Kommunaler Finanzreport 2013 der Bertelsmann-Stiftung, 20.8.2013 (Auszug)
Während in einzelnen Ländern im Jahr 2011 bereits wieder kommunale Überschüsse erzielt werden, fallen andernorts weitere Defizite an. Die Schere innerhalb der kommunalen Familie öffnet sich weiter. Die Höhe der kommunalen Defizite droht in einzelnen Ländern in Kombination mit Vorjahresdefiziten zum Motor ihrer eigenen Entwicklung zu werden. An der Spitze dieser Entwicklung stehen das Saarland, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Mit der Finanzkrise zeichnet sich mit Hessen ein weiteres Land ab, das ohne zusätzliche Konsolidierungsanstrengungen das seit Jahren bekannte „Krisentrio“ zu einem „Krisenquartett“ erweitern könnte.
Neue Länder trotzen der Finanzkrise
In den von der Finanzkrise stark geprägten Jahren 2009 und 2010 ist es den Kommunen in den neuen Bundesländern besser gelungen, Defizite zu vermeiden. Während die Rückkehr zu Überschüssen in den wirtschaftsstarken und traditionell für eine vergleichsweise gute Finanzsituation bekannten Ländern Baden-Württemberg und Bayern im Jahr 2011 weniger überrascht, ist insbesondere der Blick auf Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern interessant. Diese drei Länder haben es geschafft, die Finanz- und Wirtschaftskrise ohne kommunale Defizite zu überstehen. Im Jahr 2011 erreichen sie ebenfalls Überschüsse. Die Haushaltslage der Kommunen der neuen Bundesländer steht jedoch mittelfristig vor großen Herausforderungen im Zuge des aus- laufenden Solidarpakts II und der demographischen Entwicklung.
Ungenutzte Steuerpotentiale verschärfen Defizite
Neben der Wirtschaftsentwicklung sind bei der für die Summe der Kommunen quantitativ wichtigsten Kommunalsteuer, der Gewerbesteuer, die Hebesätze entscheidend. Das gilt in noch stärkerem Umfang für die Grundsteuer, deren Hebesätze ebenfalls durch die Kommunalpolitik vor Ort festgesetzt werden können. Zwar liegt der Durchschnittshebesatz der konjunkturunsensiblen Grundsteuer B mittlerweile über dem der Gewerbesteuer. Trotzdem ist gerade an dieser Stelle auf- fällig, dass bei den Realsteuern noch längst nicht die verfügbaren Konsolidierungspotentiale genutzt werden. Auf Anpassungen wird bislang vielerorts zu Gunsten der Verschuldung und zu Lasten noch stärkerer Anpassungen in der Zukunft verzichtet.
Natürliche Fluktuation muss zur Anpassung der Verwaltung genutzt werden
Auf der Ausgabeseite ist bei den quantitativ bedeutsamen Personalausgaben zwangsläufig mit einem Anstieg der Versorgungslasten zu rechnen. In Anbetracht der übrigen und wachsenden Ausgabenkategorien (z.B. Soziales, Kita) scheinen Konsolidierungsmaßnahmen an dieser Stelle langfristig unvermeidlich, um die Personalausgaben in der Summe nicht überproportional anwachsen zu lassen. Der Ländervergleich liefert Hinweise, dass Aufgaben mit unterschiedlichem Personaleinsatz erbracht werden. Das setzt die Bereitschaft voraus, Abstriche im Bündel der Leistungen und deren Standards hinzunehmen. Die anstehende große Verrentungswelle im kommunalen Bereich lässt es zu, Personal mittelfristig und sozialverträglich über natürliche Fluktuation abzubauen und damit Personalausgaben zu senken. Um das ohne zusätzliche Arbeitsverdichtungen zu gewährleisten, müssen allerdings Aufgaben zurückgefahren oder über den Ausbau von Kooperationen anders organisiert werden.
Finanzvermögen reicht fast nirgendwo zur Geldschuldendeckung
Auf jeden Einwohner entfällt Ende des Jahres 2010 im Flächenländerdurchschnitt ein Kommunalfinanzvermögen von 2.071 Euro. In dieser Zahl sind die Finanzvermögen der öffentlichen Fonds, Einrichtungen und Unternehmen (FEUs) des Staatssektors bereits berücksichtigt. Werden allerdings Anteilsrechte und das Finanzvermögen beim öffentlichen Bereich in Abzug gebracht, schrumpft der Wert auf nur 726 Euro pro Kopf. Dabei ist die Spannweite innerhalb der kommunalen Familie beachtlich. In Niedersachsen und im Kommunalfinanzkrisenland Saarland erreichen die Werte des Jahres 2010 pro Einwohner nicht einmal die Hälfte des Niveaus der Länder Baden- Württemberg, Bayern und des Spitzenreiters Hessen.
