Ausgabe Februar 2016

Chronik des Monats Dezember 2015

1.12. – Russland/Türkei. Nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch die türkische Luftwaffe (vgl. „Blätter“, 1/2016, S. 127) verhängt die Regierung in Moskau erste Sanktionen gegen die Türkei. Der visa-freie Reiseverkehr zwischen beiden Ländern wird ausgesetzt, Charterflüge werden eingestellt. In seiner Rede über die Lage der Nation (3.12.) richtet Putin scharfe Angriffe gegen Ankara. Allah habe die regierende türkische Clique wohl bestrafen wollen und ihr deshalb Verstand und Urteilsvermögen genommen.

1.-2.12. – Nato. Vor den Außenministern der Mitgliedstaaten in Brüssel spricht Generalsekretär Stoltenberg von „einem düsteren sicherheitspolitischen Umfeld“. Stoltenberg äußert sich besorgt über die Stationierung modernster russischer Militärtechnik und Waffen an den Grenzen des Bündnisgebietes. Trotz Warnungen aus Moskau lädt die Allianz Montenegro zum Beitritt ein. Außerdem wird beschlossen, den Truppenabzug aus Afghanistan zu stoppen.

2.12. – Großbritannien. Unmittelbar nach Zustimmung des Parlaments bombardieren vier Tornados der Luftwaffe ein Ölfeld in Syrien, das vom Islamischen Staat kontrolliert wird. Der britische Luftwaffenstützpunkt auf Kreta wird um weitere zwei Tornados und sechs Eurofighter verdoppelt.

3.12. – Bundeswehr. Bundesverteidigungsministerin von der Leyen löst eine Debatte um die Vergrößerung der Bundeswehr aus. Wenn die Welt weiter so hohe militärische Anforderungen an Deutschland stelle, werde die Politik „im Personalkörper sicherlich die Offenheit haben müssen, auch da nachzusteuern“. Man lasse zur Zeit untersuchen, ob in der Truppe „Aufgabenqualität und Personalausstattung noch zueinander passen“.

             – Russland. In einer „Rede an die Nation“ und auf einer Pressekonferenz (17.12.) äußert sich Präsident Putin zu innen- und außenpolitischen Themen. Der Präsident bezeichnet die vom Westen unterstützten Machtwechsel, etwa im Nachbarland Ukraine, als eine Gefahr für die eigene Sicherheit. Eine Destabilisierung drohe auch durch „farbige Revolutionen“ wie in Georgien, die aus dem Ausland organisiert würden.

             – Dänemark. In einem Volksentscheid wendet sich eine Mehrheit der Wähler gegen die Abgabe weiterer Souveränitätsrechte im Justizbereich an die Europäische Union. Die Entscheidung fällt mit 53 zu 47 Prozent deutlich aus. Die Beteiligung liegt bei 72 Prozent.

4.12. – EU. Die Innenminister der Mitgliedstaaten befassen sich erneut mit der Flüchtlingskrise. Die Slowakei und Ungarn hatten beim Europäischen Gerichtshof Klage gegen den Beschluss eingereicht, 160 000 Flüchtlinge aus Italien und Griechenland auf die übrigen EU-Staaten zu verteilen. Die slowakische Regierung argumentiert, die Union habe mit dem Beschluss ihre Kompetenzen überschritten. – Am 10.12. leitet die Europäische Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren ein, das sich gegen Teile des Asylrechts in Ungarn richtet. – Am 14.12. verhandelt Ministerpräsident Vucic in Brüssel über erste Kapitel eines Beitrittsvertrages. Serbien hatte 2009 die Mitgliedschaft in der Europäischen Union beantragt. Zunächst geht es um die Beziehungen zum Kosovo (Kapitel 35) und das Thema Finanzkontrolle (Kapitel 32). – Am 17.12. steht die Flüchtlingskrise auf der Tagesordnung eines weiteren Gipfels in Brüssel. „Um die Integrität von Schengen zu wahren“, heißt es in den Schlussfolgerungen, „ist die Wiedererlangung der Kontrolle über die Außengrenzen unerlässlich“. Bundeskanzlerin Merkel erklärt, unter den Regierungschefs sei „die Erkenntnis gereift“, dass die Reisefreiheit im Schengen-Raum und der Schutz der Außengrenzen „existenziell zusammenhängen“. Hinter geschlossenen Türen erläutert der britische Premierminister Cameron seinen Amtskollegen die Reformwünsche im Hinblick auf das geplante Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union oder einen eventuellen „Brexit“. – Am 21.12. wird in Brüssel mitgeteilt, wegen unzureichender Fortschritte im Friedensprozess für die Ukraine seien die Wirtschaftssanktionen gegen Russland bis zum 31. Juli 2016 verlängert worden.

