Ausgabe November 1991

Die geteilte Vergangenheit

Geschichte als Politik

In 10 bis 15 Jahren, das hat uns der Politikwissenschaftler Hans-Peter Schwarz verraten, werden wir auf fundierte Erträge zeitgeschichtlicher Forschung über Einheit und Vereinigung zurückgreifen können. Über Bewertungen hat er sich nicht geäußert. Nimmt man aber die derzeit kursierenden Äußerungen zum Maßstab, kommt man leicht zu dem folgenden Eindruck, der sich in einem Zukunftsbild ausmalen läßt.

Ein Schüler, der um die Jahrtausendwende sein neues Geschichtsbuch aufschlägt, stößt auf eine eigenartig zergliederte Geschichtslandschaft. Den Hauptteil des Buches, das unter dem Titel „Die Rückkehr Deutschlands, 1914-1999" steht, belegt die eingehende Analyse und Darstellung der „40 Erfolgsjahre Westdeutschlands". Gut zwei Drittel des Bandes sind damit gefüllt. Wohnt der Schüler in Ostdeutschland und möchte er wissen, welche geschichtlichen Erfahrungen den Erziehungsstilen seiner Eltern und Großeltern zugrunde liegen, wird er enttäuscht werden, es sei denn, er versteht, zwischen den Zeilen zu lesen. Nur ein schmächtiges Kapitel des Lehrbuchs nimmt sich unter der Überschrift „40 verlorene Jahre im Osten" der Lebenswelt seiner unmittelbaren Vorfahren an. Die restlichen Abschnitte beschäftigen sich exkursartig mit den 12 Jahren der „Heimsuchung" und ihrer Weimarer Vorgeschichte.

November 1991

Sie haben etwa 41% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 59% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Dezember 2025

In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

Zur Ausgabe Probeabo