Dokumente zum Zeitgeschehen

»Gleichgültigkeit und Ablehnung gegenüber Sinti und Roma«

Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu Einstellungen der deutschen Bevölkerung gegenüber Sinti und Roma, 3.9.2014

Die Ergebnisse der vorliegenden Umfrage zur Bevölkerungseinstellung gegenüber Sinti und Roma in Deutschland zeigen, dass sich die Einstellungen gegenüber der Minderheit sowohl im Einzelnen wie auch in der Gesamtheit zwischen ausgeprägter Gleichgültigkeit und deutlicher Ablehnung bewegen. Die Ein­stellungen sind jedoch weniger starr und festgefügt, als es bei einem klaren Feindbild der Fall ist, und die ermittelten Antworten sprechen über die gesamte Umfrage hinweg für eine eher unentschiedene Haltung. Sinti und Roma sind der Bevölkerung als Gruppe nicht vertraut. Zu vielen Fragen fehlte den Interviewten sowohl auf kognitiver wie auch auf emotionaler Ebene der Bezug zu dem Thema. Zum Zeitpunkt der Erhe­bung kann daher für eine Mehrheit der gegenwärtig in Deutschland lebenden Menschen nicht von einem Feindbild gesprochen werden. Dass es allerdings keines klaren Feindbildes bedarf, um situativ ein hohes Maß an Ablehnung gegenüber Sinti und Roma zu äußern, belegen die Ergebnisse.

Die Analyse der soziodemografischen Daten belegt, dass es bei der zu beobachtenden Ablehnung von Sin­ti und Roma keine klar definierbare Trägerschicht gibt. Stattdessen ist die messbare Abwertung und die Existenz von Vorurteilen in allen Bevölkerungsgruppen anzutreffen. Einzig die Häufigkeit, mit der negative Äußerungen getroffen oder unterstützende Maßnahmen verweigert werden, kann in einzelnen Fragen je nach Alter, Bildung, politischer Orientierung oder finanzieller Stellung der Befragten variieren. Doch selbst diesen Bewertungen liegt keine eindeutige Vorstellung von Sinti und Roma zugrunde. Vielmehr greifen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf ein Konglomerat weniger Versatzstücke zurück, die sie an die jewei­lige Situation anpassen. Im Allgemeinen überwiegt jedoch eine ausgeprägte Gleichgültigkeit gegenüber dem Thema, das nur eine geringe Stellung im Lebensalltag der Befragten einnimmt.

Für die Studie wurden im Zeitraum vom 13. Mai bis zum 17. Juni 2013 bundesweit 2001 Personen im Alter von über 18 Jahren telefonisch befragt. Weiterhin fanden die qualitativen Interviews mit 20 Per­sonen Eingang in die Studie. Ihre Aufzeichnung erfolgte im Zeitraum von Anfang August bis Mitte Oktober 2013.

Wissen über Sinti und Roma und Wege der Wissensvermittlung

Die gestellten Wissensfragen bringen ein mangelndes Interesse und Wissen offen zutage. Obwohl die große Mehrheit der Befragten die Begriffe Sinti und Roma kennt (92 Prozent) und über drei Viertel von ihnen davon ausgehen, dass es Sinti und Roma mit deutscher Staatsbürgerschaft gibt, zeigt sich durchgehend nur ein sehr oberflächliches Wissen. Somit sind auch die realistischen Einschätzungen zur Gesamtzahl der in Deutschland lebenden Sinti und Roma nicht als Ausdruck eines fundierten Wissens zu werten, sondern als Zeichen der geringen Wahrnehmung und fehlenden Relevanz im Alltagsleben der Befragten. Folgerichtig sehen sie sich auch nicht in der Lage, die in den Begriffen angelegte Differenzierung auf die Angehörigen der Minderheit zu übertragen: 93 Prozent bekannten sich dazu, keinen Unterschied zwischen Sinti und Roma zu machen. Das Ergebnis findet seine Bestätigung in den qualitativen Interviews. Der Schluss aus diesen Resultaten lautet, dass es in der Gesellschaft kein ausreichendes Angebot gibt, sich dieses Wissen überhaupt anzueignen. Damit sind die entscheidenden Vermittlungsinstanzen, insbesondere die Bildungs­einrichtungen, aber auch die öffentlich-rechtlichen Medien gefordert.

