Ausgabe Mai 2003

Chronik des Monats März 2003

1.3. – UNO. Der Irak beginnt mit der Verschrottung seiner Raketen vom Typ Samud 2 und folgt damit einer von den Vereinten Nationen gesetzten Frist (vgl. "Blätter" 4/2003, S. 388). UN-Chefinspekteur Blix bezeichnet die Zerstörung der Raketen als einen "sehr wichtigen Schritt", kritisiert jedoch erneut die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Regierung in Bagdad. – Am 5.3. spricht der französische Außenminister de Villepin nach einer Zusammenkunft in Paris mit seinen Amtskollegen aus Deutschland und Russland, Fischer und Iwanow, von einer "Front der Zurückweisung" gegenüber Plänen für eine Militärintervention im Irak. Als ständige Mitglieder des Sicherheitsrates würden Frankreich und Russland ihre Verantwortung wahrnehmen und keinen Resolutionsentwurf passieren lassen, der einen Rückgriff auf Gewalt erlaube. Fischer plädiert erneut für die friedliche Durchsetzung der Ratsresolution 1441 (Text in "Blätter" 12/2002, S.1512 ff.). In Washington bekräftigt dagegen Außenminister Powell, die USA und ihre Koalitionspartner seien entschlossen, notfalls auch ohne UN-Mandat gegen den Irak vorzugehen. – Am 7.3. stellen Blix und IAEO-Generaldirektor ElBaradei bei der Vorlage eines weiteren Berichts im Sicherheitsrat fest, man habe bisher keine Beweise dafür gefunden, dass der Irak über mobile Labors oder unterirdische Lagerstätten für verbotene B- und C-Waffen verfüge (Blix) oder sein Programm zur Herstellung nuklearer Waffen wieder aufgenommen habe (ElBaradei). Die Überwachung des Irak müsse fortgesetzt werden. Blix: "Wir brauchen nicht Jahre oder Wochen, aber Monate." – Am 11.3. wird der Internationale Strafgerichtshof (IStGH; International Criminal Court/ICC) mit der Vereidigung der 18 Richter, unter ihnen der Deutsche Hans-Peter Kaul, in Den Haag in Anwesenheit von Generalsekretär Annan feierlich eröffnet. – Vom 12.-13.3. kommen in öffentlicher Sitzung des Sicherheitsrates vor allem Vertreter von UN-Mitgliedstaaten zu Wort, die gegenwärtig nicht dem Rat angehören. Die Mehrzahl befürwortet die Fortsetzung der Rüstungskontrollen statt eines militärischen Vorgehens gegen den Irak. Frankreich lehnt einen britischen Kompromissvorschlag ab; dem Irak ein kurzfristiges Ultimatum zu stellen, sei inakzeptabel. – Am 17.3. verzichten die USA, Großbritannien und Spanien auf eine Abstimmung über den von ihnen eingebrachten Resolutionsentwurf (Text in "Blätter" 4/2003, S.505f.). Damit sei das diplomatische Fenster geschlossen, so Außenminister Powell in Washington. Der irakische Diktator Saddam Hussein müsse entweder abtreten oder mit den "ernsten Konsequenzen" (serious consequences) der Resolution 1441 (2002) rechnen. – Am 18.3. ordnet Generalsekretär Annan den Abzug aller Mitarbeiter der Organisation aus dem Irak an. – Am 19.3. versuchen Mitglieder des Sicherheitsrates, die drohende Militäraktion gegen den Irak doch noch abzuwenden. Syriens Außenminister As-Shara fordert den Rat auf, das von Blix vorgelegte Arbeitsprogramm für weitere Waffeninspektionen anzunehmen. – Am 26.3., nach Beginn der Invasion am 20.3., tritt der Sicherheitsrat zu einer Sondersitzung zusammen. Die meisten Redner verurteilen den Krieg und verlangen die sofortige Einstellung der Kämpfe. Annan wird am 28.3. autorisiert, für zunächst 45 Tage das unterbrochene Programm "Öl für Lebensmittel" für den Irak wieder aufzunehmen.