Insgesamt haben im Jahr 2010 lediglich die baden-württembergischen Kommunen in ihrem Durch- schnitt ein Finanzvermögen beim nicht öffentlichen Bereich, welches die Schulden beim nicht öffentlichen Bereich übertrifft. In allen anderen Ländern sind bei diesem Bereich die Schulden größer als das Finanzvermögen. Diese Situation ändert sich auch im Jahr 2011 nicht. Zwar ist das Finanzvermögen gewachsen, die Zunahme trifft aber auch für die Schulden zu. Am dramatischsten ist das Verhältnis zwischen Finanzvermögen und Schulden im Saarland. Hier ist das Finanz- vermögen beim nicht öffentlichen Bereich bereits im Jahr 2010 mehr als sechs Mal kleiner als die korrespondierende Schuldenposition. Im Jahr 2011 spitzt sich die Lage des kleinsten Flächenlandes dramatisch zu. Die Schulden beim nicht öffentlichen Bereich übertreffen das Finanzvermögen bereits um mehr als das Neunfache.
Kassenkreditgetriebene Verschuldung wächst weiter deutlich an
Die Kommunalverschuldung in Deutschland hat sich in den vergangenen fünf Jahren stetig erhöht. In der Summe erreicht der Stand der gesamten statistisch erfassbaren kommunalen Geldschulden beim öffentlichen und nicht öffentlichen Bereich Ende 2011 einen Wert von 4.044 Euro je Einwohner. Insgesamt lediglich 41 Prozent hiervon entfallen auf die Kernhaushalte, 59 Prozent dagegen auf die Auslagerungen (Extrahaushalte und sonstige FEUs). Die niedrigsten Pro-Kopf-Schulden- stände finden sich in Bayern, Sachsen und Schleswig-Holstein. Die höchsten Werte weisen Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und das Saarland aus.
Die besonders problematischen Kassenkredite haben im Zeitraum 2007 bis 2011 am stärksten zugenommen. Die höchste Pro-Kopf-Kassenkreditverschuldung findet sich wiederum in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Eine Ursache für die zunehmend bedrohlichen Kassenkreditbestände liegt u.a. in zu weichen Begrenzungsregelungen im kommunalen Haushaltsrecht bzw. nicht effektiver Kommunalaufsicht einzelner Länder. Grundsätzlich zu beachten ist, dass bislang lediglich Geldschulden/Verbindlichkeiten statistisch berichtet werden. Die im neuen doppischen Haushaltsrecht erfassten Rückstellungen (z.B. für Pensionen) bleiben damit noch unberücksichtigt. Die statistisch ausgewiesene Kommunalverschuldung ist folglich noch immer deutlich untererfasst.
Doppische Schuldenbremse kann Kommunalfinanzen nachhaltig konsolidieren
Die kritische Verschuldungssituation in vielen Kommunen verdeutlicht die Notwendigkeit der Etablierung einer neuen, den Grundsatz der Generationengerechtigkeit sicherstellenden Kommunalschuldenbremse. Die vielerorts vollzogene Umstellung von der Kameralistik auf die kommunale Doppik ermöglicht es, eine derartige Schuldenbremse zu konstruieren.
Im Kern besteht das Konzept der doppischen Kommunalschuldenbremse aus drei Hauptkomponenten: erstens dem doppischen Haushalts- und Rechnungswesen als Datengrundlage, zweitens der Pflicht zum Haushaltsausgleich im ordentlichen Ergebnis und drittens der Erhebung eines sogenannten Generationenbeitrages für den Fall, dass die Haushaltsausgleichspflicht verletzt wird. Die aus dem Generationenbeitrag hervorgehende Anreizwirkung auf politische Akteure ist geeignet, in finanzieller Hinsicht ein Wirtschaften auf Kosten künftiger Generationen zu unterbinden und die Kommunalfinanzsituation langfristig auf solide Beine zu stellen. Eine Voraussetzung für das Konzept besteht in funktionierenden Konnexitätsregeln.
Die vollständige Studie finden Sie hier.