Assoziationen zum Begriff „Zigeuner“

In der ersten von drei offenen Fragen erhielten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Möglichkeit, ihre spontanen Eindrücke zum Begriff „Zigeuner“17 zu äußern. Die Frage traf auf eine sehr hohe Ant­wortbereitschaft. Über ein Drittel der Antworten beinhaltete die Nennung des Begriffs „fahrendes Volk“ oder synonyme Termini. Insgesamt wurden in fast der Hälfte der Antworten mit dem Begriff „Zigeuner“ Elemente von lokaler Unstetigkeit verbunden. Mit weitaus weniger Nennungen, aber dennoch an zwei­ter Stelle folgten Aussagen, die unter der Kategorie „kriminelle Handlungen“ zusammengefasst wurden. Ähnliche Ergebnisse waren gleichfalls im Polaritätenprofil zu beobachten. Auch dort neigte ein Großteil der Befragten dazu, Sinti und Roma eher als „kriminell“ statt als „gesetzestreu“ anzusehen. An dritter Stelle der offenen Nennungen erschien der Aspekt „Bettelei“, der vor allem als Gegenwartsbeschreibung zu finden war. Entsprechend präsent zeigte sich dieser Bezug zur „Bettelei“ in den qualitativen Interviews. Die Kate­gorie „kriminelle Handlungen“ wurde dort wiederum nur marginal benannt.

Tradierte und romantisierende Bilder sind nur selten zu finden. Vor allem in der jüngsten Altersgruppe fehlten diese Assoziationen. Die qualitativen Interviews zeigen ebenfalls, dass entsprechende Bilder den Befragten kaum noch präsent sind. Sie werden von ihnen oft nicht einmal mehr erkannt. Das gilt bereits für die mittlere Generation. Hierin zeigt sich der brüchig gewordene Bestand überlieferter „Zigeuner“­Bilder. Der Verweis auf frühere Generationen spricht für eine intergenerationelle Perpetuierung von Ste­reotypen, sie betont aber zugleich deren kritische Reflexion. An diesem Übergang zwischen familiärem und gesellschaftlichem Lernprozess müssten somit die staatlichen Sozialisationsinstanzen eingreifen und verhindern, dass sich althergebrachte Vorurteile noch länger generationsübergreifend fortschreiben. Entsprechend reflektierte nur eine Minderheit von 6 Prozent die Verwendung des Begriffs „Zigeuner“ oder lehnte ihn ab.

Wahrnehmung von Berichterstattung über Sinti und Roma

Die zweite offene Frage widmete sich der aktuellen Berichterstattung über Sinti und Roma. Jedoch wurde sie von der Mehrheit der Teilnehmenden nicht wahrgenommen, was sich auch in den qualitativen Inter­views zeigte. Lediglich 40 Prozent der Befragten hatten die Beiträge registriert und konnten über deren Inhalte etwas sagen. Dabei überwog die Nennung von Themenfeldern wie „Integrationsprobleme“, „Dis­kriminierung von Sinti und Roma“, „Zuwanderung nach Deutschland“, „Freizügigkeit“ und „Asylpolitik“. Ungeachtet dessen, ob sie Medienberichte kannten oder nicht, gab der Großteil (74 Prozent) an, dass diese Themen kein Gesprächsgegenstand für sie sind. Auch zu diesem Punkt erbrachten die qualitativen Befra­gungen vergleichbare Antworten.

Angesichts der zum Teil sehr kritischen Momente in der medialen Präsentation der Minderheit im Jahr 2013 könnte dieser Befund mit einer gewissen Erleichterung aufgenommen werden, vorausgesetzt, es ließe sich mit Bestimmtheit sagen, dass die Indifferenz in der Bevölkerung anhält. Die häufige mediale Wiederholung einer gesellschaftlichen Schädlichkeit von Sinti und Roma, die anhand der Topoi von mangelnder Zivilisa­tion, verbrecherischen und mafiösen Clanstrukturen oder dem drohenden Missbrauch des deutschen Sozi­alstaates verbalisiert wurde, kann zu einer Reaktivierung von Vorurteilen führen, die im Prozess des Vergessens begriffen sind. Eine weitergehende Analyse ergab, dass insbesondere jene Personen, die bereits eine negativere Einstellung gegenüber Sinti und Roma haben – dieser Teil umfasst 7 bis 8 Prozent aller Befragten – verstärkt die Medienberichte verfolgen und entsprechend häufiger mit stereotypen Artikeln und Sen­dungen konfrontiert werden. Gerade bei ihnen können sich Vorurteile bestätigen und damit verfestigen.

