Dokumente zum Zeitgeschehen

»Die meisten Bundesländer vollziehen Abschiebehaft in Justizvollzugsanstalten«

Jahresbericht der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter, 4.4.2014

Die Nationale Stelle legte im Jahr 2013 den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit auf Abschiebungshaft und Rückführungen auf dem Luftweg. Der Vollzug von Abschiebungshaft fällt in den Zuständigkeitsbereich der Innenministerien der Länder. Jedoch haben nur die Bundesländer Berlin, Brandenburg und Rheinland-Pfalz spezielle Abschiebungshafteinrichtungen geschaffen. In den übrigen Ländern wird diese Haftform in Amtshilfe durch die Justizministerien in Justizvollzugsanstalten vollzogen. Die Länderkommission besuchte im Berichtszeitraum insgesamt neun Abschiebungshafteinrichtungen, darunter die drei genannten speziellen Einrichtungen sowie Abschiebungshaftabteilungen in Justizvollzugsanstalten. Die Abschiebungshaft Berlin-Köpenick wurde in Form eines Nachfolgebesuchs zum zweiten Mal besichtigt. Außerdem besuchte die Länderkommission zusammen mit der Bundesstelle eine Aufnahmeeinrichtung für Ausländer am Flughafen Frankfurt, in der Personen während des Flughafenverfahrens oder zur Vorbereitung der Zurückweisung untergebracht werden. Eine Abfrage bei den Ländern ergab, dass sich im Jahr 2011 in Deutschland insgesamt 6.781 Personen in Abschiebungshaft befanden, darunter 87 Personen unter 18 Jahren. Im Jahr 2012 waren noch 5.748 Personen in Abschiebungshaft, darunter 55 unter 18 Jahren. 2013 ging die Zahl der Abschiebungshäftlinge nochmals zurück auf insgesamt 4.812 Abschiebungshäftlinge unter denen sich nur noch 15 Personen unter 18 Jahren befanden.8 Die Nationale Stelle begrüsst diese rücklaÅNufige Tendenz bei der Anordnung von Abschiebungshaft.

1.1 – Strittige Rechtsgrundlage

Abschiebungshaft wird nicht aufgrund einer Straftat verhängt, sondern dient ausschließlich der Vorbereitung und Sicherung der Abschiebung. Gemäß der Richtlinie 2008/115/EG (EU-Rückführungsrichtlinie) sind Abschiebungshäftlinge deshalb grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen unterzubringen. Artikel 16 (1) der Rückführungsrichtlinie legt fest: „Die Inhaftierung erfolgt grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen. Sind in einem Mitgliedstaat solche speziellen Hafteinrichtungen nicht vorhanden und muss die Unterbringung in gewöhnlichen Haftanstalten erfolgen, so werden in Haft genommene Drittstaatsangehörige gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangenen untergebracht.“

Diese Regelung wurde in Deutschland durch § 62a Aufenthaltsgesetz wie folgt umgesetzt: „Die Abschiebungshaft wird grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen vollzogen. Sind spezielle Hafteinrichtungen im Land nicht vorhanden, kann sie in diesem Land in sonstigen Haftanstalten vollzogen werden; die Abschiebungsgefangenen sind in diesem Fall getrennt von Strafgefangenen unterzubringen. Werden mehrere Angehörige einer Familie inhaftiert, so sind diese getrennt von den übrigen Abschiebungsgefangenen unterzubringen. Ihnen ist ein angemessenes Maß an Privatsphäre zu gewährleisten.“

Dabei ist strittig, ob der Wortlaut der EU-Richtlinie den Vollzug von Abschiebungshaft in Justizvollzugsanstalten stützt, wenn in einem einzelnen Bundesland keine spezielle Hafteinrichtung vorhanden ist. Mit der Rechtmäßigkeit des Vollzuges von Abschiebungshaft in Einrichtungen des Justizvollzuges befasste sich der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 11. Juli 2013 und legte dem Europäischen Gerichtshof diese Frage zur Vorabentscheidung vor: „Ergibt sich aus Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedsstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2008 Nr. L 348/98) auch dann die Verpflichtung eines Mitgliedsstaates, Abschiebungshaft grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen zu vollziehen, wenn solche Einrichtungen nur in einem Teil der föderalen Untergliederungen dieses Mitgliedsstaats vorhanden sind, in anderen aber nicht?“

Derzeit liegt noch keine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs dazu vor. Allerdings befassten sich zwischenzeitlich bereits zahlreiche deutsche Gerichte mit dieser Frage und vertraten in vielen Fällen die Auffassung, dass der Vollzug von Abschiebungshaft in Justizvollzugsanstalten nicht im Einklang mit der Richtlinie 2008/115/EG stehe, da sich ihr Wortlaut auf den Mitgliedsstaat als Ganzen beziehe und nicht auf die föderale Untergliederung.10 In Bayern wurde Ende November 2013 der Vollzug der Abschiebungshaft vorläufig in die allein dafür zuständige Justizvollzugsanstalt Mühldorf am Inn verlegt.

