Ausgabe März 2001

Österreichs Osttaktik

Die kleine Politik bewegt sich immer auf dem großen Feld zwischen Wahrheit und Wirklichkeit, da die erste nur selten mit der zweiten übereinstimmt. Vor allem in Österreich, wo die Lieblingsfarbe aller Vergangenheitsbeschöniger aus Vergessen und Verdrängen gemixt wird . Kein Wunder also, dass Wien Geburtsstätte der Psychoanalyse und der Mentiologie (der Lehre von der Lüge) ist. So auch auf dem geraden (Slalom-)Weg der Politik zur EU-Erweiterung. Das Hauptdilemma der Regierung vorweg: Sie glaubt nicht wirklich an die Europa- (inklusive Erweiterungs-) Gesinnung der Bevölkerung, deshalb laviert sie zwischen Extrempositionen. So glaubte zum Beispiel im Spätherbst vorigen Jahres Außenministerin Benita Ferrero-Waldner, ihren Landsleuten die "Erweiterung" mit "k.u.k."-Nostalgie schmackhaft machen zu müssen, und schlug, nach Benelux-Modell, die Schaffung einer "Mitteleuropagruppe" innerhalb der EU vor.

Hier klingt die Nachkriegs-Politlüge des offiziellen Österreich ("Brücke zwischen Ost und West") nach. Kein Wunder, dass EU-Erweiterungskommissiar Günter Verheugen die Pläne der Ministerin mit einem lapidaren "Solche Überlegungen passen nicht in die Gemeinschaft" 1) abtat. Während die regierende Volkspartei unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel mit einem klaren "Ja, aber ...

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Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

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