Rede von US-Präsident Barack Obama anlässlich der Annäherung an Kuba, 18.12.2014
Guten Tag. Heute ändern die Vereinigten Staaten von Amerika ihre Beziehungen zum kubanischen Volk.
Mit diesem wohl bedeutsamsten Wandel der letzten 50 Jahre in unserer Politik werden wir eine veraltete Politik beenden, die unseren Interessen jahrzehntelang nicht dienlich war. Anstatt dessen werden wir damit beginnen, die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern zu normalisieren. Mit diesen Veränderungen wollen wir dem amerikanischen und dem kubanischen Volk mehr Chancen eröffnen und ein neues Kapitel in der Geschichte der amerikanischen Völker aufschlagen.
Die Geschichte zwischen den USA und Kuba ist kompliziert. Ich wurde 1961 geboren – gerade mal zwei Jahre nach der Machtübernahme durch Fidel Castro auf Kuba, und wenige Monate nach der Invasion in der Schweinebucht, mit der das damalige Regime gestürzt werden sollte. In den darauffolgenden Jahrzehnten standen die Beziehungen unserer beiden Länder im Zeichen des Kalten Krieges und Amerikas starkem Widerstand gegen den Kommunismus. Uns trennen nur etwas über 90 Meilen (150 Kilometer. Anm. d. Übersetzers). Aber von Jahr zu Jahr verhärteten sich die ideologischen und wirtschaftlichen Fronten zwischen unseren beiden Ländern.
Zwischenzeitlich leisteten die Exilkubaner in den USA einen enormen Beitrag für unser Land – für die Politik und Wirtschaft, die Kultur und den Sport. Wie andere Einwanderer zuvor auch schon, halfen Kubaner, Amerika aufzubauen – und das obwohl sie schmerzhaft darunter litten, dass sie ihre Heimat und ihre Familien hinter sich hatten lassen müssen. All dies verband Amerika und Kuba in einer einzigartigen Beziehung: zugleich Familie und Feindschaft.
Stolz unterstützten die USA Demokratie und Menschenrechte in Kuba in den vergangenen fünf Jahrzehnten. Das taten wir vornehmlich durch die Politik der Isolierung der Insel, indem wir Reisen und den Handel unterbanden; keine andere Nation schloss sich unseren Sanktionen an, die nicht wirklich etwas bewirkten, abgesehen davon, dass sie der kubanischen Regierung einen Grund dafür lieferten, ihrem Volk große Beschränkungen aufzuerlegen. Heute wird Kuba immer noch von den Castros und der kommunistischen Partei regiert, die vor einem halben Jahrhundert an die Macht kamen.
Weder das amerikanische noch das kubanische Volk profitieren von solch einer rigiden Politik, die in Ereignissen aus einer Zeit wurzelt, wo die meisten von uns noch gar nicht geboren waren. Schauen Sie einmal: Wir unterhalten seit mehr als 35 Jahren Beziehungen mit China – einem viel größeren Land, das ebenfalls von einer kommunistischen Partei regiert wird. Vor annähernd zwei Jahrzehnten nahmen wir wieder Beziehungen zu Vietnam auf, wo wir einen Krieg geführt hatten, der mehr Amerikanern das Leben kostete als irgendeine Konfrontation während des Kalten Krieges.
Darum versprach ich bei meinem Amtsantritt, unsere Kubapolitik auf den Prüfstand zu stellen. Zu Beginn hoben wir Beschränkungen für Exilkubaner auf, sodass sie wieder nach Kuba reisen und ihre Familien mit Geldüberweisungen unterstützen konnten. Anfänglich wurden diese Änderungen kontrovers diskutiert, mittlerweile sind sie ganz normal. Die Exilkubaner sind wieder mit ihren Familien vereint, und die jüngere Generation unter ihnen hinterfragt zusehends eine Politik, die Kuba von einer zunehmend vernetzten Welt ausschließt.
Schon des längeren hatte ich die nächsten Schritte vorbereitet, aber dann stand dem doch ein Hindernis im Weg: die unrechtmäßige Inhaftierung eines amerikanischen Bürgers und Mitarbeiters einer Unterorganisation der amerikanischen Entwicklungshilfeorganisation USAID, der in Kuba fünf Jahre im Gefängnis saß. Über viele Monate erörterte meine Regierung den speziellen Fall des Alan Gross und andere Aspekte unserer Beziehungen mit der kubanischen Regierung. Seine Heiligkeit Papst Franziskus nahm sich des Themas in einem persönlichen Appel an mich und den kubanischen Präsidenten Raul Castro an; er appellierte an uns beide, Alans Fall zu lösen, und auf Kubas Anliegen einzugehen, drei kubanische Agenten freizulassen, die seit über 15 Jahren in den USA im Gefängnis saßen.
