den Wahlen vom März d.J. vgl. "Blätter", 5/1990, S. 516 f.).
18.9. - B R D / D D R. Beide Regierungen treffen eine "Vereinbarung zur Durchführung und Auslegung" des am 31. August d.J. unterzeichneten Einigungsvertrages (Text in "Blätter", 10/1990, S. 1257 ff.). Die Vereinbarung regelt u.a. die Verwahrung, Archivierung und Nutzung der Akten des aufgelösten DDR-Ministeriums für Staatssicherheit. - Am 20.9. stimmen Bundestag und Volkskammer dem Einigungsvertrag zu. Die Entscheidung im Bundestag in Bonn fällt mit 440 gegen 47 Stimmen bei 3 Enthaltungen. Gegen den Vertrag stimmen vor allem die Fraktion der Grünen sowie eine Gruppe von Unionsabgeordneten. In der Volkskammer in Berlin wird der Einigungsvertrag mit 299 gegen 80 Stimmen bei einer Enthaltung angenommen. Gegenstimmen kommen aus den Fraktionen der PDS sowie von Bündnis '90/Grüne. Als letztes parlamentarisches Gremium läßt der Bundesrat in Bonn das Vertragswerk am 21.9. einstimmig passieren. - Am 3.10. findet zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten in der Berliner Philharmonie ein Staatsakt statt. Redner sind Bundespräsident v. Weizsäcker sowie die bisherige Volkskammerpräsidentin Bergmann-Pohl, Bundestagspräsidentin Süßmuth und der Präsident des Bundesrates, der Regierende Bürgermeister Momper.
- B u n d e s v e r f a s s u n g s g e r i c h t. Das Gericht weist in Karlsruhe eine Klage von acht Bundestagsabgeordneten der CDU/CSU gegen den Einigungsvertrag als unbegründet ab. Die Abgeordneten hatten sich gegen die Festlegung der Oder-Neiße-Grenze als endgültige Westgrenze Polens gewandt. - Am 29.9. hebt der Zweite Senat auf Antrag der Grünen, der Linken Liste/PDS sowie der Republikaner den deutsch-deutschen Wahlvertrag vom 2. August d.J (vgl. "Blätter", 9/1990, S. 1028) auf. Die Bestimmungen über eine einheitliche Sperrklausel und über Listenverbindungen seien verfassungswidrig und benachteiligten die neuen Parteien und Bürgervereinigungen auf dem Gebiet der DDR.
- U N O. In New York beginnt die 45. Generalversammlung der Vereinten Nationen; zum Präsidenten wird Außenminister Guido de Marco (Malta) gewählt. In seiner Eröffnungsansprache weist de Marco auf die Gefahren der Golfkrise hin, die die Welt an den Rand eines Krieges bringen könne. Mit der Aufnahme des Fürstentums Liechtenstein steigt die Zahl der Mitglieder der Weltorganisation auf 160, geht aber nach dem Ausscheiden der DDR mit Wirkung vom 3.10. wieder auf 159 zurück. - Am 25.9. dehnt der Sicherheitsrat die Blockademaßnahmen gegen den Irak auch auf Lufttransporte aus (vgl. "Blätter", 10/1990, S. 1156). Die entsprechende Resolution 670 (1990) wird mit 14 gegen eine Stimme (Kuba) angenommen. Auf der Sitzung sind die meisten der 15 Ratsmitglieder durch ihre Außenminister vertreten, den Vorsitz führt der sowjetische Außenminister Schewardnadse. 19.9. - P o l e n. Präsident Jaruzelski erklärt sich in einem Schreiben an das Parlament mit einer Verkürzung seiner Amtszeit einverstanden. Damit solle der Weg für die Neuwahl des Staatsoberhaupts durch das Volk freigemacht werden.