„Erkennbarkeit“ von Sinti und Roma

Die dritte und letzte offene Frage galt der vermeintlichen „Erkennbarkeit“ von Sinti und Roma. Es wurden lediglich jene 31 Prozent der Interviewten befragt, die meinten, Angehörige der Minderheit erkennen zu können. Die meisten Zuschreibungen basieren auf Äußerlichkeiten, die als „typisch“ erachtet werden. Auch mangelnde Hygiene, „Dreck“ und gesetzwidriges Verhalten („Diebstahl“, „aggressives Betteln“) werden als angebliches Erkennungsmerkmal für Sinti oder Roma genannt. In der Frage der Erkennbarkeit zeigen die qualitativen Interviews, dass die Zuschreibung bestimmter Merkmale von den Befragten im Anschluss an die Formulierung selbst hinterfragt wird. Sehr dominant ist die Auffassung vertreten, Sinti und Roma im Kontext von Betteln und dem Antreffen in Gruppen erkennen zu können.

Wahrnehmung von und Kontakt zu Sinti und Roma

Fünf Fragen des Fragebogens widmeten sich der sozialen Wahrnehmung von Sinti und Roma durch die Mehrheitsbevölkerung. Dazu gehörten sowohl Fragen zur allgemeinen Wahrnehmung als auch zum Kon­takt mit der Minderheit. 57 Prozent der Befragten äußerten, dass sie Sinti und Roma nicht wahrnehmen würden, aber die Hälfte aller Befragten gab an, bereits in Kontakt gestanden zu haben. Die geringe Gesamt­zahl von Sinti und Roma in Deutschland sowie die Antworten auf die vorherigen offenen Fragen lassen den Schluss zu, dass es sich im Allgemeinen nicht um einen engeren persönlichen Kontakt gehandelt haben kann, denn private Erfahrungen mit Sinti und Roma wurden nur von wenigen Einzelpersonen geschil­dert. Es ist also anzunehmen, dass es sich bei der Beurteilung des Kontaktes oder des Nichtkontaktes um assoziative Zuschreibungen aufgrund des Erscheinungsbildes oder des Umfeldes handeln dürfte. Sinti und Roma werden als äußerlich erkennbare „Frem­de“ stigmatisiert und somit nur jene Personen als Angehörige der Minderheit wahrgenommen, die optisch dem angenommenen Bild entsprechen.

Antipathie und soziale Distanz – Gruppenvergleich

Die Fragen nach der Sympathie gegenüber der jeweiligen Minderheit, der potenziellen Akzeptanz in der Nachbarschaft und der Unterschiedlichkeit im Lebensstil im Vergleich zur Mehrheitsgesellschaft zeigten ein deutliches Bild der Ablehnung. Sinti und Roma nahmen jeweils den niedrigsten Rang in der ethnischen Hierarchie ein. Einzig bei der Frage, welche der genannten Gruppen durch ihr Verhalten Feindseligkeit bei der Allgemeinheit hervorriefe, standen sie mit 49 Prozent an zweiter Stelle – 51 Prozent der Befragten hat­ten sich hier für die Gruppe der Musliminnen und Muslime entschieden. Der Gruppenvergleich lässt eine hohe Deckungsgleichheit in der Wahrnehmung von Sinti und Roma und Asylsuchenden annehmen. Ent­sprechend werden sie mit Aspekten der Zuwanderung und Integration in Verbindung gebracht, obwohl drei Viertel der Befragten bejahten, dass Sinti und Roma deutsche Staatsbürgerinnen und -bürger sein können.

Auch wenn der Anteil an Personen mit einer dezidiert negativen Einstellung gegenüber Sinti und Roma mit 7 bis 8 Prozent gering ausfällt, sei auf die Ergebnisse dieser Gruppierung nochmals eingegangen, auch um auf mögliche Gefahren hinzuweisen. Es ist ein Personenkreis, der sich durch eine starke Aversion gegen Sin­ti und Roma auszeichnet. Diese Personengruppe hatte die Berichterstattung in den Medien um ca. 10 Pro­zentpunkte häufiger wahrgenommen als der Durchschnitt des Samples und sie meinte auch doppelt so häufig wie die Mehrheit, Sinti oder Roma an ihrem Äußeren erkennen zu können. Diese Befragten lehnten ein Gedenken an die Ermordung von Sinti und Roma im nationalsozialistischen Deutschland häufiger als „äußerst unangemessen“ ab und sprachen sich gegen die Übernahme der historischen Verantwortung aus.