Heute kam Alan heim – nach langer Zeit ist er wieder bei seiner Familie. Alan wurde von der kubanischen Regierung aus humanitären Gründen freigelassen. Unabhängig davon ließ Kuba im Austausch mit den drei kubanischen Agenten einen der wichtigsten Geheimagenten frei, den die USA in Kuba eingesetzt hatten und der dort fast zwei Jahrzehnte im Gefängnis saß. Dieser Mann, dessen Opfer nur wenige kannten, lieferte uns die Informationen, die wir für die Festsetzung eines ganzen Netzwerks kubanischer Agenten benötigten, zu dem auch die heute nach Kuba überstellten Agenten gehörten, aber auch andere kubanische Spione in den USA. Und dieser Mann ist nun auch wieder sicher daheim.
Nachdem wir nun diese beiden Männer, die sich für unser Land aufopferten, wieder heimgeholt hatten, beschloss ich, die nötigen Schritte zu unternehmen, um die Interessen unserer beiden Völker zum Kernstück unserer Politik zu machen.
Als erstes beauftragte ich den Außenminister Kerry damit, unverzüglich Gespräche mit Kuba über die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen aufzunehmen, die seit Januar 1961 unterbrochen sind. Die USA werden ihre Botschaft in Havanna wieder eröffnen, hochrangige Regierungsvertreter werden nach Kuba reisen.
Da, wo wir gemeinsame Interessen voranbringen können, werden wir das tun – zu Themen wie dem Gesundheitswesen, der Migration, dem Kampf gegen den Terror und den Drogenhandel und dem Katastrophenschutz. Wir haben ja in der Vergangenheit die Vorzüge unserer Zusammenarbeit gesehen. Es war ein Kubaner, Carlos Finlay, der entdeckte, dass Gelbfieber von Stechmücken übertragen wird; er unterstützte Walter Reed seinerzeit im Kampf gegen diese Krankheit. Kuba schickte Hunderte von Ärzten und Krankenpflegern nach Afrika, die dort Ebola bekämpfen helfen, und ich glaube, dass amerikanische und kubanische Ärzte und Krankenpfleger Seite an Seite gegen die Verbreitung dieser tödlichen Krankheit kämpfen sollten.
Und wir werden die Punkte direkt besprechen, in denen wir nicht einer Meinung sind – wir werden uns weiter für Demokratie und Menschenrechte auf Kuba einsetzen. Aber ich meine, dass wir das kubanische Volk stärker unterstützen und uns noch besser für die Verbreitung unserer Werte dort engagieren können. Schließlich stellen wir nach 50 Jahren fest, dass die Isolierung Kubas nicht funktioniert hat. Jetzt ist der Moment für eine neue Politik.
Sodann wies ich den Außenminister Kerry an, unsere Einschätzung zu überprüfen, nach der Kuba zu den Unterstützerstaaten des Terrors gehört. Diese Überprüfung wird sich an Fakten und Gesetzen orientieren. Der Terrorismus hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. In einer Zeit, in der wir uns auf die von Al-Kaida und vom "Islamischen Staat" ausgehenden Bedrohungen konzentrieren, sollte ein Land, das unseren Kriterien entspricht und auf den Terrorismus verzichtet, solchen Sanktionen nicht länger ausgesetzt sein.
Als Drittes erleichtern wir Reisen, den Handel und den Informationsfluss von und nach Kuba. Das ist die Grundlage für Freiheit und Offenheit und demonstriert auch meine Einstellung, dass man in direkten Beziehungen der Völker untereinander viel mehr erreicht. Dank der heute von mir angekündigten Änderungen werden Amerikaner leichter nach Kuba reisen und dort ihre amerikanischen Kreditkarten verwenden können. Niemand vertritt Amerikas Werte besser als das amerikanische Volk selbst, und ich glaube, dass der direkte Kontakt mit den Kubanern das kubanische Volk noch stärker machen wird.
Ich meine auch, dass das kubanische Volk besser von finanziellen Ressourcen profitieren sollte. Darum erhöhe ich die Höchstbeträge für Überweisungen nach Kuba ganz erheblich. Die Grenzbeträge für Überweisungen für humanitäre Projekte, das kubanische Volk und die aufstrebende kubanische Privatwirtschaft werden gänzlich aufgehoben.