2.3. – Türkei. Eine Vorlage der Regierung zur Stationierung von 61 500 amerikanischen Soldaten und Kampfflugzeugen in der Südosttürkei scheitert im Parlament: Mit 264 gegen 250 Stimmen wird die vorgeschriebene absolute Mehrheit der anwesenden Abgeordneten um drei Stimmen verfehlt. Die USA hatten der Türkei im Falle der Zustimmung umfangreiche Finanzhilfe zugesagt. – Am 9.3. erhält der Vorsitzende der Regierungspartei AKP, Recep Tayyip Erdogan, bei einer Nachwahl in der Provinz Siirt einen Sitz in der Nationalversammlung. Regierungschef Abdullah Gül tritt zurück (11.3.), Erdogan wird mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt. – Am 21.3. erlaubt die Türkei der US-Luftwaffe die Benutzung von zwei Flugkorridoren über ihrem Territorium. – Am 26.3. weist Generalstabschef Hilmi Özkök in einer Rede Spekulationen über einen bevorstehenden Einmarsch in den Nordirak zurück. Man habe nicht vor, fremdes Territorium zu besetzen oder einen Krieg mit den Kurden zu entfachen. Im Grenzgebiet gehe es lediglich um Vorkehrungen zur Verteidigung.

3.3. – Serbien–Montenegro. In Belgrad konstituiert sich das Parlament der neuen Union von Serbien und Montenegro (vgl. "Blätter" 4/2003, S.389). Serbien stellt 91, Montenegro 35 der 126 Abgeordneten. Präsident Vojislav Koštunica tritt als Präsident der bisherigen Bundesrepublik Jugoslawien formell zurück. Erstes Staatsoberhaupt der Union wird am 7.3. der Montenegriner Svetozar Marović. – Am 12.3. fällt der serbische Regierungschef Zoran Djindjić einem Attentat zum Opfer. Die Regierung verhängt den Ausnahmezustand, Verhaftungen werden im Umfeld des früheren Machthabers Milošević und im kriminellen Milieu vorgenommen. An der Beisetzung Djindjićs nehmen auch Bundesaußenminister Fischer und Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul teil.

4.3. – Niedersachsen. Der Landtag wählt auf seiner konstituierenden Sitzung in Hannover den CDU-Politiker Christian Wulff mit 105 von 183 Stimmen zum neuen Ministerpräsidenten. Wulff steht an der Spitze einer Koalition von CDU und FDP und löst Sigmar Gabriel (SPD) ab (zum Ergebnis der Landtagswahl vgl. "Blätter" 4/2003, S.388f.).

5.-18.3. – China. Der Nationale Volkskongress (Parlament) befasst sich auf seiner Sitzung in der Großen Halle des Volkes in Peking mit sozialen und wirtschaftlichen Reformen und bestimmt eine neue Staats- und Regierungsspitze. Präsident Jiang Zemin wird von Hu Jintao abgelöst, bleibt jedoch Vorsitzender der einflussreichen Militärkommission. Wen Jiabao übernimmt von Zhu Rongji das Amt des Ministerpräsidenten. Der Führungswechsel geht auf Beschlüsse des 16. Parteitages der KP Chinas zurück (vgl. "Blätter" 1/2003, S.5). Finanzminister Xiang Huaicheng hatte am 6.3. mit Hinweis auf "die veränderte internationale Lage" eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben um 9,6 % angekündigt.

6.3. – USA/Russland. Der Senat in Washington ratifiziert einstimmig den im Mai v.J. von den Präsidenten Bush und Putin in Moskau unterzeichneten Vertrag über die Reduzierung von Nuklearwaffen (vgl. "Blätter", 7/2002, S.774). Aus Protest gegen das amerikanische Ultimatum an den Irak setzt die russische Duma am 18.3. das Ratifizierungsgesetz auf unbestimmte Zeit von der Tagesordnung ab.