Einschätzung der Lebenssituation

Der letzte Fragenkomplex widmete sich der breiteren gesellschaftlichen Dimension des Themas. Die Befragten sollten darüber Auskunft geben, wie sie die Situation und die Lebensumstände von Sinti und Roma in Deutschland sowie in Europa einschätzen und ob sie ihnen eine Mitschuld für ihre Lage zuschreiben. Gleichfalls wurden sie nach Maßnahmen zur Gewährleistung eines guten Zusammenlebens gefragt. Auch wenn im letzteren Fall die Ableitung möglicher Handlungsnotwendigkeiten sowie deren potenzielle Akzep­tanz seitens der Mehrheitsbevölkerung im Mittelpunkt standen, zielte die Fragestellung ebenso auf eine Beurteilung der Situation und ihrer möglichen Ursachen.

Zusammen fassend ist zu sagen, dass die Situation von Sinti und Roma in Deutschland durchweg als eher schlecht eingeschätzt wird, auch eine zukünftige Verbesserung dieser Lage wird eher nicht erwartet. Noch schlechter wird die Situation der Sinti und Roma in Europa beurteilt. Ein nicht geringer Teil der Befragten spricht den Betroffenen zumindest eine Mitschuld an ihrer Lage in Osteuropa zu.

Angesichts der hohen Ablehnungswerte gegenüber Sinti und Roma ist die Befürwortung von „Integra-­ tionsangeboten“ bei den umzusetzenden Maßnahmen durch 91 Prozent der Befragten erklärungsbedürftig. In diesem hohen Wert kommt zum Ausdruck, dass der Minderheit nicht per se die Gesellschafts­fähigkeit und entsprechende Teilhabe abgesprochen werden. Andererseits wird mit diesem Ergebnis einmal mehr deutlich, dass auch deutsche Sinti und Roma aus Sicht der Befragten vorrangig (noch) nicht integrierte Teile der deutschen Gesellschaft darstellen und dass, obwohl 76 Prozent der Befragten Ange­hörige der Minderheit mit deutscher Staatsbürgerschaft verbinden konnten. Die qualitativen Interviews zeigen zu diesem Aspekt, dass die Frage der Staatsbürgerschaft von großer Unkenntnis begleitet wird und in der Beantwortung durch die Befragten eher den Charakter einer Schätzfrage erhält. Mit einer normativen Beurteilung im Sinne der Verweigerung der Staatsbürgerschaft ist sie weniger verbunden.

Gleichfalls ist die zweithäufigste empfohlene Maßnahme – mit 83 Prozent „freier Zugang zum Arbeits­markt“ – ein Hinweis darauf, dass keine pauschale normative Vorverurteilung durch die Befragten vorliegt. Der Aspekt mangelnder Arbeitswilligkeit zählt zu den stärksten tradierten Vorurteilen, denen sich Sinti und Roma unter der Zuschreibung „Zigeuner“ ausgesetzt sahen. Andererseits votierten aber zum Teil dieselben Befragten für die „Bekämpfung von Leistungsmissbrauch“, die „Kriminalitätsbekämpfung“ und das „Eingrei­fen der Jugendämter“. Im Gesamtergebnis gab ein großer Anteil der Befragten gegensätzliche Antworten.

