Dokumente zum Zeitgeschehen

»Das Kartell der Verharmloser«

Bericht der Amadeu Antonio Stiftung zum Umgang deutscher Behörden mit rechtsextremem Terror, 14.8.2012

Vorwort

Einstimmig angenommene Anträge haben in der deutschen Parlamentsgeschichte wohl Seltenheitswert. Unmittelbar nach der Selbstenttarnung des Nationalsozialis tischen Untergrunds hat der Deutsche Bundestag einen sol chen – von allen Fraktionen gemeinsam eingebrachten – Entschließungsantrag ohne Gegenstimme angenommen. Gegenstand des Entschließungsantrages war die Reaktion des Bundestages auf die »Mordserie der Neonazi-Bande und die Arbeit der Sicherheitsbehörden«, so der Titel. Darin bekundet der Bundestag seine Trauer um die Opfer der Mordserie und äußert sein Mitgefühl mit den Angehörigen der Opfer: »Wir trauern um Enver Şimşek und Abdurrahim Özüdoğru aus Nürnberg, Süleyman Taşköprü aus Hamburg, Habil Kılıç aus München, Yunus Turgut aus Rostock, Ismail Yaşar aus Nürnberg, Theodoros Boulgarides aus München, Mehmet Kubaşık aus Dortmund, Halit Yozgat aus Kassel und Michèle Kiese wetter aus Heilbron«. Die Abgeordneten äußern die Erwartung, dass die Morde zügig aufgeklärt und Zusammenhänge dieser Mordtaten und ihr rechtsextremistisches Umfeld umfassend ermittelt werden. »Wir stehen ein für ein Deutschland, in dem alle ohne Angst verschieden sein können und sich sicher fühlen – ein Land, in dem Freiheit und Respekt, Vielfalt und Weltoffenheit lebendig sind«, heißt es im Text weiter. Der Bundestag zeigt sich entschlossen, sowohl die politisch-gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Rechtsextremisten und ihren Verbündeten fortzusetzen als auch die Konsequenzen für die Arbeit der Sicherheitsbehörden rasch zu ziehen. Zudem bekennt er sich zu einer dauerhaften Unterstützung des Engagements gegen Rechtsextremismus und einer selbstkritischen Überprüfung der bisherigen Ansätze: »Wir müssen gerade jetzt alle demokratischen Gruppen stärken, die sich gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus engagieren. Wir werden prüfen, wo dem Hindernisse entgegenstehen. Wir brauchen eine gesellschaftliche Atmosphäre, die ermutigt, gegen politischen Extremismus und Gewalt das Wort zu erheben. Rechtsextremistischen Gruppen und ihrem Umfeld muss der gesellschaftliche und finanzielle Boden entzogen werden.« Die Amadeu Antonio Stiftung möchte das Ansinnen des Deutschen Bundestages unterstützen und hat deshalb – mit der Unterstützung des Kreises der Freunde und Förderer der Stiftung – die Politikwissenschaftlerin, Publizistin und ehemalige Spiegel-Korrespondentin, Marion Kraske, mit einer Recherche beauftragt, wie diese Stärkung des Engagements 6 gegen Rechtsextremismus aussehen könnte und welche Hindernisse dem entgegen stehen. Dabei ist ein Autorenstück entstanden, das die Ergebnisse einer Reise quer durch Ost- und Westdeutschland darstellt und erschreckender nicht sein könnte. Deutlich wird eindeutig: Die Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds sind nur die Spitze eines Eisberges, der sich in vielen Kommunen und Städten als rechtsextremer Alltagsterror darstellt. Trotz der überparteilichen Aufklärungsarbeit im parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Bundestags und der investigativen Berichterstattung über die NSU-Mordserie, droht diese alltägliche Dimension des rechtsextremen Terrors immer wieder aus dem Blick zu geraten. Schlimmer noch: Wie Marion Kraske zeigt, verharmlosen, bagatellisieren und relativieren die zuständigen Sicherheitsorgane häufig das Ausmaß der rechten Gewalt im Alltag. In diesem Zusammenhang waren die Verfehlungen der Behörden bei der Verfolgung des Mördertrios wohl fast absehbar und eben nicht die Ausnahme. Der Terror des Nationalsozialistischen Untergrunds kann und darf nicht ohne die alltägliche Dimension der rechten Gewalt in Deutschland gesehen werden. Dafür stehen auch die anderen 172 Todesopfer rechter Gewalt, die der Opferfonds CURA der Amadeu Antonio Stiftung und die Webseite der stern-Aktion »Mut gegen rechte Gewalt« aufgrund von Presseauswertungen und eigenen Recherchen seit 1990 zählen. Diese Menschen wurden nicht Opfer einer systematisch geplanten rechten Terrorserie, sondern zumeist aufgrund von alltäglichen rechtsextremen, antisemitischen, rassistischen, nationalistischen und