             – Bundestag. Das Parlament beschließt mit 445 gegen 145 Stimmen bei sieben Enthaltungen einen weiteren Auslandseinsatz der Bundeswehr (vgl. „Blätter“, 1/2016, S. 127). Der von Bundesaußenminister Steinmeier und Bundesverteidigungsministerin von der Leyen angekündigte und vom Bundeskabinett beschlossene Antrag zum „Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen“ beruft sich auf Artikel 51 der UN-Charta („Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung“). Der Einsatz solle „vorrangig im und über dem Operationsgebiet der Terrororganisation IS in Syrien sowie auf dem Territorialgebiet von Staaten“ erfolgen, „von denen eine Genehmigung der jeweiligen Regierung vorliegt“. Mit einer Personalobergrenze von 1200 Soldaten sollen Aufklärungs-Tornados und Satelliten sowie ein Tankflugzeug zur Luftbetankung von Jagdbombern zum Einsatz kommen. Außerdem ist eine Fregatte als Begleitschutz für den französischen Flugzeugträger „Charles de Gaulle“ vorgesehen. Das Mandat für den Einsatz ist zunächst bis Ende 2016 befristet.

             – Frankreich. Präsident Hollande bezeichnet den Bundestagsbeschluss zum Einsatz deutscher Soldaten gegen die Terrormiliz IS als „neuen Beweis der Solidarität zwischen Frankreich und Deutschland“. Premierminister Valls schreibt, er sei „stolz auf unsere europäischen Partner und Freunde“. – Am 23.12. erläutert Valls auf einer Pressekonferenz Regierungspläne für eine Verfassungsreform und eine Verschärfung des Strafrechts zur wirksameren Bekämpfung des Terrorismus. Bedingungen für die Ausrufung des Ausnahmezustands sollen auch in der Verfassung verankert werden. Für die Verfassungsreform ist eine Drei-Fünftel-Mehrheit in den beiden Parlamentskammern nötig.

6.12. – Bundesregierung. Vizekanzler Gabriel setzt sich in einem Zeitungsinterview „für ein Ende der Eiszeit mit Russland“ ein. Dauerhaft mache es keinen Sinn, „Putin zu bitten, geopolitische Probleme wie in Syrien zu lösen und ihn gleichzeitig aus den G8 auszuschließen“. – Am 7.12. kündigt Verteidigungsministerin von der Leyen bei einem Truppenbesuch im afghanischen Mazar-e-Sharif den Verbleib von fast 1000 Bundeswehrsoldaten im Lande an. Von der Leyen beruft sich auf einen entsprechenden Nato-Beschluss.

             – Israel/BRD. Bundespräsident Gauck kommt aus Anlass der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Ländern vor 50 Jahren nach Jerusalem, wo er von Präsident Rivlin begrüßt wird. Gauck erklärt u.a.: „Jetzt, wo der Terror näher an Westeuropa heranrückt, kann ich besser, intensiver jene Bedrohung erfassen, in der die Menschen in Israel seit Jahrzehnten leben.“ Der Bundespräsident fordert Israeli und Palästinenser zu einem neuen Anlauf für den Frieden auf, auch wenn „große Fortschritte nicht in Sicht“ seien.

             – Venezuela. Bei der Wahl der 165 Mitglieder der Nationalversammlung muss die Partei von Staats- und Regierungschef Maduro „Partido Socialista Unido de Venezuela“ (PSUV) eine empfindliche Niederlage und den Verlust der Mehrheit hinnehmen. Das Oppositionsbündnis „Mesa de la Unidad Democratica“ (MUD) liegt deutlich vorn. Maduro spricht von Konterrevolution und beschuldigt die Opposition, einen „Wirtschaftskrieg“ gegen die bolivarische Revolution zu führen. Ob MUD über die absolute Mehrheit verfügt, bleibt bis zur Konstituierung des Parlaments offen.

10.12. – Syrienkonflikt. Vertreter verschiedener Oppositionsgruppen einigen sich bei einem Treffen in der saudischen Hauptstadt Riad auf eine gemeinsame Strategie bei bevorstehenden Friedensverhandlungen. Dabei sind auch Kontakte mit dem Assad-Regime vorgesehen. – Am 18.12. verabschiedet der UN-Sicherheitsrat nach mehrmonatigen diplomatischen Verhandlungen im Rahmen der von den Vereinten Nationen geführten „International Syria Support Group“ (ISSG) mit Resolution 2254 (2015) einstimmig einen Friedensplan für Syrien. Ziel ist die Erhaltung einer souveränen unabhängigen ungeteilten Syrisch-Arabischen Republik. Der UN-Sondergesandte de Mistura erhält den Auftrag, zunächst einen Waffenstillstand auszuhandeln. Im Januar 2016 sollen Friedensgespräche beginnen. Der weitere „Fahrplan“ sieht die Bildung einer Übergangsregierung innerhalb von sechs Monaten und die Vorbereitung freier und fairer Wahlen unter UN-Aufsicht innerhalb von 18 Monaten vor. Ausgeschlossen von den Friedensgesprächen sind Extremisten wie der Islamische Staat (IS) und die Nusra-Front, der syrische Ableger des Terrornetzwerks Al Qaida.

