Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte zu Gewalt gegen Frauen in der EU, 5.3.2014
Warum brauchen wir diese Erhebung?
Gewalt gegen Frauen als Grundrechtsverstoß in der EU hervorheben
Gewalt gegen Frauen – hierzu gehören Straftaten mit unverhältnismäßigen Auswirkungen auf Frauen, wie sexuelle Übergriffe, Vergewaltigung und „häusliche Gewalt“ – ist ein Verstoß gegen die Grundrechte von Frauen in Bezug auf Würde, Gleichheit und Zugang zur Justiz. Die Auswirkungen dieser Gewalt betreffen nicht nur die Frauen, die Opfer von Gewalt wurden, sondern auch ihre Familien, FreundInnen und die Gesellschaft insgesamt. Dies fordert dazu auf, die Reaktionen von Gesellschaft und Staat zu dieser Form des Missbrauchs kritisch zu hinterfragen.
Zivilgesellschaftliche AkteurInnen und zwischenstaatliche Organisationen, darunter der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau und der Europarat, haben sich in den vergangen Jahrzehnten darum bemüht, das Ausmaß sowie verschiedene Formen der Gewalt gegen Frauen aufzuzeigen. Initiativen auf Ebene einzelner EU-Mitgliedstaaten haben diese Anstrengungen unterstützt. Die veröffentlichten FRA-Erhebungsdaten zeigen, dass Gewalt gegen Frauen ein umfassender und weit verbreiteter Verstoß gegenGrundrechteist,derdasLebenvielerFrauenin der EU betrifft.
Auf den Bedarf nach Daten reagieren
In vielen EU-Mitgliedstaaten müssen sich die politischen EntscheidungsträgerInnen und Fachleute noch immer mit einem Mangel an umfassenden Daten zu Ausmaß und Art des Problems auseinandersetzen, wenn es um die erheblichen Auswirkungen von Gewalt gegen Frauen geht. Da die meisten Frauen Gewalt nicht melden und sich von den Systemen, die oft als wenig unterstützend empfunden werden, nicht dazu ermutigt fühlen, können amtliche strafrechtliche Daten nur die wenigen Fälle umfassen, die gemeldet werden. Dies bedeutet, dass politische und praktische Reaktionen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen nicht immer durch umfassende Fakten fundiert sind. Auch wenn einige Mitgliedstaaten und Forschungsinstitute Erhebungen und andere Forschungsarbeiten über Gewalt gegen Frauen durchgeführt haben, mangelt es weiterhin EU-weit an verlässlichen und vergleichbaren Daten in diesem Bereich – anders als in anderen Bereichen, wie etwa der Beschäftigung, für die mehrere Mitgliedstaaten geschlechtsbezogene Daten erfassen.
Die EU-weite FRA-Erhebung geht auf eine Anfrage des Europäischen Parlaments nach Datenmaterial zu Gewalt gegen Frauen zurück, die der Rat der EU in seinen Schlussfolgerungen zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen in der EU ebenfalls aufgegefriffen hat. Die FRA hat mit einer Zufallsstichprobe 42 000 persönliche Interviews mit Frauen in den 28 EU-Mitgliedstaaten durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Befragungen können nun gemeinsam mit vorhandenen Daten, aber auch den Wissenslücken zu Gewalt gegen Frauen auf EUund nationaler Ebene betrachtet werden.
Daten zur Information und Unterstützung von Gesetzgebung und Politik
Zu den Maßnahmen auf europäischer Ebene, die das Vorgehen gegen Gewalt gegen Frauen unterstützen können, gehören die EU-Opferschutzrichtlinie (2012/29/EU) sowie das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, die sogenannte Istanbul-Konvention. Die 2012 verabschiedete EU-Opferschutzrichtlinie legt Mindeststandards für die Rechte, den Schutz und die Unterstützung von Opfern von Straftaten in der EU fest und verweist speziell auf Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt, Opfer von sexueller Gewalt und Opfer von Gewalt in einer engen Beziehung. Die 2011 verabschiedete IstanbulKonvention ist das erste rechtsverbindliche regionale Instrument, das sich umfassend mit unterschiedlichen Formen von Gewalt gegen Frauen wie psychischer Gewalt, Stalking, körperlicher Gewalt, sexueller Gewalt und sexueller Belästigung beschäftigt. Die Konvention wird nach zehn Ratifizierungen in Kraft treten.
Während einerseits ermutigende Entwicklungen auf rechtlicher Ebene zu verzeichnen sind, weisen andererseits Fakten aus der EU-weiten FRA-Erhebung zur Gewalt gegen Frauen darauf hin, dass die Mehrzahl der Frauen, die Opfer von Gewalt sind, die Vorfälle weder der Polizei noch Organisationen zur Opferbetreuung melden. Dies ist besonders in solchen EU-Mitgliedstaaten problematisch, in denen Diskussionen über Erfahrungen mit Gewalt gegen Frauen und das Offenbaren persönlicher Gewalterfahrungen noch nicht die Norm sind. Infolgedessen kommen die meisten Frauen, die Opfer von Gewalt sind, nicht mit dem Strafrechtssystem und anderen einschlägigen Stellen in Kontakt. Dies trifft verschärft auf Mitgliedstaaten zu, in denen Gewalt gegen Frauen kein wichtiger Bereich für politische Interventionen ist. Aus diesen Gründen ist klar, dass die Bedürfnisse und Rechte von Frauen in der EU derzeit in der Praxis nicht erfüllt werden.
Daher gilt es zu prüfen, wie sich die Rechtspraxis im Vergleich zum schriftlich niedergelegten Recht ausmacht. Dies kann dazu beitragen, dass mehr Vorfälle gemeldet, Reaktionen auf Gewalt gegen Frauen verbessert und ausreichende Mittel für gezielte Opferhilfe bereitgestellt werden. Die Erhebungsergebnisse zeigen Muster auf, nach denen Frauen Missbrauch melden, und nennen Gründe für Nicht-Meldungen. Dies kann konkret für die einzelnen Mitgliedstaaten untersucht werden.
FRA-Stellungnahmen und Entwicklungsperspektiven
Gestützt auf die detaillierten Erhebungsergebnisse hat die FRA eine Reihe von Stellungnahmen formuliert, die unterschiedliche Vorgehensweisen vorschlagen, mit denen Gewalt gegen Frauen besser erkannt und
darauf reagiert werden kann. Dazu gehören Maßnahmen außerhalb der engen Grenzen des Strafrechts, die vom Beschäftigungsund Gesundheitssektor bis hin zu den neuen Technologien reichen, einschließlich gezielter Initiativen zur Sensibilisierung, um höhere Meldungsraten zu fördern.
Diese Stellungnahmen bauen auf früheren Forderungen von Organisationen wie den UN und dem Europarat auf, Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen zu ergreifen. Die FRA-Stellungnahmen und Vorschläge für mögliche Vorgehensweisen stützen sich erstmals auf Fakten, die in persönlichen Befragungen von 42 000 Frauen in allen 28 EU-Mitgliedstaaten gesammelt wurden.
Zwischenstaatliche Organisationen und die Zivilgesellschaft haben bereits seit vielen Jahren zuverlässige und umfassende Daten über Gewalt gegen Frauen eingefordert, um die Entwicklung von politischen und praktischen Maßnahmen gegen diesen Grundrechtsverstoß zu unterstützen. Mit der Veröffentlichung der FRA-Erhebungsergebnisse zur EU-weiten Gewalt gegen Frauen stehen diese Daten nun zur Nutzung bereit.
Die gesamte Studie finden Sie hier.