10.-11.3. – Zypern. UN-Generalsekretär Annan versucht in Verhandlungen in Den Haag, die beiden Teile der geteilten Insel zur Annahme seines Plans zur Wiedervereinigung zu bewegen. Die griechische Seite ist bereit, den Plan der Bevölkerung in einem Referendum vorzulegen, die türkische Seite lehnt dies ab.

16.3. – Irak-Krieg. US-Präsident Bush trifft auf den Azoren seine beiden wichtigsten Verbündeten, den britischen Premierminister Blair und den spanischen Regierungschef Aznar. Nach der Rückkehr kündigt Bush in Washington eine Invasion des Irak an, falls Saddam Hussein nicht binnen 48 Stunden die Macht abgebe und mit seinen Söhnen ins Exil gehe. Die Invasion werde "zu einem Zeitpunkt unserer Wahl" beginnen. Das Parlament in Bagdad weist das Ultimatum Bushs am 19.3. zurück: "Das irakische Volk stellt sich wie ein Glied, eine Stimme und ein Gewehr der verbrecherischen Aggression der USA entgegen." Gleichzeitig rücken US-Truppen in die entmilitarisierte Zone an der kuwaitisch-irakischen Grenze ein. – Am 20.3. beginnt in den frühen Morgenstunden die amerikanisch-britische Operation "Irakische Befreiung" (Iraqi Freedom) mit einer Strategie von "Schock und Furcht" (Shock and Awe). Bodentruppen dringen zunächst von Süden her in den Irak ein. Die Luftwaffe führt einen "Enthauptungsschlag" gegen ein Objekt, in dem Präsident Saddam Hussein, Mitglieder seiner Familie und der irakischen Führung vermutet werden. Hussein ruft seine Landsleute über das Fernsehen zum Widerstand auf und spricht von einem "Kriegsverbrechen des amerikanischen Präsidenten Bush im Dienste des Zionismus". Über den Verlauf der Kämpfe am Boden und in der Luft werden an den folgenden Tagen unterschiedliche Angaben verbreitet. Die Hauptstadt Bagdad und andere größere Städte werden mit Bomben und Marschflugkörpern angegriffen. Es gibt Tote, Verwundete und Gefangene auf beiden Seiten, darunter viele irakische Zivilisten. Irakische Raketen schlagen auf dem Gebiet des benachbarten Kuwait ein. Teilweise einbezogen in die militärischen Auseinandersetzungen werden auch die von Kurden verwalteten Gebiete im Norden des Irak. Die Türkei droht mehrfach mit dem Einmarsch in den Nordirak, um das Entstehen eines kurdischen Staates zu verhindern. In allen Teilen der Welt kommt es zu umfangreichen Protestaktionen gegen den von den USA geführten Krieg ohne ein Mandat der Vereinten Nationen.

18.3. – Bundesverfassungsgericht. Der Zweite Senat stellt das von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat angestrengte Verbotsverfahren gegen die Nationaldemokratische Partei (NPD) ein. Hintergrund der in Karlsruhe verkündeten Entscheidung ist die Tätigkeit von V-Leuten des Verfassungsschutzes in den Gremien der Partei. Vier der sieben Richter befürworten eine Fortführung des Verfahrens, vorgeschrieben ist jedoch eine Mehrheit von sechs Richterstimmen.

18.-19.3. – Großbritannien. Nach einer nächtlichen Debatte stimmt das Unterhaus in London mit 412 gegen 149 Stimmen, darunter zahlreiche Labour-Abgeordnete, der britischen Beteiligung an einer Militäraktion gegen den Irak zu. Premierminister Blair verteidigt sich gegen Kritik.

19.-20.3. – Bundesregierung. Bundeskanzler Schröder bekräftigt in der Haushaltsdebatte des Bundestages: Deutschland stehe zu seinen NATO-Verpflichtungen, werde Amerikanern und Briten die Nutzung ihrer Militärbasen weiter gestatten und Überflugrechte nicht in Frage stellen. Schröder wendet sich gegen ein neues Mandat des Bundestages für den Türkei-Einsatz deutscher Soldaten in AWACS-Flugzeugen der NATO. Bundesaußenminister Fischer warnt vor einer Weltordnung, die von einer einzigen Supermacht dominiert werde. Washington habe von Anfang an nicht die Abrüstung des Irak verfolgt, sondern den Regimewechsel in Bagdad. Unmittelbar nach Beginn der amerikanischen Intervention im Irak am 20.3. spricht Schröder von einer "falschen Entscheidung", weicht jedoch der Frage aus, ob es sich um eine völkerrechtswidrige Aktion handelt.

