Dokumente zum Zeitgeschehen

»Ich wollte nicht auf feige Weise Menschen jagen«

Jurybegründung zur Preiskrönung von Brandon Bryant, 21.9.2015

„Ich wollte als Soldat einen geachteten Job machen, nicht in einem Container am Bildschirm sitzen und auf feige Weise Menschen jagen“, sagt Brandon Bryant, der diesjährige Preisträger des Whistle-Blowerpreises. Bryant ist ehemaliger Drohnenpilot. Zum 4. Juli 2011 kündigte er seinen Job bei der US - Army, weil er seine Tätigkeit nicht mehr aushielt. Für ihn stand fest: Es gab keine Rücksicht auf zivile Opfer, man wusste nicht, wen man weswegen tötete, und es gab keine ernsthafte Kommunikation mit der Führung über Probleme, die einen beschäftigten. Vom Ausstieg ließ er sich auch durch lukrative Angebote (ein Bonus von 109.000 US-Dollar fürs Weitermachen, Beförderung zum Instrukteur, besseres Gehalt, u.a. 5) nicht abhalten. Bei seiner ehrenhaften Entlassung erhielt er ein Dokument, in dem bestätigt wurde, dass seine gesamte Einheit 1.626 „targeted killing operations “ ausgeführt hatte. Dieses Dokument schockierte ihn. Bis dahin war ihm der Umfang des Tötungsprogramms nicht in diesem Ausmaß gegenwärtig gewesen. Er selbst war nach seiner Einschätzung an insgesamt 13 Tötungen durch Drohneneinsätze unmittelbar beteiligt. Bereits bei seinem Ausscheiden aus der US-Air Force litt Brandon Bryant unter einer massiven posttraumatischen Belastungsstörung (PTB) und verlor zeitweise das aktive Gedächtnis  Ab seiner Entlassung trug Bryant maßgeblich zur Enthüllung der Wahrheit über Drohnen und ihre Auswirkungen bei. Erstmals im Jahr 2012 kritisierte Brandon Bryant in Interviews auf der Grundlage seiner eigenen dienstlichen Erfahrungen öffentlich, dass die von den USA mit dem Ziel der Tötung von als Terroristen verdächtigten Personen geführten Drohnenangriffe in Afghanistan, Pakistan, Somalia und Jemen als "präzise und sauber" dargestellt werden. In Wahrheit forderten sie unzählige unschuldige Opfer unter der Zivilbevölkerung. Zudem belaste  diese Art der Kriegsführung viele der eingesetzten Drohnenpiloten psychisch schwer.

Nach Berichten der „New York Times“ werden alle Männer im wehrpflichtigen Alter, die sich in einer definierten Zone mit terroristischen Aktivitäten aufhalten, von CIA /US-Army umstandslos als feindliche Kämpfer eingestuft. Die dem zugrunde liegende „Logik“: Leute, die sich dort aufhalten oder mit hohen Al-Qaida-Mitgliedern angetroffen werden, führen nichts Gutes im Schilde. Diese sog. signature strikes wurden bereits während der Bush- Regierung im Jahr 2008 in Pakistan begonnen und durch die Obama-Regierung seit 2009 intensiviert. Während der acht-jährigen Bush-Regierung wurden in 51 Drohneneinsätzen in Pakistan zwischen 410 und 595 Menschen getötet. Bis Februar 2015 hat Obama allein in Pakistan 419 Drohneneinsätze durchführen lassen. Insgesamt wurden nach vorliegenden Studien bei solchen Angriffen seit 2009 über 4500 Menschen in Pakistan, Jemen und Somalia getötet. Nach einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Reprieve kommen auf jede gezielte Tötung eines terroristischen Aktivisten 28 Unbekannte, die getötet werden. Nur 2 Prozent dieser durch einen Drohnentreffer getöteten Personen in Pakistan sind Al-Qaida-Führer der ersten Ebene. Die übrigen Getöteten sind entweder Kämpfer einer niedrigeren Führungs-Ebene, die kaum eine existentielle Bedrohung für die USA darstellen, oder sie sind einfache Zivilisten oder andere unbekannte Personen.

