Studie des Vereins für Demokratische Kultur und der Friedrich-Ebert-Stiftung zu kommunalen Strategien gegen Rechtsextremismus, 1.4.2014
Es gibt kein Patentrezept für die kommunale Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus inner- und außerhalb der kommunalen Gremien. Dafür sind die Gegebenheiten vor Ort, das Agieren der extremen Rechten und die Verfasstheit der kommunalen Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft zu unterschiedlich. Aus den bisherigen Erfahrungen lassen sich jedoch zumindest Gelingensbedingungen für einen als erfolgreich empfundenen Umgang mit extrem rechten Mandatsträger/innen formulieren – insbesondere im Umfeld von Kommunalwahlen.
Vor der Kommunalwahl
1. Eine gemeinsame Problemdefinition erarbeiten Eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit dem lokalen Rechtsextremismus erfordert eine gemeinsame Problemanalyse. Dafür ist es sinnvoll, nicht nur die extrem rechten Akteure und ihre Aktivitäten zu betrachten, sondern auch ein gemeinsames Verständnis von Rechtsextremismus und dessen zentralen ideologischen Inhalten zu entwickeln.
2. Verständigung unter den demokratischen Kräften Die Verständigung über das Problem des Rechtsextremismus und eine inhaltliche Analyse dessen seitens der demokratischen Kommunalpolitik sind zwingende Voraussetzungen dafür, die Auseinandersetzung um demokratische Werte angesichts einer Pluralisierung der extrem rechten Parteienlandschaft führen zu können.
3. Kontakt zu lokalen Kooperationen und Bündnissen aufnehmen Breite Bündnisse, in denen neben demokratischen Parteien und Vertreter/ innen von Behörden und Verwaltung auch zivilgesellschaftliche Initiativen, religiöse Institutionen, Migrant/innen-Organisationen und Gewerkschaften vertreten sind, ermöglichen einen breiten Konsens gegen Rechtsextremismus. Kommunalpolitiker/innen haben eine Schlüsselstellung bei der Initiierung solcher Bündnisse.
4. Klare Positionen beziehen Im Wahlkampf kann eine gemeinsame Erklärung aller demokratischen Parteien dazu dienen, sich gegenseitig gewisse Mindeststandards zuzusichern und diese auch nach außen zu kommunizieren. Eine deutliche Positionierung lokaler Entscheidungsträger/innen setzt wichtige Signale in der Kommune und verleiht gemeinsam erarbeiteten Erklärungen und Handlungskonzepten die erforderliche Legitimität.
Direkt nach der Wahl
1. Verbindliche Vereinbarungen zum Umgang mit den extrem rechten Verordneten treffen Spätestens nach dem Einzug extrem rechter Verordneter in das kommunale Gremium müssen sich die demokratischen Kräfte über den Umgang mit diesen verständigen. Dafür gibt es verschiedene erprobte Modelle aus den Landtagen von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern sowie aus zahlreichen kommunalen Gremien. Unerlässlich ist die Vereinbarung, Anträgen der extremen Rechten nicht zuzustimmen, um ihnen keinen politischen Gestaltungsspielraum zu eröffnen.
2. Die Ächtung der extremen Rechten öffentlich begründen Auch wenn Anfragen, Anträge und Wortbeiträge extrem rechter Mandatsträger/ innen teilweise keinen ideologischen Inhalt haben, gehören sie zur politischen Strategie der Normalisierung und werden in der Regel durch menschenverachtende Äußerungen derselben politischen Kräfte an anderer Stelle ergänzt. Demokratische Kommunalpolitiker/innen können darauf verweisen und ihre ablehnende Haltung somit nachvollziehbar begründen. Extrem rechte Akteure versuchen sowohl in den Gremien als auch in eigenen Publikationen, den ausgrenzend-ignorierenden Umgang als undemokratische Praxis zu kennzeichnen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer sich wandelnden Öffentlichkeit in Bezug auf die kommunalen Gremien (Übertragung per Livestream u. ä.) sind Gegenreden und Klarstellungen von Vertreter/innen der demokratischen Fraktionen unbedingt notwendig, um die extrem rechte Selbstdarstellung nicht unwidersprochen zu lassen.
3. Handlungsmöglichkeiten der Sitzungsleitung nutzen Die Sitzungsleitung kann allein durch die von ihr gewählten Anredeformen die Geschlossenheit der Demokrat/innen zum Ausdruck bringen. Vor dem Hintergrund der Klagefreudigkeit extrem rechter Mandatsträger/ innen sind Rechtssicherheit und genaue Kenntnisse der Regeln wie Geschäfts- und Kommunalverordnungen wichtige Voraussetzungen.