Weitere Ergebnisse

Die Untersuchungsergebnisse gestatten es nicht, von einem festen und umfassenden Vorurteilsbestand zu Sinti und Roma unter der Mehrheit der Befragten zu sprechen. Nur wenige Muster sind in der Bevölkerung durchgehend präsent. Somit zeichnet sich auch keine tiefere Vorurteilsstruktur ab, da die Gleichgültigkeit, die dem Thema und der Minderheit entgegengebracht wird, keine weitere Auseinandersetzung notwendig erscheinen lässt. Aktiviert werden die existierenden Vorurteilsmuster in Momenten des realen oder vor­gestellten Kontaktes mit dem Thema. Sie verstärken ein mitunter situationsbedingtes Unbehagen durch stereotype Vorstellungen, die seitens der Interviewten mehrheitlich nicht hinterfragt werden, die aber auch inhaltlich nicht weiter aufgeladen sind. Die Studie legt nahe, dass es sich im Fall der Ablehnung vorrangig um eine Missbilligung sozial unerwünschter Verhaltensmuster handelt. Aus den Ergebnissen ist aber auch auf Mitleid für Sinti und Roma zu schließen. Die abgelehnten Merkmale werden als Resultat sozialer Aus­grenzung und Armut verstanden und nicht als unveränderliche ethnisch-kulturelle Eigenschaften. Insbe­sondere die qualitativen Interviews zeigen eine allgemeine Offenheit, die allerdings nicht als erhöhtes Maß an Empathie gelten kann.18 Sie bietet aber die Möglichkeit, dass sich die Gleichgültigkeit zu einem Interes­se an Sinti und Roma sowie zu einem Verständnis ihrer Lebenssituationen wandeln kann, wenn es einen Anlass dazu gibt. Hieraus entstehen Chancen und Risiken. Wie die Ergebnisse zeigen, lässt sich ein vorange­schrittener Prozess des Aufweichens bzw. des Vergessens tradierter Vorurteile im öffentlichen Bewusstsein erkennen. Davon sind um ein Vielfaches stärker die positiv besetzten romantisierenden Stereotype betrof­fen als die überlieferten negativen Stigmatisierungen. Wie die Beispiele Diebstahl, Armut und Schmutz zei­gen, werden diese an die Gegenwart adaptiert und somit weiter verfestigt.

Anhand der medialen Präsentation und der politischen Agitationsversuche im Jahre 2013 und darüberhinaus wird deutlich, wie fragil der Prozess des Vorurteilsabbaus ist und wie leicht sich alte Muster und Ste­reotype reaktivieren lassen. Diese bewirken Ausgrenzung und gesellschaftlichen Ausschluss.

Das Schüren von Überfremdungsängsten und der Vorwurf des Ausnutzens sozialstaatlicher Strukturen im Zuge von Integration und Zuwanderung schaffen eine gesellschaftliche Atmosphäre, die Diskriminierung befördert. Der sich etablierenden Vorstellung eines utilitaristischen Staatsbürgerverständnisses, der gleich­falls die Trennung einer nutzbringenden von einer nutzlosen Zuwanderung zuzurechnen ist, ist die Abwer­tung und Ablehnung anderer und statusärmerer Gruppen inhärent: „Wir brauchen die, die uns nutzen, und nicht die, die uns ausnutzen. Das sollte unser Programmsatz für die Zuwanderungspolitik sein.“

Roma, Sinti und andere ihnen zugeordnete Gruppen wurden historisch auf den unteren Stufen der gesell­schaftlichen Hierarchien verortet. Oftmals sind sie es auch aktuell, aber sie stellen in ihrer Gesamtheit kei­neswegs ein Kollektiv der Randständigkeit dar. So heterogene Gruppen, wie sie Roma und Sinti in Deutsch­land darstellen, unterliegen nicht in gleichem Maße Benachteiligungen. Nur eine genaue Unterscheidung der Bereiche, in denen es zu Diskriminierungen kommt, schafft einen wirksamen Handlungsrahmen, um dagegen vorzugehen. Eine spezifische, sich aus der realen oder zugeschriebenen ethnischen Zugehörigkeit „Sinti und Roma“ ergebende Diskriminierung bleibt im konkreten Fall häufig schwer nachweisbar.20 Sie ist überlagert von anderen diskriminierungsrelevanten Faktoren wie zum Beispiel dem aufenthaltsrechtlichen Status, möglichen unzureichenden bzw. fehlenden Sprach- und Landeskenntnissen sowie dem sozialen Sta­tus als Summe aus Bildungsabschluss, Beruf, Einkommen und Wohnort. Die Erwartungshaltung bezüglich dieser Faktoren ist in der deutschen Gesellschaft mehrheitlich noch immer stark ethnisch und weniger staatsbürgerschaftlich bestimmt. Sie stellt einen Anachronismus zu der gesellschaftlichen Entwicklung dar, in der die Gesamtbevölkerung eine zunehmend interkulturelle Prägung bekommt. 

Die vollständige Studie finden Sie hier (pdf).