Prognose der Universität Linz und des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) in Tübingen zur Schattenwirtschaft in Deutschland, 3.2.2015
Die Verminderung der Schattenwirtschaft ist ein wichtiges Ziel der Wirtschaftspolitik in Deutschland und anderen Industrie- sowie in Schwellenländern. Aktuelle Informationen über das Ausmaß der Schattenwirtschaft sind jedoch nur selten verfügbar, da es geradezu das Wesen der Schattenwirtschaft ist, sich der Erfassung zu entziehen. Eine Abschätzung der der Schattenwirtschaft zugrunde liegenden Phänomene ist jedoch eine Voraussetzung für ein planvolles Vorgehen der Politik sowie für eine informierte öffentliche Diskussion.
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Definition der Schattenwirtschaft
Forscher, die den Versuch unternehmen, die Größe und Entwicklung einer Schattenwirtschaft zu schätzen, stehen vor folgender Schwierigkeit: Wie definiere ich die Schattenwirtschaft?[1] Eine übliche Definition hierfür ist, dass alle nicht staatlich erfassten ökonomischen Aktivitäten, die zur Wertschöpfung, das heißt zum offiziellen Bruttonationalprodukt beitragen, erfasst werden sollen.[2] Smith (1994, S. 18) verwendet eine etwas weiter gefasste Definition, er versteht darunter die “...markt-basierte Produktion von Gütern und Dienstleistungen, gleichgültig ob legal oder illegal, die sich der Messung in den offiziellen Statistiken entziehen.” Eine der breitesten Definitionen besagt „Schattenwirtschaft sind ökonomischen Aktivitäten, aus denen Einkommen erzielt wird, und dabei staatliche Regulierung, Besteuerung oder Erfassung vermieden wird.”[3]
Ferner sind Schattenwirtschaft und Schwarzarbeit zu unterscheiden. Unter Schwarzarbeit sind Tätigkeiten zu verstehen, die im Prinzip auch legal ausgeübt werden könnten, die jedoch den öffentlichen Stellen nicht gemeldet werden, damit keine Steuern und Sozialbeiträge gezahlt werden müssen. Die Schattenwirtschaft umfasst neben der Schwarzarbeit noch weitere Tätigkeiten. Hierzu gehört die illegale Beschäftigung, insbesondere illegale Arbeitnehmerüberlassung und illegale Ausländerbeschäftigung. Ferner werden durch den Begriff der Schattenwirtschaft auch kriminelle Aktivitäten erfasst. Diese Prognose bezieht sich auf die gesamte Schattenwirtschaft und nicht allein auf die Schwarzarbeit.
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Prognose für Deutschland
Die Schattenwirtschaft erreichte im Verhältnis zum offiziellen BIP im Jahr 2003 mit 17,2% ein Maximum. Infolge wirtschaftlicher Reformen – beispielsweise der Reform der Minijobs im Zuge der Hartz-Reformen – und der verbesserten wirtschaftlichen Entwicklung verminderte sich die Schattenwirtschaft relativ gesehen im nachfolgenden Zeitraum. Eine Ausnahme war das Krisenjahr 2009. Der Rückgang der Schattenwirtschaft wird sich jedoch der Prognose zufolge im Jahr 2015 nicht fortsetzen.
Das Verhältnis von Schattenwirtschaft zu offizieller Wirtschaft bleibt im Jahr 2015 gegenüber 2014 konstant. Nach den Modellberechnungen wird das Verhältnis von Schattenwirtschaft zu offiziellem Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2015 gegenüber dem Jahr 2014 unverändert bei 12,2 Prozent liegen. Insgesamt wird im Jahr 2015 der rückläufige Trend der Schattenwirtschaft gestoppt, der bereits seit dem Jahr 2003 besteht und der nur während der Wirtschaftskrise im Jahr 2009 kurz unterbrochen wurde.
Prognose der Schattenwirtschaft international
Deutschland liegt beim Vergleich des Schattenwirtschaftsvolumens in den OECD- Ländern mit der Größe seiner Schattenwirtschaft im Mittelfeld [...], ähnlich wie beispielsweise Frankreich und die skandinavischen Länder. Die südeuropäischen Länder (Griechenland, Italien, Portugal und Spanien) sind mit einem Ausmaß der Schattenwirtschaft zwischen 18 % und 22 % des offiziellen Bruttoinlandsprodukts nach wie vor Spitzenreiter. Für das Jahr 2015 wird prognostiziert, dass die Schattenwirtschaft in den meisten OECD-Ländern zurückgehen wird.