1.2 – Rückgang der Anordnung von Abschiebungshaft und Konsequenzen für den Abschiebungshaftvollzug in Justizvollzugsanstalten 

Der Großteil der Bundesländer vollzieht Abschiebungshaft allerdings nach wie vor in Justizvollzugsanstalten und vereinzelt auch Polizeidienststellen bzw. speziellen Hafteinrichtungen der Polizei. Zwar kann der Vollzug von Abschiebungshaft in Justizvollzugsanstalten Vorteile mit sich bringen, wie beispielsweise eine gute Infrastruktur, die von der Abschiebungshaft mitgenutzt werden kann. So sind in Justizvollzugsanstalten die Fachdienste (v.a. Ärztinnen bzw. Ärzte und Psychologinnen bzw. Psychologen) vor Ort, oft ist zudem ein gutes Angebot an Freizeit- und Beschäftigungsmöglichkeiten vorhanden. Auch eine größere Nähe der Abschiebungshäftlinge zu ihren Angehörigen wird in vielen Fällen durch die Unterbringung in einer Justizvollzugsanstalt ermöglicht. Allerdings führt diese Unterbringung zusammen mit dem Rückgang der Anordnungen von Abschiebungshaft zu neuen Problemen.

So stellte die Länderkommission in mehreren Einrichtungen fest, dass sich nur eine Frau in Abschiebungshaft befand und folglich alleine in der Abteilung der Haftanstalt untergebracht war. Diese Unterbringungssituation kommt – wenn auch ungewollt – einer Einzelhaft gleich. Zusätzlich wird die Situation dieser Frauen vielfach dadurch erschwert, dass sie sich aufgrund sprachlicher Probleme nicht mit dem Personal der Einrichtung verständigen können, so dass auch hier keinerlei Ansprache und Kommunikation möglich ist. Einige Bundesländer haben untereinander Kooperationsvereinbarungen für die Aufnahme weiblicher Abschiebungshäftlinge getroffen. So nimmt beispielsweise die brandenburgische Abschiebungshafteinrichtung Eisenhüttenstadt auch weibliche Abschiebungshäftlinge aus Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern auf. Dennoch kam es auch in diesen Einrichtungen zu dem beschriebenen Problem der Isolation.

Darüber hinaus ergeben sich zahlreiche weitere Probleme aus der oft geringen Anzahl von Abschiebungshäftlingen.

In vielen Fällen behindert das Fehlen einer gemeinsamen Sprache den Austausch unter den Häftlingen. Eine gemeinsame Freizeitgestaltung wird so ebenfalls erschwert und die unterbreiteten Angebote werden kaum wahrgenommen. Auch die Kommunikation mit Bediensteten gestaltet sich aufgrund von Sprachbarrieren schwierig bis unmöglich, da das Personal häufig nicht über einschlägige Sprachkenntnisse verfügt. Dies wirkt sich wiederum auch auf die Motivation der Bediensteten aus, die beispielsweise Freizeitangebote aufgrund geringer Teilnahme einstellen. Auch Fachdienste wie beispielsweise Sozialarbeiterinnen bzw. Sozialarbeiter werden oft nur auf Abruf tätig, da eine Anstellung für einige wenige Abschiebungshäftlinge nicht zu rechtfertigen ist.

1.3 – Die Vorteile spezieller Hafteinrichtungen

In gesonderten Einrichtungen kann der Vollzug von Abschiebungshaft so konzipiert werden, dass der besonderen Situation der Abschiebungshäftlinge angemessen Rechnung getragen wird. Es ist dabei nicht entscheidend, ob diese Einrichtungen unter der Aufsicht der Innen- oder der Justizverwaltung stehen. Abschiebungshäftlinge sind in speziellen Einrichtungen nicht in demselben Maße den strafvollzugsspezifischen Einschränkungen und Sicherheitsvorkehrungen wie z.B. Ein- und Aufschlusszeiten, zeitlich beschränktem Hofgang, begrenzten Besuchszeiten, Postkontrolle, Handyverbot u.ä. unterworfen, wie es Straf- und Untersuchungsgefangene sind. Zudem können sie durch speziell für diesen Bereich ausgewähltes und fortgebildetes Personal mit einschlägigen Sprachkenntnissen besser betreut werden. Ihnen können umfangreichere Freizeit- und Beschäftigungsangebote unterbreitet werden. Durch die Einrichtung von wenigen speziellen Zentren treffen dort zahlenmäßig mehr Abschiebungshäftlinge zusammen, die demselben Sprach- oder Kulturkreis entstammen. Dadurch könnte der vielfach beobachteten Isolation und dem innerlichen Rückzug des Einzelnen besser begegnet werden. Unter Abwägung aller Argumente empfiehlt die Länderkommission daher, spezielle Einrichtungen für den Vollzug von Abschiebungshaft zu schaffen, die den abschiebungshaftspezifischen Anforderungen genügen. Die Bundesländer Rheinland- Pfalz, Brandenburg und Berlin verfügen bereits über eine solche spezielle Einrichtung. Auch Bayern vollzieht seit November 2013 Abschiebungshaft zunächst vorläufig bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in einer zentralen Einrichtung.

Den vollständigen Bericht finden Sie hier.