- Naher Osten. Palästinenserpräsident Arafat ernennt seinen langjährigen Stellvertreter Mahmud Abbas, auch bekannt unter dem Namen Abu Mazin, zum ersten Ministerpräsidenten der Autonomiebehörde und beauftragt ihn mit der Bildung einer Regierung. Der Legislativrat hatte zuvor nach kontroverser Diskussion eine entsprechende Verfassungsänderung gebilligt.

20.3. – Spanien. Regierungschef Aznar erklärt vor dem Parlament, nach Beginn des Irak-Krieges sei "Neutralität" nicht mehr möglich. Einheiten der spanischen Armee seien zu einer "wichtigen und ehrenwerten humanitären Aktion" bereit, würden sich aber nicht direkt an Kämpfen beteiligen.

20.-21.3. – EU. Der Irak-Krieg beherrscht das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Luxemburgs Regierungschef Juncker erinnert an die gemeinsame Verantwortung: Die tiefe Kluft innerhalb der Union dürfe weder zur innereuropäischen noch zur transatlantischen Dauerkrise werden.

24.3. – Arabische Liga. Die Außenminister von 22 Mitgliedstaaten verurteilen auf einer Zusammenkunft in Kairo den Angriff auf den Irak und verlangen den bedingungslosen Abzug der alliierten Armeen. Die USA und Großbritannien seien für alle Folgen des Krieges verantwortlich.

25.3. – USA. Präsident Bush beantragt beim Kongress in Hinblick auf die zu erwartenden Kriegskosten im Irak ein Zusatzbudget im Umfang von 74,7 Mrd. Dollar. In Presseberichten heißt es, die Regierung gehe dabei davon aus, dass die Hauptphase der Kämpfe innerhalb von 30 Tagen beendet sei.

26.3. – NATO. Die Außenminister Bulgariens, Estlands, Lettlands, Litauens, Rumäniens, der Slowakei und Sloweniens unterzeichnen in Brüssel die Beitrittsverträge zur Nordatlantischen Allianz, die im Mai 2004 in Kraft treten sollen. Der mit jedem Kandidatenland vereinbarte Aktionsplan zur Vorbereitung auf die Mitgliedschaft (Membership Action Plan/MAP) enthält detaillierte Vorgaben für politische und militärische Reformen. An der Vorbereitung auf eine künftige Mitgliedschaft nehmen auch Albanien, Kroatien und Mazedonien teil. Vor der feierlichen Unterzeichnung hatte der NATO-Rat beschlossen, Entscheidungen über den weiteren Beistand für die Türkei nur gemeinsam und "nicht unilateral" zu treffen. Dies gelte auch für einen von Belgien und Deutschland erwogenen Abzug von Soldaten aus den Awacs-Flugzeugen.

26.-27.3. – USA/Großbritannien. Der britische Premierminister Blair erörtert mit Präsident Bush auf dessen Landsitz in Camp David den Kriegsverlauf im Irak. Anschließend trifft Blair in New York mit UN-Generalsekretär Annan zusammen.

31.3. – EU/NATO. Die Europäische Union übernimmt von der Nordatlantischen Vertrags-Organisation die Verantwortung für die Militäroperation in der früheren jugoslawischen Republik Mazedonien. Es handelt sich um den ersten Einsatz der neuen EU-Eingreiftruppe im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP). NATO-Generalsekretär Robertson und der griechische Außenminister Papandreou, Amtierender EU-Ratsvorsitzender, hatten am 14.3. in Athen ein Abkommen über die Zusammenarbeit zwischen beiden Organisationen in Sicherheitsfragen unterzeichnet.

 

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