4. Formaljuristische Umgangsformen Es sollte genau abgewogen werden, ob formelle Mittel der Einschränkung von Handlungsspielräumen für die Auseinandersetzung tatsächlich notwendig sind. Das Heraufsetzen parlamentarischer Hürden ist immer auch mit einem Abbau von Rechten und demokratischen Standards verbunden und schadet den kleineren demokratischen Parteien und Wählervereinigungen.
5. Zuständigkeiten klären Vielfach obliegt es Einzelpersonen in den Fraktionen, eine Reaktion auf parlamentarische Initiativen der extremen Rechten „anzumelden“ oder einzufordern. Hier ist es empfehlenswert, die Zuständigkeiten innerhalb der Fraktionen zu klären und eine/n Sprecher/in zu ernennen – ohne damit das Thema wegzudelegieren.
6. Der persönliche Umgang Der persönliche Umgang mit extrem rechten Mandatsträger/innen wird sehr unterschiedlich gehandhabt. Es sollte jedoch klar sein, dass auch alltägliche Gesten der Höflichkeit dem Ziel der extremen Rechten entgegenkommen, als „normale“ politische Kraft akzeptiert zu werden.
7. Externe Perspektiven einbeziehen Gut vorbereitete Zurückweisungen extrem rechter Initiativen in den Gremien erreichen eine größere Öffentlichkeit, wenn sie medial aufgegriffen werden. Schriftliche Ausarbeitungen und Hintergrundinformationen für Journalist/innen bieten eine gute Möglichkeit, anlassbezogen eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, auch externe Redner/innen im Gremium zu Wort kommen zu lassen.
8. Was tun bei abweichenden geheimen Abstimmungsergebnissen? Eine öffentliche Skandalisierung einzelner Stimmen demokratischer Vertreter/innen für Initiativen der extrem rechten Parteien ist wenig hilfreich. Vielmehr empfiehlt es sich, den parteiinternen sowie -übergreifenden Austausch über den lokalen Umgang zu suchen und den demokratischen Konsens zu erneuern.
Dauerhaft
1. Auf extrem rechten Aktivitäten reagieren Rechtsextreme Aktivitäten sollten in der Kommune nie unwidersprochen bleiben. Bei extrem rechten Aufmärschen ermöglichen breite Kooperationen, die Zielsetzungen der Gegenaktivitäten aufeinander abzustimmen und dadurch auch am Tag des Protests selbst eine gute Kommunikation zwischen den beteiligten Institutionen wie der Polizei, der Verwaltung, den Parteien und den zivilgesellschaftlichen Akteuren zu gewährleisten.
2. Neue Formen der Beteiligung erproben, um die lokale Demokratie zu stärken Kommunalpolitiker/innen sind vielerorts mit einem mangelnden Interesse an kommunalpolitischen Entscheidungsprozessen konfrontiert. Kommunen sollten ihre Spielräume nutzen, neue Formen der politischen Beteiligung auszuprobieren, bei denen es nicht allein um Mitsprache, sondern auch um Entscheidungsrechte geht, die für die Politik verbindlich sind. Konzepte von Bürgerbeteiligungen werden auf kommunaler Ebene nicht nur intensiv diskutiert, sondern auch von extrem rechten Parteien für sich in Anspruch genommen. Eine vorausschauende und offensive Bearbeitung lokaler Problemlagen ist daher eine zentrale Voraussetzung dafür, dass sich extrem rechte Akteure bei lokalen Konflikten nicht als alleinige Fürsprecher/innen inszenieren können.
3. Flächendeckende Präsenz demokratischer Parteien Demokratische Parteien stehen in der Verantwortung, mit Angeboten flächendeckend präsent zu sein, insbesondere dort, wo Parteistrukturen nicht (mehr) bestehen. Die Angebote können temporär sein, sollten allerdings nicht nur in Zeiten des Wahlkampfs stattfinden.
4. Vorausschauende Bearbeitung lokaler Problemlagen Es ist ein immer wieder kehrendes Problem, dass extrem rechte Verordnete als Erste reale Missstände in einer Kommune ansprechen und sich damit als Interessenvertreter/innen positionieren. Um dies zu vermeiden, müssen demokratische Parteien nah an den Sorgen der Bürger/innen sein und diese frühzeitig aufgreifen.
Am Ende gilt: Eine gute Kommunalpolitik im Interesse der Bürger/innen ist auch eine erfolgreiche Prävention gegen Rechtsextremismus.
Die vollständige Studie finden Sie hier.