Ich meine, dass amerikanische Unternehmen nicht länger benachteiligt sein sollten, und der verstärkte Handel Amerikanern und Kubanern gleichermaßen gut tut. Darum werden wir auch das Genehmigungsverfahren für Überweisungen nach Kuba vereinfachen. Amerikanische Banken werden eigene Konten bei kubanischen Banken eröffnen können. Und es wird für amerikanische Exporteure einfacher, ihre Waren und Güter in Kuba zu verkaufen.
Ich glaube an den freien Informationsfluss. Bedauerlicherweise haben unsere Sanktionen dazu geführt, dass wir den Kubanern den Zugang zu Technologien unmöglich machten, von denen sonst alle rund um den Globus profitieren. Darum habe ich den Ausbau von Telekommunikationsverbindungen zwischen den USA und Kuba genehmigt. Unternehmen werden ihre Kommunikationstechnologie und die entsprechenden Geräte nach Kuba exportieren können, sodass die Kubaner mit den USA und anderen Ländern besser kommunizieren können.
Dies sind die Schritte, mit denen ich als Präsident den Wandel in unserer Außenpolitik einleite. Das Embargo, das wir Kuba seit Jahrzehnten auferlegen, ist geltendes Gesetz bei uns. Während meine Maßnahmen greifen, hoffe ich, dass der Kongress in einer ehrlichen und ernsthaften Debatte das Embargo auch aufheben wird.
Gestern sprach ich mit Raul Castro über die Freilassung des Alan Gross und den Gefangenenaustausch, und ich erläuterte, wie wir gemeinsam vorankommen wollen. Ich sagte ihm klar und deutlich, dass ich meine, dass die kubanische Gesellschaft unter den Einschränkungen ihrer Bürgerinnen und Bürger leidet. Über die Rückkehr des Alan Gross und unserer Geheimagenten hinaus begrüße ich Kubas Entscheidung, eine erhebliche Anzahl von Gefangenen freizulassen, für die sich meine Regierung in der Vergangenheit in direkten Gesprächen mit der kubanischen Regierung eingesetzt hatte. Wir begrüßen auch die Entscheidung der kubanischen Regierung, den Zugang zum Internet zu erleichtern und sich in Zukunft stärker in internationalen Organisationen, die unsere Werte unterstützen, zu engagieren, wie zum Beispiel bei den Vereinten Nationen und im Internationalen Komitee des Roten Kreuzes.
Aber ich mache mir keine Illusionen über die Grenzen der Freiheit, die heute immer noch für ganz normale Kubanerinnen und Kubaner gelten. Die Vereinigten Staaten sind überzeugt, dass kein Kubaner unter Drangsalierungen, Inhaftierungen und Prügelattacken leiden darf, nur weil er sein universelles Recht auf Meinungsäußerung in Anspruch nimmt, und wir werden die Zivilgesellschaft dort deshalb weiter unterstützen. Kuba hat mit entsprechenden Reformen seine Wirtschaft nach und nach schon geöffnet, und wir glauben weiterhin, dass kubanische Arbeiter das Recht haben sollten, Gewerkschaften zu gründen und sich an der politischen Willensbildung zu beteiligen.
Angesichts der Geschichte Kubas gehe ich davon aus, dass Kuba eine Außenpolitik fortsetzen wird, die zuweilen immer noch in scharfem Gegensatz zu amerikanischen Interessen stehen wird. Ich erwarte nicht, dass die von mir heute angekündigten Änderungen die kubanische Gesellschaft von heute auf morgen grundsätzlich verändern werden. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass wir unsere Werte durch diese Politik des Engagements noch besser vertreten und dem kubanischen Volk helfen können, sich selbst auf dem Weg in das 21. Jahrhundert zu helfen.
All denen, die sich den von mir heute angekündigten Schritten entgegenstemmen, sage ich: Ich respektiere Ihre Leidenschaft und teile Ihr Engagement für Freiheit und Demokratie. Die Frage ist, wie wir dieses Engagement leben. Ich glaube nicht, dass wir fünfzig Jahre lang immer dasselbe tun und erwarten können, dass sich trotzdem etwas verändert. Auch liegt es weder im Interesse der USA noch Kubas, das Land in den Zusammenbruch zu drängen. Selbst wenn das funktionierte – was es 50 Jahre lang nicht getan hat – wissen wir aus schmerzhaft gemachten Erfahrungen, dass Gesellschaften sich nachhaltiger verändern können, wenn ihre Völker nicht im Chaos leben. Wir appellieren an Kuba, das Potential von 11 Millionen Kubanerinnen und Kubanern freizusetzen, indem es den unnötigen Einschränkungen ihrer politischen, sozialen und wirtschaftlichen Betätigung ein Ende setzt. In diesem Sinne werden wir es nicht länger zulassen, dass die amerikanischen Sanktionen die Last für die Bürgerinnen und Bürger Kubas, denen wir helfen wollen, noch schwerer machen.