Ende 2013/Anfang 2014 enthüllte Bryant gegenüber recherchierenden Journalisten außerdem anhand seiner Kenntnisse des geheimen Drohnen- Programms die konstitutive Rolle der technischen Einrichtungen und des „Air and Space Operation Command (AOC)“ in der US-Air-Base in Ramstein sowie die weltweiten Verbindungswege für die Steuerung der Drohnen und die Auswertung ihrer Daten. Bryant deckte auf, dass alle Drohneneinsätze über die Militärbasis in Ramstein abgewickelt werden. Er berichtete aus eigener beruflicher Erfahrung, dass die Piloten auf Militärbasen in Nevada, Arizona oder Missouri sitzen, die Ziele jedoch in Afrika oder im Nahen Osten liegen. Die Drohnen werden von Soldaten in Nahost gestartet und gelandet, danach übernehmen die Piloten in den USA ihre Steuerung. Die Basis in Ramstein ist beim Datentransfer immer involviert. Über Ramstein werden die Signale übermittelt, die den Drohnen die Befehle geben, was sie tun sollen. Der jeweilige Drohnenpilot loggt sich über die US-Base Creech, einen Luftwaffenstützpunkt in der Wüste von Nevada, der als Drohnenzentrale und Relaisstation für zehn Air-Force-Basen in verschiedenen US- Bundesstaaten dient, im Air and Space Operation Center (AOC) in Ramstein ein. Der schnelle Datenaustausch läuft über Glasfaserkabel. Steht die Verbindung zwischen dem Drohnenpiloten und Ramstein, werden die Steuerbefehle von dort an einen Satelliten umgeleitet. Aus dem All gelangen sie dann zur Drohne. 

2014 enthüllte Bryant zudem aufgrund seiner Kenntnisse über das geheime „Gilgamesh“ -Ortungssystem und anhand seiner konkreten Einsatzerfahrungen, dass die Behauptung der deutschen Bundesregierung unzutreffend ist, die von deutschen Geheimdienst-Stellen an US-Dienste weitergegebenen Handy-Nummern angeblicher Terroristen seien zur Zieldefinition ungeeignet. Die militärische Kampfdrohnen der USA sind -entgegen der Darstellung der Bundesregierung- in der Lage, für ihre tödlichen Angriffe Mobiltelefone zu orten. Deutsche Geheimdienste übermittelten in der Vergangenheit bei der Terrorismusbekämpfung u.a. Mobiltelefon-Nummern von Verdächtigen etwa in Afghanistan an US-Dienststellen. Die Bundesregierung rechtfertigte diese Praxis damit, dass angeblich eine Mobilfunknummer allein nicht zur Lokalisierung für einen präzisen Luftschlag ausreiche.Dokumente aus dem Jahr 2012 belegen jedoch, dass die Drohnen mittels eines speziellen Ortungssystems in der Lage sind, Personen anhand ihres Telefonsignals so genau zu lokalisieren, dass ein Luftschlag möglich wird. Wenn man die Handynummer einer Zielperson kennt, kann man ihre SIM-Karte und ihren Aufenthaltsort über die Entfernung zu umliegenden Mobilfunkmasten orten. Man erfährt zwar so zunächst nur, in welcher Funkzelle sich ein Verdächtiger aufhält. Dann kommt das Gilgamesh-System ins Spiel. Es wird anstelle der Hellfire-Rakete unter eine Drohne gehängt und funktioniert dann wie ein mobiler IMSI-Catcher. Das führt dazu, dass die Handys im Umkreis automatisch mit der Drohne Kontakt aufnehmen. Das Gilgamesh-System gleicht alle Nummern mit einer Datenbank ab. Gibt es einen Treffer, fliegt die Drohne im Kreis um den Bereich herum. Da das Handy immer wieder mit der Drohne Kontakt aufnimmt, kann man es schließlich orten - und zwar bis auf etwa einen Meter genau. 
Bryant musste mit möglichen strafrechtlichen Ermittlungen gegen sich wegen des Bruchs des dienstrechtlichen Schweigegebots rechnen. Bisher ist es dazu nicht gekommen.  Aktuell leidet er  nicht nur an den Folgen der während der Dienstzeit erlittenen Gesundheitsverletzungen, sondern  zusätzlich unter der sozialen Ausgrenzung in seinem Heimatland. Aktive Soldaten und Veteranen sehen ihn als „Verräter“ und beschimpfen ihn. Der  „Spiegel“ -Artikel vom 10.12.12 erschien übersetzt in „Daily Mail“ unter der reißerischen Überschrift „drone operator followed orders to shoot a child...and decided he had to quit“, worauf ihm 157 Freunde auf facebook umgehend die „Freundschaft“ kündigen. Bryant liest in einer Art Selbstkasteiung tausende von bösartigen Kommentaren wie: „Man sollte dich anklagen wegen Verrat und hinrichten für dein Reden mit den Medien“. Er selbst meint: „Ich bin vermutlich der bestgehasste Mensch, den man am wenigsten leiden kann.“

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