UNICEF-Bericht zur Lage von Kindern in Industrieländern, 10.4.2013
Die dritte internationale UNICEF-Vergleichsstudie zur Lage der Kinder in Industrieländern [1] zeigt für Deutschland deutliche Verbesserungen inwichtigen Bereichen auf. Insgesamt liegt Deutschland auf Platz sechs der Industrienationen, wenn es darum geht, eine gute Lebensumwelt fürdie junge Generation zu schaffen. Im Kontrast zu positiven Entwicklungen auf Feldern wie Bildung und Risikoverhalten steht allerdings die subjektive Sicht der Jugendlichen in Deutschland auf ihre Lebenssituation.
Bei der Selbsteinschätzung der Lebenszufriedenheit von Mädchen und Jungen fällt Deutschland auf Platz 22 von insgesamt 29 untersuchten Ländern. Diese Kluft hat sich in den vergangenen Jahren verbreitert und ist jetzt größer als in jedem anderen Industrieland.
[...]
Die neue Vergleichsstudie des UNICEF-Forschungsinstituts Innocenti knüpft an die umfassenden UNICEF-Studien von 2007 und 2010 an, in denen die Lage der Kinder in Industrieländern anhand von sechs Dimensionen verglichen wurde. Das frühere Konzept wird jedoch variiert. Die Studie analysiert zunächst die Daten der fünf Dimensionen materielles Wohlbefinden, Gesundheit und Sicherheit, Bildung, Verhalten und Risiken sowie Wohnen und Umwelt und blickt dann – in einem zweiten Teil – gesondert auf das subjektive Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen. Grundlage der Analyse sind die neuesten erhältlichen Daten von Eurostat, OECD, PISA, Weltgesundheitsorganisation und Weltbank. Sie beziehen sich auf die Jahre 2009/2010 – durch die Notwendigkeit, verschiedenste nationale Datenerhebungen international vergleichbar aufzubereiten, ergibt sich eine zeitliche Verzögerung von zwei bis drei Jahren. Die Auswirkungen der Finanzkrise bilden die Daten daher nur ansatzweise ab.
2007 schnitt Deutschland im Vergleich von 21 Industrieländern in den sechs untersuchten Dimensionen insgesamt nur mittelmäßig ab und belegte Platz elf. 2010 zeigten sich Verbesserungen:
Deutschland kam beim Gesamtvergleich über alle sechs Dimensionen auf Platz acht. Die neue Studie zeigt ein zweigeteiltes Bild: In den ersten fünf Dimensionen schafft es Deutschland nun in die Spitzengruppe und liegt hinter den Niederlanden und den skandinavischen Ländern auf Platz sechs. Fragt man jedoch die Jugendlichen nach ihrer Lebenszufriedenheit, stürzt Deutschland auf Platz 22 ab. Im Unterschied zu anderen internationalen Vergleichsuntersuchungen erfassen die UNICEF-Studien nicht nur einen Einzelaspekt des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen wie die Schulleistungen, sondern materielle, soziale, leistungsbezogene und subjektive Einschätzungen. Ziel ist es, ein umfassendes Bild der Lage von Kindern zu zeichnen. Dies soll konkrete Hinweise geben, in welchen Bereichen dringender Handlungsbedarf besteht, um die Rechte von Kindern zu schützen, ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen und ihre Chancen auf Teilhabe an der gesellschaftlichen Entwicklung zu stärken. Allerdings müssen dazu in einem weiteren Schritt auch regionale Differenzierungen innerhalb Deutschlands berücksichtigt werden – dies kann die vorliegende Vergleichsstudie nicht leisten.
[...]
1. Dimension: Materielles Wohlbefinden
Beim materiellen Wohlbefinden von Kindern belegt Deutschland nur einen mittleren Platz
11. Finnland und die Niederlande führen die Rangliste an, am Ende der Bewertungsskala
finden sich Rumänien und die USA.
Als ein wichtiger Indikator für diese Dimension gilt die Rate der relativen Kinderarmut –
gemessen als Prozentsatz der Kinder bis 17 Jahre, die in Haushalten aufwachsen, deren
Einkommen unterhalb von 50 Prozent des nationalen Medianeinkommens liegt. Diese
Rate beträgt in Deutschland rund zehn Prozent. Anders als zu Beginn der 2000er Jahre
liegt Deutschland jetzt vor Frankreich und Tschechien auf Platz 11. Finnland und Niederlande
bilden die Spitze, USA und Rumänien die Schlusslichter. Betont werden muss, dass
Deutschland noch wesentlich schlechter abschneiden würde, wenn die staatlichen Transferleistungen
für Kinder gekürzt würden oder gar wegfielen. Diese Leistungen reduzieren
die Rate relativer Kinderarmut derzeit um mehr als die Hälfte.
2. Dimension: Gesundheit und Sicherheit
Obwohl Deutschland über ein hochwertiges Gesundheitssystem verfügt, reicht es bei der
Kindergesundheit im Vergleich zu den anderen Industrienationen nach wie vor nur für
einen mittleren Platz (12). In Deutschland gibt es trotz Verbesserungen in den vergangenen Jahren nach wie vor Defizite hinsichtlich der Säuglingssterblichkeit, des Geburtsgewichts der Kinder und der Impfrate. Nur knapp 95 Prozent der Kinder werden hierzulande gegen die gefährlichsten Kinderkrankheiten geimpft – mit dieser Rate liegt Deutschland nur im unteren Mittelfeld (Platz 19). In Ungarn und Griechenland beträgt der Anteil rund 98 Prozent.
