Ausgabe August 1994

Chronik vom 6. Juni bis 5. Juli 1994

6.6. - F r a n k r e i c h. Staats- und Regierungschefs aus sechs europäischen Ländern, den USA und Kanada nehmen auf Einladung der französischen Regierung an den Feierlichkeiten anläßlich des 50. Jahrestages der Landung alliierter Streitkräfte in der Normandie (D-Day) bei der Gedenkstätte auf Omaha Beach teil. Zu den Gästen von Präsident Mitterrand gehören der amerikanische Präsident Clinton, der polnische Präsident Walesa, Königin Elizabeth II. von Großbritannien, König Albert von Belgien und Königin Beatrix der Niederlande. Vertreter aus Rußland sind nicht geladen. Präsident Clinton bekräftigt am 7.6. in einer Rede vor der französischen Nationalversammlung in Paris das fortdauernde, wenn auch reduzierte amerikanische Truppenengagement in Europa. 

A f r i k a. Die Organisation für Afrikanische Einheit (Organization for African Unity / OAU) nimmt die Republik Südafrika als 53. Mitglied auf. OAU-Generalsekretär Salim erklärt auf einer Sitzung des Ministerrats in Tunis, damit habe sich ein Traum erfüllt. An einem Gipfeltreffen in der tunesischen Hauptstadt (13.-15.6.) nimmt der südafrikanische Präsident Mandela teil.

9.6. - N A T O. Die Außenminister der Allianz beraten auf ihrer Frühjahrstagung in Istanbul (Türkei) über den Stand des Rahmenprogramms "Partnerschaft für den Frieden" (Text in "Blätter" 2/1994, S. 244 f.). In einem Kommuniqué heißt es u.a., die Organisation sei für die Mitgliedschaft anderer europäischer Staaten offen. Im Anschluß an die Ministertagung findet am 10.6. ein Treffen des Nordatlantischen Kooperationsrates statt, an dem auch der russische Außenminister Kosyrew teilnimmt. - Am 22.6. unterzeichnet Kosyrew im NATO-Hauptquartier in Brüssel das Dokument "Partnerschaft für den Frieden". Gleichzeitig wird eine "Zusammenfassung" der Ergebnisse der Gespräche zwischen dem Nordatlantikrat und Außenminister Kosyrew veröffentlicht (Text in "Dokumente zum Zeitgeschehen", S. 1022). - Am 5.7. erklärt der stellvertretende polnische Außenminister Mroziewicz bei der Vorlage eines Arbeitsprogramms für die militärische Zusammenarbeit mit der NATO in Brüssel, die Allianz müsse eine schnelle und klare Antwort auf die Frage geben, welche Länder dem Bündnis beitreten könnten und wann dies möglich sei.

9./12.6. - E U. In den zwölf Mitgliedstaaten der Europäischen Union finden die vierten Direktwahlen für das Europäische Parlament (567 Abgeordnete, bisher 518 und 18 Beobachter aus den fünf neuen deutschen Bundesländern) statt. Dabei entfallen auf die Bundesrepublik Deutschland 99, Frankreich, Großbritannien und Italien je 87, Spanien 64, die Niederlande 31, Belgien, Griechenland und Portugal je 25, Dänemark 16, Irland 15 und Luxemburg 6 Mandate. Die Konstituierung des Parlaments findet vom 19. bis 22. Juli d. J. in Straßburg statt. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis für die Bundesrepublik erreichen CDU/CSU 38,8% (1989: 37,8%), SPD 32,2 (37,3), Bündnis 90/Grüne 10,1 (8,7) der Stimmen. Die FDP sowie die Republikaner scheitern mit 4,1 (5,6) bzw. 3,9 (7,1) an der Fünf-Prozent-Klausel und sind im Europaparlament nicht mehr vertreten. Die PDS, die in den östlichen Bundesländern zwischen 16 und 27% der Stimmen erhält, liegt bundesweit bei nur 4,7% und kann ebenfalls keine Abgeordneten in das Europaparlament entsenden. Verteilung der 99 BRD-Mandate: CDU/CSU 47 (32), SPD 40 (31), Grüne 12 (8). Die Wahlbeteiligung in der Bundesrepublik liegt bei 60,1% (62,3). (Zu den Ergebnissen der Wahl zum Europäischen Parlament in der Bundesrepublik vom 18. Juni 1989 vgl. "Blätter", 1/1990, S. 126.) Vom 24. bis 25.6. findet auf der griechischen Insel Korfu der halbjährliche Gipfel der Staats- und Regierungschefs statt. Am ersten Konferenztag unterzeichnet der als Gast anwesende russische Präsident Jelzin einen Partnerschaftsvertrag mit der Union. Unterzeichnet werden außerdem die Beitrittsverträge mit Finnland, Norwegen, Österreich und Schweden. Die Ernennung des belgischen Ministerpräsidenten Jean-Luc Dehaene zum neuen Kommissionspräsidenten scheitert am Veto Großbritanniens. - Am 29.6. lehnt der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg den Erlaß einer Einstweiligen Anordnung gegen Griechenland ab. Das von der Kommission angestrengte Hauptverfahren wegen der griechischen Blockade gegen Mazedonien (vgl. "Blätter", 6/1994, S. 650) bleibt jedoch anhängig. - Am 1.7. übernimmt die Bundesrepublik von Griechenland den Vorsitz in den Organen der Europäischen Union für das zweite Halbjahr 1994. Das Bundeskabinett und die Europäische Kommission treten am 5.7. in Bonn zu einer gemeinsamen Sitzung zusammen.

