Jahresbericht 2014 des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI), 15.6.2015
Das SIPRI Yearbook 2014 dokumentiert einige beunruhigende Entwicklungen in Hinblick auf Konflikte, Rüstungsdynamiken und inter- nationale Sicherheit. Die Welt ist immer noch weit von etwas wie einer „globalen Ordnung“ entfernt. Da politische, technologische, ökonomische, ökologische und militärische Aktivitäten sich fortwährend und rapide ändern, könnte es immer schwerer werden, friedliche Lösungen und ein stabileres Sicherheitsumfeld zu erreichen.
Angesichts der Ereignisse und Entwicklungen des Jahres 2013 erscheint es für die Bereiche Rüstung, Abrüstung und internationale Sicherheit notwendig, das Zusammenspiel dreier zusammenhängender Themenkomplexe weitergehend zu analysieren.
Erstens wird der sich entwickelnde Ansatz einer internationalen Ordnungspolitik direkte Auswirkungen darauf haben, inwieweit sich Staaten darüber verständigen können, wie internationale und regionale Sicherheit am besten gefördert werden. Die einzelnen Kapitel dieser Ausgabe des SIPRI-Jahrbuchs verdeutlichen diverse Spannungen – beispielsweise innerhalb der verschiedenen Fachinstitute sowie zwischen weltweiten und regionalen Einrichtungen für Sicherheitsfragen. Multilaterale Ansätze wurden schrittweise ausgehöhlt, indem immer weniger nach Gemeinsamkeiten gesucht wurde, sondern nationale Unterschiede toleriert und einzig deren Folgen behandelt wurden. Während sich der Sicherheitsdiskurs den Grenzen vereinbarter Rahmenbedingungen entzieht, ist zudem bei verschiedenen Themen eine neue Flexibilität in der Ausrichtung von Staaten zu beobachten.
Zweitens könnte ein besseres Verständnis der Zusammenhänge zwischen Entwicklung und Sicherheit dabei helfen, Möglichkeiten für ein gemeinsames Handeln von Akteuren zu identifizieren, die bisher keine Partner sind. Kaum jemand würde den Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher, sozialer und menschlicher Entwicklung auf der einen sowie Frieden und Sicherheit auf der anderen Seite bestreiten. Die Zusammenhänge sind jedoch vielschichtig: Während Sicherheit zu Entwicklung und Entwicklung zu Sicherheit führen kann, ist weder die eine noch die andere Dimension ausreichend, um entscheidend auf die jeweils andere einzuwirken, und nicht immer sind beide kurzfristig erforderlich. Für ein besseres Verständnis dieser Zusammenhänge bedarf es weiterer Forschung, die vom Ansatz her die Probleme in ihrer Gesamtheit analysiert, anstatt sich lediglich auf die Lösung einzelner Aspekte zu konzentrieren. Um die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Teilen dieser Probleme zu verstehen, ist es notwendig, die Erkenntnisse vieler akademischer Disziplinen zusammenzutragen.
Drittens können Geschwindigkeit und Ausmaß der Fortschritte in diversen Forschungs- und Technologiefeldern sowie die Art, wie diese enormen Fortschritte inter- agieren, mittlerweile als eigenständiger Faktor betrachtet werden, der die internationale Sicherheit mitgestaltet. Mit zunehmender Komplexität ist die Beurteilung von Technologiefolgen schwieriger geworden. Dies gilt ebenso für das Verständnis des Zusammenspiels von Wissenschaft und öffentlicher Ordnung.
Der Bedarf an „kompetenter, unvoreingenommener Information bezüglich physikalischer, biologischer, ökonomischer, sozialer und politischer Auswirkungen der immer umfassenderen und weiteren Anwendungen von Technologien“ ist sicherlich nicht überholt. Zur Unterstützung der Entscheidungsfindung von Regierungen sowie Gesetzgebungsverfahren erscheint dies notwendiger denn je. [...]
2. Bewaffnete Konflikte
In den letzten Jahren ist die Zahl der Todesopfer durch Konflikte mit staatlicher Beteiligung gestiegen. In einigen Weltregionen, insbesondere im Nahen Osten, wurde ein signifikanter Anstieg von Opferzahlen verzeichnet, die auf Kampfhandlungen zurückzuführen sind. Gleichzeitig stieg die Zahl internationalisierter innerstaatlicher Konflikte. Diese Entwicklungen deuten auf einen besorgniserregenden Aufwärtstrend von tödlichen Gewaltkonflikten mit staatlicher Beteiligung hin.
Nach Ende des Kalten Krieges war Intervention, oft auch mit militärischen Mitteln, eine gängige Antwort der internationalen Gemeinschaft auf bewaffnete Konflikte, an denen Staaten beteiligt waren. Dies galt insbesondere für Konflikte mit Auswirkungen auf die regionale oder globale Sicherheit (insbesondere durch internationalen Terrorismus). 2013 gab es jedoch Anzeichen dafür, dass in der westlichen Welt die Anwendung von Gewalt als Mittel gegen Konflikte und terroristische Bedrohungen zunehmend als beschränkt wirkungsvoll und zu kostspielig – sowohl in Hinblick auf finanzielle Kosten und Menschenleben als auch auf das aufzuwendende politische Kapital – erachtet wurde.