Lediglich beim Vergleich der Todesraten von Kindern und Jugendlichen im Alter von 1-19 schneidet Deutschland etwas besser ab als der Durchschnitt der Industrieländer und belegt Platz sieben. Etwas mehr als 15 pro 100.000 Todesfälle entfallen hierzulande auf diese Altersgruppe. In Rumänien liegt der Anteil Jugendlicher, die durch Unfälle, Krankheiten, Verbrechen oder Selbsttötungen ihr Leben verlieren, bei über 30 pro 100.000 Todesfälle.
3. Dimension: Bildung
Die Bewertung für das deutsche Bildungssystem hat sich deutlich verbessert. Gute Noten gibt es für das Leistungsniveau und die hohe Teilhabequote. Seit der ersten Vergleichsstudie ist Deutschland im Bildungsbereich insgesamt vom Mittelfeld (Platz 11) in die Spitzengruppe auf Platz 3 vorgerückt – hinter den Niederlanden und Belgien, knapp gefolgt von Finnland.
Gegenüber dem schlechten Abschneiden deutscher Schüler bei den PISA-Tests zu Anfang der 2000er Jahre weisen neuere Daten auf deutliche Leistungsverbesserungen hin – beim Lesen, in Mathematik und Naturwissenschaften. Das bedeutet im internationalen Vergleich Platz 6. Angeführt wird diese Rangliste nach wie vor mit deutlichem Abstand von Finnland.
Positiv bewertet wird zudem, dass das deutsche Bildungs- und Ausbildungssystem mehr
Jugendliche erfasst als der Durchschnitt der europäischen Länder. 96 Prozent der Kinder und Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren befinden sich in Schule oder Ausbildung. In Spanien und Italien gingen bereits 2009/10 mehr als zehn Prozent der Jugendlichen unter 19 Jahren weder zur Schule noch hatten sie eine Lehrstelle.
Mehr als 95 Prozent der Vierjährigen besuchen in Deutschland einen Kindergarten – auch damit liegt Deutschland über dem Durchschnitt. Mehr als 85 Prozent der Mädchen und Jungen gehen später – im Alter zwischen 15 und 19 Jahren – in eine weiterführende Schule oder Hochschule. Auch dieser Wert ist überdurchschnittlich, wenn auch nur knapp.
[...]
Die Meinung der Kinder: Subjektives Wohlbefinden
In rund der Hälfte der Industrieländer hat sich die subjektive Lebenszufriedenheit der
Jugendlichen seit der ersten UNICEF-Vergleichsstudie leicht verschlechtert – so auch in
Deutschland. Verbessert hat sich die Lebenszufriedenheit vor allem in Norwegen, Portu-
gal und in Großbritannien, am stärksten gesunken ist sie in Österreich, Kanada und Griechenland.
Gemessen wird dieser Indikator anhand einer Skala von null bis zehn: null ist der schlechteste Wert, zehn der beste. Anfang der 2000er Jahre gaben noch etwas mehr als 85 Prozent der 11-, 13- und 15-Jährigen Deutschen einen positiven Wert von sechs oder höher an. Nach der neuen Studie ist dieser Anteil auf knapp unter 85 Prozent der Jugendlichen gesunken. Im Vergleich zu anderen Ländern ist Deutschland damit von Platz 12 (von damals 21 Ländern) auf Platz 22 (von 29) abgerutscht. Beim Spitzenreiter Niederlande sehen 95 Prozent der Kinder ihr Leben eher positiv, beim Schlusslicht Rumänien liegt dieser Anteil bei deutlich unter 80 Prozent.
[...]
In umgekehrter Richtung zeigt sich die breiteste Kluft mit weitem Abstand in Deutschland. Es stürzt bei der Lebenszufriedenheit um 16 Plätze nach unten ab – von einem guten Platz 6 bei den äußeren Lebensumständen auf Rang 22 von insgesamt 29 Ländern. In Luxemburg beträgt diese Differenz minus zehn Plätze (von sieben auf 17), Kanada fällt von Platz 17 auf Platz 24. Auch Polen verschlechtert sich um sieben Ränge und sinkt bei der Lebenszufriedenheit von Platz 21 auf den vorletzten Rang.
Obwohl die Daten einiger anderer Lebensbereiche sich hierzulande positiv entwickelt haben, spiegelt sich dies in der subjektiven Sicht nicht wider – im Gegenteil. Mit mehr als 15 Prozent ist der Anteil der Kinder und Jugendlichen in Deutschland, die mit sich und ihrer Situation eher unzufrieden sind, sogar leicht gewachsen. Möglicherweise hängt die Diskrepanz damit zusammen, dass subjektive Faktoren schwerer zu fassen sind als objektive Faktoren.
[...]
1 UNICEF Office of Research, Child wellbeing in rich countries, A comparative overview (Innocenti Report Card 11), April 2013
Den vollständigen Bericht finden Sie hier (pdf).