12.6. - Ö s t e r r e i c h. Die Bevölkerung stimmt in einem Referendum mit 66,4 gegen 33,6% dem Beitritt des Landes zur Europäischen Union zu (vgl. "Blätter", 6/1994, S. 650). Die Beteiligung liegt bei 81,3%. Die höchste Zahl der Ja-Stimmen (74,6%) wird im Burgenland, die niedrigste (56,4%) in Tirol abgegeben. 

S c h w e i z. Eine Vorlage der Regierung zur Beteiligung der Schweiz an Blauhelm-Einsätzen der Vereinten Nationen findet in ein er Volksabstimmung keine Mehrheit. Das entsprechende Gesetz wird mit 57,2% der Stimmen abgelehnt und nur in vier Kantonen befürwortet.

13.6. - K o r e a. Die Demokratische Volksrepublik Korea (Nordkorea) kündigt den sofortigen Austritt aus der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) an. In einer Mitteilung aus der Hauptstadt Pjöngjang heißt es, die Regierung werde künftig Inspektoren der Organisation die Einreise verweigern. Ein Sprecher am Sitz der IAEO in Wien erklärt dazu, Nordkorea bleibe auch nach seinem Austritt an den Kernwaffensperrvertrag und dessen Kontrollbestimmungen gebunden. - Vom 15. bis 17.6. hält sich der frühere amerikanische Präsident Jimmy Carter in Pjöngjang auf, um im Streit um das nordkoreanische Atomprogramm zu vermitteln (vgl. "Blätter", 7/1994, S. 778). Carter, dessen Mission als "private Initiative" bezeichnet wird, führt mehrere Gespräche mit dem nordkoreanischen Präsidenten Kim Il Sung. Anschließend berichtet Carter vor der Presse, Nordkorea sei bereit, im Falle der Wiederaufnahme des diplomatischen Dialogs mit den USA auf hoher Ebene das umstrittene Nuklearprogramm "vorläufig einzufrieren". Den beiden im Land verbliebenen IAEO-Inspektoren werde weiterhin erlaubt, den Atomreaktor von Yongbyon zu überwachen. Später wird ergänzend gemeldet, Kim Il Sung habe die Reduzierung der nordund südkoreanischen Streitkräfte auf je 100000 Mann vorgeschlagen und seine Bereitschaft zu einem Treffen mit dem südkoreanischen Präsidenten Kim Young Sam erklärt. - Am 28.6. einigen sich Vertreter der beiden koreanischen Staaten im Grenzort Panmunjom auf ein erstes Gipfeltreffen der Präsidenten Kim Il Sung und Kim Young Sam, das vom 25. bis 27. Juli d.J. in der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang stattfinden soll.

13.-15.6. - K S Z E. Der Ausschuß Hoher Beamter (AHB) der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa bereitet in Prag die nächste KSZE-Überprüfungskonferenz vor, die vom 24. Oktober bis zum 2. Dezember d.J. in Budapest stattfinden soll. Anschließend (5.-6.12.) ist in der ungarischen Hauptstadt ein KSZEGipfeltreffen geplant.

14.6. - J u g o s l a w i e n. Der russische Außenminister Kosyrew fordert Serbenführer Karadzic bei einem Treffen in Moskau auf einen Teil des von den Serben kontrollierten Gebietes an die bosnische Seite zurückzugeben. Kosyrew warnt gleichzeitig vor einer Aufhebung des gegenüber Bosnien verhängten Waffenembargos. Ein solcher Schritt könne der Weg zu einem dritten Weltkrieg sein.

14.-15.6. - L a t e i n a m e r i k a. Die Staatsoberhäupter und Regierungschefs des spanischen und portugiesischen Sprachraums Europas und Lateinamerikas halten in der kolumbianischen Hafenstadt Cartagena den vierten Ibero-Amerikanischen Gipfel ab. Im Mittelpunkt der Konferenz, die mit einer "Erklärung von Cartagena" abgeschlossen wird, stehen Probleme der Wirtschaftsintegration.

15.6. - R u ß l a n d. Präsident Jelzin kündigt während einer Reise durch die Amurregion eine Verminderung der Mannschaftsstärke der Streitkräfte auf rund 1,5 Mio. an. Verteidigungsminister Gratschow hatte am 13.6. den gegenwärtigen Personalbestand der Armee mit 2,2 Mio. Mann angegeben.