Die Behauptungen über den Einsatz chemischer Waffen bei einem Angriff in Damaskus am 21. August 2013 lösten eine grundlegende internationale Debatte über ein militärisches Eingreifen in den Bürgerkrieg in Syrien aus. Weithin gab es Bedenken über die anhaltend hohen Verluste von Menschenleben in Syrien sowie über Berichte, dass der Konflikt gewaltbereiten Gruppen von Dschihadisten als Brutstätte diene und schließlich über Anzeichen für eine wachsende Destabilisierung der Region insgesamt.
Ursprünglich sah es so aus, als würden die USA und wichtige europäische Verbündete einen Militärschlag in Syrien vorbereiten. Nachdem aber in einer Parlamentsabstimmung in Großbritannien ein Militäreinsatz abgelehnt worden war und die Besorgnis stieg, dass der US- Kongress ebenfalls dagegen stimmen könnte, entschied sich die US-Regierung für eine diplomatische Reaktion auf den Einsatz chemischer Waffen und nahm von einer Militärintervention Abstand. Dies wurde allgemein als Wendepunkt in der westlichen Politik hin zu einem wesentlich begrenzteren militärischen Engagement in weltweite Konflikte bewertet.
Mediation ist ein wichtiges Mittel, um bewaffnete Konflikte zu lösen. In den vergangenen Jahrzehnten wurden Ansätze der klassischen Diplomatie durch das Aufkommen einer Vielzahl von nicht-staatlichen Akteuren in den Bereichen Mediation oder „Track 2“-Diplomatie ergänzt. Als Folge dieser Bemühungen konnten eine ganze Reihe bewaffneter Konflikte durch Mediation gelöst werden, die häufig zu einem Friedensabkommen führten. In den letzten Jahren ist die Zahl der erreichten Friedens- abkommen allerdings spürbar zurückgegangen. Dies lässt befürchten, dass Mediation als Alternative zu militärischen Interventionen bei der Beendigung von Konflikten künftig nur bedingt angewendet werden könnte, sofern kein neuer, bedeutender Einsatz für Friedensbemühungen erfolgt.
In Fällen, in denen das Interesse westlicher Mächte an direkter militärischer Intervention nachließ, konnte die UN größere Verantwortung, als Mechanismus zur Prävention und Lösung von Konflikten, übernehmen. Zu den wichtigsten Maßnahmen, die der UN-Sicherheitsrat im Umgang mit Konflikten ergreifen kann, zählen Resolutionen gemäß der Kapitel VI und VII der UN-Charta.
Die Anzahl der Resolutionen zu Konflikten mit staatlicher Beteiligung gibt Aufschluss darüber, welche Aufmerksamkeit der Sicherheitsrat dem Thema beimisst. Je nach Länge und Intensität oder dem Ort des Konfliktgeschehens sowie abhängig von den spezifischen Interessen jedes einzelnen ständigen Sicherheitsratsmitglieds ergeben sich dabei jedoch große Schwankungen in der Aufmerksamkeit.
Das Uppsala Conflict Data Program (UCDP) unterteilt organisierte Gewalt weltweit in drei Kategorien gewaltsamer Handlungen: Konflikte mit staatlicher Beteiligung, nicht-staatliche Konflikte und einseitige Gewaltanwendung.
Die Anzahl der Vorfälle organisierter Gewalt, die zum Tod von mindestens 25 Personen innerhalb eines Jahres (der Schwellenwert, um im UCDP erfasst zu werden) führten, war 2012 mit 97 etwas geringer als 2003 mit 111 Vorfällen. Während die Zahl der Konflikte mit staatlicher und der mit nicht-staatlicher Beteiligung in dieser Dekade zunahm, ging gleichzeitig die Anzahl von Vorfällen mit einseitiger Gewaltanwendung kontinuierlich zurück.
In Hinblick auf die Anzahl der Todesopfer durch organisierte Gewalt ergibt sich ein schlechteres Bild. Insbesondere die Entwicklungen bei Konflikten mit staatlicher Beteiligung haben dazu geführt, dass die Zahl der tödlichen Vorfälle organisierter Gewalt von fast 36.000 im Jahr 2003 auf beinahe 46.000 im Jahr 2012 anstieg.
Innerhalb dieses allgemeinen Trends weist jede der drei Formen von Gewalt ihre eigene innerne Dynamik auf, die nur bedingt von den anderen Formen beeinflusst wird. Das Gesamtbild ist komplexer, aber es gibt kein klares Anzeichen dafür, dass sich die drei Formen von Gewalt gegenseitig ausgleichen, wie beispiels- weise dadurch, dass der Rückgang in einer der Formen zu einem Anstieg in den anderen beiden Formen führen könnte.
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Den vollständigen Bericht finden Sie hier.