12.12. – UN-Klimakonferenz. Mit Verlängerung um einen Tag wird die Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Le Bourget bei Paris mit der einstimmigen Annahme eines rechtlich bindenden Vertrages beendet (zur Eröffnung vgl. „Blätter“, 1/2016, S. 127). Das „Pariser Abkommen“ verpflichtet die 195 Teilnehmerstaaten zum Klimaschutz und soll das 2020 auslaufende Kyoto-Protokoll der Industriestaaten ersetzen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon bezeichnet das Ergebnis der Konferenz als einen „monumentalen Erfolg“. Alle Staaten wollten die globale Erwärmung unter zwei Grad Celsius halten.

15.12. – Türkei. Das Militär beginnt mit einem Großeinsatz gegen bewaffnete Kämpfer der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), dem auch viele Zivilisten zum Opfer fallen. Die Regierung hatte rund 10 000 Soldaten und Angehörige von Sondereinheiten sowie Panzer in den mehrheitlich von Kurden bewohnten Südosten des Landes verlegt und Ausgangssperren verhängt. Die Polizei in Istanbul setzt am 20.12. Tränengas gegen Demonstranten ein, die gegen den Militäreinsatz in den Kurdengebieten demonstrieren. Regierungschef Davutoglu weist am 28.12. die „nahezu unverfrorenen“ Autonomieforderungen kurdischer Politiker zurück. Die Regierung akzeptiere deshalb keine Kurden als Gesprächspartner bei den anstehenden Verhandlungen über eine Verfassungsänderung.

16.12. – Ukraine. Ministerpräsident Jazenjuk teilt in Kiew mit, die Regierung plane innerhalb von 30 Tagen ein Handelsembargo gegen die von Russland annektierte Halbinsel Krim. Betroffen seien „Lieferungen von Waren und Dienstleistungen“ vom ukrainischen Festland auf die Krim und umgekehrt, ausgenommen „persönliche Gegenstände der Bürger, wichtige Lebensmittel und humanitäre Hilfe“.

17.12. – Libyen. Vertreter der Konfliktparteien im innerlibyschen Bürgerkrieg einigen sich in der marokkanischen Stadt Skhirat auf die Bildung einer Einheitsregierung. Innerhalb von 30 Tagen soll ein Präsidialrat die Vorbereitungen aufnehmen. Der unter Vermittlung der Vereinten Nationen gefasste Beschluss muss von den beiden rivalisierenden Parlamenten in Tobruk und Tripolis ratifiziert werden.

20.12. – Spanien. Bei den Parlamentswahlen bleibt die Regierungspartei „Partido Popular“ (PP) zwar stärkste Partei, büßt jedoch die absolute Mehrheit ein und kommt nur noch auf 123 von 350 Sitzen. An zweiter Stelle liegen die Sozialisten mit 90 Sitzen, gefolgt von der neuen Links-Bewegung Podemos („Wir können“) mit 69 Sitzen und der Protestpartei Ciudadanos („Bürger“) mit 40 Sitzen. Ministerpräsident Mariano Rajoy (PP) kündigt Verhandlungen über die Regierungsbildung an. Der Chef der Sozialisten Pedro Sanchez wendet sich am 22.12. gegen die Bildung einer Großen Koalition.

22.12. – Polen. Das Parlament verabschiedet in nächtlicher Sitzung ein Gesetz, das die Rechte des Verfassungsgerichts erheblich einschränkt und Einfluss auf die Zusammensetzung des Gerichts nimmt. Die heftig umstrittene Vorlage der neuen von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) geführten Regierung (vgl. „Blätter“, 1/2016, S. 126), die nach der Wahl vom Oktober d.J. über eine absolute Mehrheit verfügt, wird mit 235 gegen 181 Stimmen bei vier Enthaltungen angenommen und nach Zustimmung durch den Senat, die Zweite Parlamentskammer, durch Unterschrift von Präsident Duda in Kraft gesetzt. Ein neues Mediengesetz, das am 30.12. im Eilverfahren durch das Parlament gebracht wird, stößt ebenfalls auf Kritik. Das leitende Personal der öffentlich-rechtlichen Sender soll künftig direkt von der Regierung ernannt und abberufen werden. Mehrere Programmdirektoren treten aus Protest zurück.

29.12. – Kuba. Präsident Raul Castro bekräftigt vor der Nationalversammlung in Havanna: „Niemals werden wir Bedingungen akzeptieren, welche die Souveränität und Würde des Vaterlandes beschneiden.“ Damit der Normalisierungsprozess weitergehen könne, müsse die amerikanische Regierung Kubas Recht anerkennen, sein wirtschaftliches, politisches und soziales Modell selbst zu wählen. Castro fordert erneut die Aufhebung des Embargos und die Rückgabe der Marinebasis Guantanamo.

31.12. – Griechenland. In einer Ansprache zum Jahreswechsel zieht Regierungschef Tsipras Bilanz. 2015 sei das Jahr gewesen, in dem die Griechen „ihr Haupt erhoben und freimütig ihre Rechte eingefordert“ hätten; 2016 werde das Land „die Krise endgültig hinter sich lassen und sich aus der Vormundschaft der Geldgeber befreien“. Vor uns liegen große Herausforderungen.

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