Amerika reicht dem kubanischen Volk die Hand zur Freundschaft. So mancher sieht in uns eine Quelle der Hoffnung, und wir werden weiter dafür sorgen, dass das Licht der Freiheit strahlt. Andere betrachten uns als ehemalige Kolonialmacht, die ihre Zukunft weiter bestimmen wollen. José Martí sagte einmal: "Die Freiheit ist das Recht eines jeden einzelnen, ehrlich zu sein." Heute bin ich ehrlich zu Ihnen. Wir können die Geschichte unserer beiden Völker zwar nicht ausradieren, aber wir glauben, dass Ihnen ein Leben in Würde und Selbstbestimmung ermöglicht werden sollte. Die Kubaner haben ein Sprichwort, das ihr Alltagsleben beschreibt: "No es facil" – Es ist nicht einfach. Heute wollen die Vereinigten Staaten als Partner das Leben der normalen Kubaner ein bisschen einfacher machen, freier und wohlhabender.
Ich danke all jenen, die diese Maßnahmen unterstützt haben, für ihre partnerschaftliche Mitarbeit. Ganz besonders danke ich Seiner Heiligkeit Papst Franziskus, dessen moralisches Vorbild uns vor Augen führt, wie wichtig es ist, die Welt dahin zu verändern, wie sie sein sollte, anstatt sie einfach nur zu akzeptieren, wie sie ist. Und ich danke auch der parteiübergreifenden Gruppe von Kongressmitgliedern, die sich unermüdlich für die Freilassung des Alan Gross eingesetzt haben, für eine neue Außenpolitik und die Förderung unserer Interessen und Werte in Kuba.
Letztendlich kommt der Schwenk in unserer Außenpolitik gegenüber Kuba zu einem Zeitpunkt erneuerter politischer Führungen in den amerikanischen Staaten. Im April haben wir auf dem Amerikagipfel die Vorbereitungen getroffen, dass Kuba sich den anderen Nationen dieser Hemisphäre anschließen kann. Aber wir werden weiterhin darauf bestehen, dass sich auch die Zivilgesellschaft Kubas anschließen kann, damit auch Bürgerinnen und Bürger, nicht nur Politiker unsere Zukunft gestalten können. Und ich appelliere an meine Amtskollegen, das Engagement für Demokratie und Menschenrechte bedeutungsvoll auch in der Interamerikanischen Charta zu verankern. Lassen wir das gemeinsame Erbe der Kolonialzeit und des Kommunismus, der Tyrannei der Drogenkartelle, der Diktatoren und der Wahlfarcen hinter uns. Eine Zukunft mit besserem Frieden, mehr Sicherheit und mehr Demokratie ist möglich, wenn wir alle zusammenarbeiten – nicht für den Machterhalt, nicht zur Bedienung von Einzelinteressen, sondern um die Träume unserer Bürgerinnen und Bürger Wirklichkeit werden zu lassen.
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger: Die Stadt Miami liegt nur ca. 200 Meilen (320 Kilometer. Anm. d. Übersetzers) von Havanna entfernt. Unzählige, Tausende von Kubanerinnen und Kubaner sind nach Miami gekommen – per Flugzeit oder auf selbst gezimmerten Flößen; so mancher kam mit nichts anderem als dem Hemd, das er am Leib trug, und der Hoffnung im Herzen. Heute wird Miami oft als Hauptstadt Lateinamerikas bezeichnet. Aber es ist eine durch und durch amerikanische Stadt – ein Ort, der uns daran erinnert, dass Ideale wichtiger sind als die Hautfarbe oder die Herkunft; ein Ort, der zeigt, was das kubanische Volk erreichen kann, und beispielhaft steht für die Öffnung der Vereinigten Staaten für die Familien des Südens. "Todos somos Americanos." (Wir sind alle Amerikaner. Anm. d. Übersetzers)
Veränderungen sind schwierig – im Privatleben wie auch im Leben von Nationen. Und Veränderungen sind umso schwieriger, wenn wir die schwere Bürde unserer Vergangenheit auf den Schultern tragen. Aber heute leiten wir diesen Wandel ein, weil es richtig ist, das zu tun. Heute lösen wir die Fesseln unserer Vergangenheit, um in eine bessere Zukunft zu treten – für das kubanische Volk, für das amerikanische Volk, für die gesamte Hemisphäre und die Welt.
Herzlichen Dank. Gott segne Sie und die Vereinigten Staaten von Amerika.
Aus dem Englischen übersetzt von Norbert J. Heikamp