23.9. - S c h w e i z. Bei einer Volksabstimmung (Beteiligung rund 40%) stimmt eine Mehrheit von 54,6% für ein zehnjähriges Moratorium beim Bau weiterer Kernkraftwerke. Der völlige Ausstieg aus der Kernenergie wird dagegen mit knapper Mehrheit (47,1% JaStimmen) abgelehnt.
24.9. - U d S S R. Der Oberste Sowjet (Parlament) räumt Präsident Gorbatschow weitreichende Sondervollmachten in wirtschaftlich-finanziellen Fragen sowie im Bereich der inneren Sicherheit ein. Die Entscheidung fällt nach kontroverser Debatte mit 305 gegen 36 Stimmen bei 41 Enthaltungen. Das Recht des Präsidenten, Dekrete mit Gesetzeskraft zu erlassen, ist bis zum 31. März 1992 befristet.
- W a r s c h a u e r V e r t r a g. Wenige Tage vor der Vereinigung der beiden deutschen Staaten scheidet die DDR aus der Warschauer Vertragsorganisation aus. Ein entsprechendes Protokoll wird in Berlin von Verteidigungsminister Eppelmann und dem Oberkommandierenden Ljuschew unterzeichnet.
26.9. - U S A. Verteidigungsminister Cheney kündigt in Washington den Abzug von 40 000 US-Soldaten aus Westeuropa innerhalb der nächsten zwölf Monate an. In einer Stellungnahme des Ministeriums heißt es, diese Maßnahme stehe im Zusammenhang mit dem erwarteten Abkommen über die Reduzierung der Streitkräfte in Ost und West.
26.-28.9. - S P D. Auf einem Parteitag in Berlin vereinigen sich die Sozialdemokraten der beiden deutschen Staaten. Der bisherige SPD-Vorsitzende Thierse (DDR) wird stellvertretender Vorsitzender der Gesamtpartei. Der Parteitag verabschiedet ein "Manifest zur Wiederherstellung der Einheit der SPD" und bestätigt den saarländischen Ministerpräsidenten Lafontaine als Kanzlerkandidat.
1.-2.10. - C D U. Die Christdemokraten aus beiden deutschen Staaten schließen sich auf einem Parteitag in Hamburg zusammen. Als Parteivorsitzender wird Bundeskanzler Kohl bestätigt, zum stellvertretenden Vorsitzenden wird DDR-Ministerpräsident de Maizire gewählt.
2.10. - K S Z E. Zum Abschluß einer zweitägigen Außenministerkonferenz der Teilnehmerstaaten in New York wird ein Kommuniqué veröffentlicht, das die deutsche Vereinigung begrüßt und als "historischen Schritt zu einem ganzen und freien Europa" bezeichnet. Von dem geplanten Gipfeltreffen vom 19.-21. November d.J. in Paris solle eine Verstärkung des KSZE-Prozesses ausgehen.
4.10. - B u n d e s t a g. Im ehemaligen Reichstag in Berlin konstituiert sich der 11. Deutsche Bundestag in neuer Zusammensetzung. Von den 663 Abgeordneten kommen 497 aus der bisherigen Bundesrepublik, 22 aus Berlin (West) und 144 aus dem Gebiet der ehemaligen DDR. Bundeskanzler Kohl gibt eine Regierungserklärung ab. Als Bundesminister ohne Geschäftsbereich werden fünf Politiker der ehemaligen DDR vereidigt: Sabine Bergmann-Pohl, Lothar de Maizire und Günther Krause (CDU); Rainer Ortleb (FDP); HansJoachim Walther (DSU). - Am 5.10. verabschiedet das Parlament in Bonn ein neues Wahlgesetz für die ersten gesamtdeutschen Wahlen am 2. Dezember d.J. Danach wird es zwei Wahlgebiete, die bisherige Bundesrepublik und die ehemalige DDR, geben, in denen jeweils getrennt die Fünf-Prozent-Klausel gilt Listenverbindungen zwischen beiden Wahlgebieten sind unzulässig.