Einfluss einzelner Größen für Deutschland
Allein aufgrund der prognostizierten konjunkturellen Entwicklung und der Situation auf dem Arbeitsmarkt würde die Schattenwirtschaft um ca. 1,3 Mrd. zurückgehen [...]. Allerdings wirken leicht steigende Sozialbeiträge und die Einführung des allgemeinen Mindestlohns tendenziell verstärkend auf die Schattenwirtschaft. Die Schattenwirtschaft steigt im Jahr 2015 aufgrund höherer Beiträge zur Pflegeversicherung [...]. Dämpfend wirkt dagegen die Senkung der Rentenbeiträge von 18,9 % auf 18,7 %. Die Senkung des allgemeinen Beitragssatzes zur gesetzlichen Krankenversicherung um einen Prozentpunkt wird nicht berücksichtigt, da davon auszugehen ist, dass die meisten Kassen Zusatzbeiträge erheben werden. Ob der Beitragssatz steigt oder sinkt, ist derzeit nicht abzusehen. Per Saldo ergibt sich eine geringfügige errechnete Steigerung der Schattenwirtschaft von 200 Mio. €. Der am 1. Januar 2015 eingeführte Mindestlohn in Höhe von 8,50 € wird die Schattenwirtschaft nach den Modellrechnungen um 1,5 Mrd. € erhöhen.
Mindestlohn und Schattenwirtschaft
Wie wahrscheinlich ist ein Ausweichen vor dem Mindestlohn in die Schattenwirtschaft? Ausgangspunkt der folgenden Analyse ist die Hypothese, dass ein Ausweichen in die Schattenwirtschaft vor allem in den Bereichen zu erwarten ist, in denen bereits vor der Einführung des Mindestlohns relativ viel Schwarzarbeit vorkommt. Während in manchen Bereichen (z.B. der Produktionswirtschaft außerhalb des Handwerks) Schattenwirtschaft aufgrund der Gegebenheiten des Arbeitsprozesses kaum nachgefragt wird, ist sie in anderen (z.B. haushaltsnahe Dienstleitungen) eine relativ leicht verfügbare Option.
Mehrere Studien (Brencke 2014, Falck et al. 2013, Kalina/Weinkopf 2014) berechnen den Anteil derjenigen Beschäftigten, die weniger als 8,50 Euro pro Stunde erhalten. Daraus ergibt sich ein Maß für den Anpassungsbedarf infolge des Mindestlohns. [...]
In den Tätigkeitsfeldern mit hohem Vorkommen von Schwarzarbeit [hat] mit 39 % ein relativ hoher Anteil der Beschäftigten im Jahr 2012 unter 8,50 € verdient [...]. In den anderen Bereichen sind es dagegen nur 13 %, also nur ein Drittel. Besonders viele finden sich darunter bei den persönlichen Dienstleistungen. Der Anpassungsbedarf bei den Tätigkeiten mit hoher Verbreitung von Schwarzarbeit beträgt 7 Mrd. € gegenüber knapp 10 Mrd. € bei den übrigen Tätigkeiten. Ein großer Anteil des Anpassungsbedarfs entfällt also auf Tätigkeiten, in denen die Schattenwirtschaft eine häufig gewählte Alternative zur regulären Beschäftigung ist.
Die Löhne müssten in den Tätigkeitsfeldern mit hohem Vorkommen von Schwarzarbeit infolge des Mindestlohns um 7 Mrd. € erhöht werden, damit dieser eingehalten wird. Die in den Modellschätzungen berechnete Mindestlohnwirkung beträgt 1,5 Mrd. Euro, also ein Viertel oder ein Fünftel davon. Nur ein kleiner Teil der von den Mindestlöhnen betroffenen Jobs wechselt also in die Schattenwirtschaft. Nach der Modellschätzung wird also nur ein relativ kleiner Teil der notwendigen Anpassungen durch ein Ausweichen in die Schattenwirtschaft umgangen.
[1] Vgl. Frey und Pommerehne (1984); für neuere Studien siehe Schneider und Enste (2000, 2002), Schneider und Williams (2013), Alm, et al. (2004) und Feld und Schneider (2010).
[2] Diese Definition wurde beispielsweise verwendet von Feige (1989, 1994), Schneider (1994a, 2003, 2005, 2011), und Frey und Pommerehne (1984). Do-it-yourself Aktivitäten sind nicht inkludiert. Für Schattenwirt- schaftsschätzungen und Do-it-yourself-Aktivitäten für Deutschland, siehe Buehn, Karmann und Schneider (2009).
[3] Diese Definition wird beispielsweise verwendet von Dell’Anno (2003), Dell’Anno und Schneider (2004) und Feige (1989)
Die vollständige Studie mit allen Tabellen und Grafiken finden sie hier (pdf).