Ausgabe November 1995

Radikalen-Erlaß

Fast 23 Jahre nach einer der verhängnisvollsten politischen Entscheidungen der Bundesrepublik, dem Radikalenerlaß, der eine ganze Generation enttäuschte und anwiderte, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, eine Schöpfung des Europarates, einen substantiellen Teil dieses Erlasses in den Orkus geworfen. Der Extremistenerlaß ist für Beamte, die seinethalben aus dem Dienst entfernt wurden, erledigt. Er ist menschenrechtswidrig und verstößt gegen die europäische Menschenrechtskonvention von 1950, genau gegen die Meinungsfreiheit und die Koalitionsfreiheit der Bürger, außerdem verletzt die meist DKP-bedingte Beamten-Entlassung das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. So das Urteil aus Straßburg vom 26. September 1995.

Erwirkt hat es eine zähe Lehrerin aus Jever in Niedersachsen. Dorothea Vogt gegen die Bundesrepublik Deutschland. Sie unterrichtet am Mariengymnasium in Jever deutsch und französisch, ist 46 Jahre alt und wurde, obwohl damals schon neun Jahre beamtete Lehrerin, 1986 wegen ihrer Aktivitäten für die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) entlassen. Sie klagte sich hoch, aber das Bundesverfassungsgericht wies ihre Verfassungsbeschwerde wegen „Aussichtslosigkeit“ am 22. Dezember 1989 zurück.

November 1995

Sie haben etwa 38% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 62% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Januar 2026

In der Januar-Ausgabe skizziert der Journalist David Brooks, wie die so dringend nötige Massenbewegung gegen den Trumpismus entstehen könnte. Der Politikwissenschaftler Philipp Lepenies erörtert, ob die Demokratie in den USA in ihrem 250. Jubiläumsjahr noch gesichert ist – und wie sie in Deutschland geschützt werden kann. Der Politikwissenschaftler Sven Altenburger beleuchtet die aktuelle Debatte um die Wehrpflicht – und deren bürgerlich-demokratische Grundlagen. Der Sinologe Lucas Brang analysiert Pekings neue Friedensdiplomatie und erörtert, welche Antwort Europa darauf finden sollte. Die Journalistinnen Susanne Götze und Annika Joeres erläutern, warum die Abhängigkeit von Öl und Gas Europas Sicherheit gefährdet und wie wir ihr entkommen. Der Medienwissenschaftler Roberto Simanowski erklärt, wie wir im Umgang mit Künstlicher Intelligenz unsere Fähigkeit zum kritischen Denken bewahren können. Und die Soziologin Judith Kohlenberger plädiert für eine »Politik der Empathie« – als ein Schlüssel zur Bekämpfung autoritärer, illiberaler Tendenzen in unserer Gesellschaft.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema Sicherheitspolitik

Die Wehrpflicht gleicher Bürger

von Sven Altenburger

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat in Deutschland eine intensive Debatte über die Notwendigkeit einer Wehrpflicht ausgelöst. Dabei werden die ideengeschichtlichen Grundlagen der Wehrpflicht von ihren Gegnern regelmäßig verkannt, nämlich Republikanismus und Egalitarismus.

Von der Kriegstüchtigkeit zur Gesamtverteidigung

von Klaus Naumann

Ukrainische Soldaten auf russischem Boden vor Kursk, aber Putins Truppen mit Geländegewinnen in der Ukraine und zugleich die USA vor der Präsidentenwahl und einer möglichen Rückkehr Donald Trumps: Diese hoch komplizierte globale Situation trifft auf eine bundespolitische Lage, die mit dem Wort von der „Übergangsregierung“ (Omid Nouripour) analytisch durchaus treffend beschrieben ist.