sozialdarwinistischen Überzeugungen und Handlungen ermordet. Ohne diese langjährige Gewöhnung an das Ausmaß der rechten Gewalt in Deutschland, die Tolerierung und das Weggucken gegenüber den vielfältigen Aktivitäten der unterschiedlichen rechtsextremen Gruppen und Organisationen in Deutschland, lässt sich jedoch auch die Nichtaufdeckung der Mord- und Terrorserie nicht erklären. Die Politik steht häufig – wie die Reportage zeigt – noch am Anfang. So werden bereits die Ankündigungen von Initiativen des Innenministers in Nordrhein-Westfalen, wie der 8-Punkte-Aktionsplan gegen Rechtsextremismus, zum Hoffnungsschimmer für den seit vielen Jahren von Nazis terrorisierten Stadtteil Dortmund-Dorstfeld. Neu an dem Plan ist aber weniger die Hoffnung, mit der gezielt eingesetzten staatlichen Repression etwas zu verändern zu können, als vielmehr eine entschlossene Haltung, die viele demokratisch engagierte Menschen solange bei vielen Politikern vermisst haben. In Ostdeutschland haben einige in der Politik Engagierte dies zum Glück schon länger eingesehen. Der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier, setzt schon seit Jahren auf harte Repression gegen Nazis. Wie die Beispiele im Text und die langjährigen Erfahrungen der Projekte und Initiativen in Ostdeutschland zeigen, führt auch dies nicht alleine zum Erfolg. Ohne die gleichberechtigte Zusammenarbeit mit den demokratisch Engagierten in den Kommunen, und deren professionelle Begleitung und Unterstützung durch Beratungsteams, Stiftungen, Watchdog-Organisationen und Opferberatungen, können auch staatliche Akteure dauerhaft nichts gegen die rechte Gewalt ausrichten. Und es gibt noch einen Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland: Die rechte Szene in Westdeutschland wird von der Öffentlichkeit immer noch massiv unterschätzt und häufig nur symbolisch bei Aufmärschen durch Demonstrationen und Mahnwachen eingehegt. Neben der starken rechtspopulistischen Szene, die gezielt Muslime bedroht 7 und schikaniert, gibt es eine, unabhängig von der NPD über lange Jahre gewachsene, rechtsextreme Struktur aus Kameradschaften und Freien Netzen. Diese haben es gerade in den westdeutschen Flächenbundesländern geschafft, sich im ländlichen Raum fest zu verankern. Aufgrund mangelnder professioneller Strukturen, wie den Beratungsteams und den Opferberatungsstellen, ist das Wissen über diese Szene und die Anzahl der rechten Straftaten noch immer sehr oberflächlich. Seit Jahren nehmen von der Öffentlichkeit unbemerkt, gerade in Westdeutschland, die rechtsextremen Gewalttaten im Bundesvergleich anteilig zu. Die öffentlich und massiv ausgetragene Auseinandersetzung um die vom Bundesfamilienministerium geforderte sogenannte Demokratie- oder Extremismusklausel gerät angesichts der Terrorserie des Nationalsozialistischen Untergrunds zur Marginalie. Seit deren Einführung durch die Ministerin Kristina Schröder, stellt ihre Unterzeichnung die Grundvoraussetzung für eine Förderung durch den Bund dar. In ihr müssen sich die Projekte selbst, aber auch ihre Partner, zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen und für ihre Partner haften. Das Bekenntnis der Partner muss nachvollziehbar durch eigenständige Recherche überprüft und dokumentiert werden. Die Erklärung ist in ihrer Beliebigkeit nicht nur ein Symbol des Misstrauens, sondern auch eine Androhung der permanenten Kontrolle bis hin zur Drohung der Mittelrückforderung. In den Kommunen wirkt sie vor allem als Bestätigung des Vorurteils, dass die meisten Engagierten gegen Rechts linksextrem seien. Vielleicht macht die Reportage von Marion Kraske noch mal deutlich, warum die Projekte und Initiativen, angesichts der jahrelangen Blindheit und Verfehlungen der Sicherheitsbehörden, diese pauschale Verdächtigung ohne jeden Anlass als Unverschämtheit betrachten (und warum Politikwissenschaftler ihr einen nachhaltigen Schaden für die Demokratie attestieren). Der Deutsche Bundestag wünscht sich ein Land, in dem alle ohne Angst sicher zusammen leben können. Ich hoffe, dass er sich dafür dauerhaft und auf Augenhöhe mit den Bürgerinnen und Bürgern in den Kommunen engagiert. Wir sind für diese Unterstützung sehr dankbar.

Timo Reinfrank, Stiftungskoordinator der Amadeu Antonio Stiftung

 

Den vollständigen Bericht finden Sie hier.