22.6. - U N O. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ermächtigt Frankreich zu einem begrenzten Militäreinsatz in Ruanda. Die Aktion wird als humanitäre Intervention bezeichnet, um weiteren Völkermord zu verhindern. Die Entscheidung auf der Ratssitzung in New York fällt mit zehn Stimmen bei fünf Enthaltungen. - Am 23.6. stellt die Generalversammlung das Stimmrecht für die Republik Südafrika wieder her. Das Land war 1974 wegen seiner Rassentrennungspolitik von den Arbeiten der Versammlung ausgeschlossen worden. - Am 30.6. billigt der Sicherheitsrat die Entsendung von Friedenstruppen der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) nach Georgien. Bedenken werden nur vom Vertreter der Tschechischen Republik vorgebracht. 

S P D. Ein Sonderparteitag in Halle nominiert den rheinlandpfälzischen Ministerpräsidenten und SPD-Parteivorsitzenden Rudolf Scharping mit 479 von 502 Stimmen offiziell zum Kanzlerkandidaten für die bevorstehende Bundestagswahl. Scharping erklärt in seiner Rede, die SPD strebe einen Wahlsieg unbeeinflußt von möglichen Koalitionspartnern an.

25.6. - J a p a n. Ministerpräsident Tsutomo Hata (zum Amtsantritt vgl. "Blätter", 6/1994, S. 650) tritt zurück, um einem Mißtrauensantrag gegen die von ihm geführte Minderheitsregierung zuvorzukommen. Das Parlament wählt am 29.6. den Vorsitzenden der Sozialdemokraten (Sozialisten), Tomiichi Murayama, im zweiten Wahlgang zum Regierungschef. Murayama wird von Teilen der Liberaldemokraten (frühere Regierungspartei) unterstützt. In der neuen Regierung stellen die Sozialdemokraten nur fünf der 20 Minister.

26.6. - S a c h s e n - A n h a l t. Bei den Wahlen zum Landesparlament büßt die Koalition von CDU und FDP ihre parlamentarische Mehrheit ein. Die FDP, deren Stimmenanteil von 13,5 auf 3,6% zurückgeht, verliert ihre 14 Mandate und ist im Landtag nicht mehr vertreten. Stimmengewinne ergeben sich für SPD und PDS. Die CDU bleibt mit einem Vorsprung von rund 4000 Stimmen (0,4%) stärkste Partei. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis entfallen (Angaben in %) auf die im Landesparlament vertretenen Parteien: CDU 34,4 (1990: 39,0), SPD 34,0 (26,0), PDS 19,9 (12,0), Bündnis 901 Grüne 5,1 (5,3). Die Wahlbeteiligung ist mit 54,9% (65,1) die bisher niedrigste in einem Bundesland. Zusammensetzung des neuen Landtages (99, bisher 106 Abgeordnete): CDU 37 (48), SPD 36 (27), PDS 21 (12), Grüne 5 (5). (Zu den Ergebnissen der Wahl vom 14. Oktober 1990 vgl. "Blätter", 1/1991, S. 127.) Nach Bekanntwerden der Wahlergebnisse spricht sich der amtierende CDU-Ministerpräsident Christoph Bergner (vgl. "Blätter", 1/1994, S. 6) für die Bildung einer Großen Koalition mit den Sozialdemokraten unter seiner Führung aus, der SPD-Spitzenkandidat Reinhard Höppner kündigt an, er werde sich für die Bildung einer Minderheitsregierung mit den Grünen einsetzen.

28.6. - U n g a r n. Präsident Göncz eröffnet die konstituierende Sitzung des neuen Parlaments (zur Wahl vgl. "Blätter", 7/1994, S. 778) und beauftragt den sozialistischen Politiker Horn mit der Regierungsbildung. Die Sozialisten, die im Parlament über die Mehrheit verfügen, hatten sich in Koalitionsverhandlungen mit den Freidemokraten über die Bildung eines gemeinsamen Kabinetts geeinigt, in dem der kleinere Koalitionspartner drei der zwölf Minister stellt.

1.7. - B u n d e s p r ä s i d e n t. Auf einer gemeinsamen Sitzung von Bundestag und Bundesrat wird Bundespräsident Richard v. Weizsäcker verabschiedet. Gleichzeitig legt der neue Bundespräsident Roman Herzog (zur Wahl vgl. "Blätter", 7/1994, S. 777) den Amtseid ab. Als ersten ausländischen Staatsgast empfängt Herzog in Bonn am 5.7. den chinesischen Ministerpräsidenten Li Peng.

5.7. - N a h e r O s t e n. Der PLO-Vorsitzende Yasir Arafat legt bei seinem ersten Besuch in den autonomen Gebieten (1.-8.7.) in Jericho den Eid als Chef der Palästinensischen Nationalbehörde (Palestinian National Authority / PNA) ab. Anschließend führt Arafat die ersten zwölf Ressortchefs in ihr Amt ein und leitet eine Kabinettssitzung.

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo