Vom Zustand der Bundesrepublik Deutschland
Bei der Abstimmung zum Zuwanderungsgesetz im Bundesrat am 22. März wertete Ratspräsident Klaus Wowereit (SPD) ein gesplittetes Votum des Landes Brandenburg als "Ja", was die erforderliche Zustimmungsmehrheit erbrachte. Die juristisch umstrittene Entscheidung zieht politische Kreise und wirft, über die Aufgeregtheit eines Bundestagswahl-Jahres hinaus, grundsätzlichere Fragen nach dem "geistig-moralischen" Zustand (Helmut Kohl) dieser Republik auf. Wilhelm Hennis erklärt im Gespräch mit der "Blätter"-Redaktion, warum es sich bei dem Streit über das Abstimmungsverhalten im Bundesrat um mehr als eine "Formalie" handelt. Der prominente Jurist und Politikwissenschaftler betätigt sich seit über einem halben Jahrhundert als kritischer Begleiter der bundesrepublikanischen Politik, ohne das Etikett des Querdenkers zu fürchten. Mit großer Entschiedenheit engagierte Hennis sich zuletzt gegen alle Versuche, die Kohl- alias CDU-Parteispendenaffäre politisch und juristisch im Sande verlaufen zu lassen. - D. Red.
"Blätter": Starke Worte kursieren: Verfassungsbruch, Verfassungskrise, Verfassungskonflikt. Bald wird von einer Krise der Demokratie die Rede sein. Was steckt dahinter?
Hennis: Einen Verfall der demokratischen Regeln und Formen, wie sie das Grundgesetz vorgibt, beobachten wir seit langem.