Bericht des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, 2.5.2016
Mit zunehmender Flüchtlingsmigration nach Deutschland haben SPD-Chef Sigmar Gabriel und andere Politiker mögliche Verteilungskonflikte thematisiert. Besonders die sozial Schwachen würden vernachlässigt und in die Arme rechter Parteien getrieben. Zwischen Sorgen über die Zuwanderung auf der einen und Einkommen auf der anderen Seite besteht allerdings nur ein schwacher Zusammenhang. Eine Präferenz für die AfD äußerten im Europawahljahr 2014 beispielsweise durchaus auch Bürger mit vergleichsweise hohem Einkommen.
Welche Wähler entscheiden sich für welche Parteien und weshalb? Die klassische polit-ökonomische Theorie geht von nutzenmaximierenden Wählern aus, die ihre Wahlentscheidung eindimensional treffen. Ob sich ein Wähler für mehr oder weniger Umverteilung entscheidet, determiniert vor allem sein Einkommen (Downs, 1957; Meltzer und Richards, 1981). Werden die reicheren Einkommenszehntel überproportional an der Steuerlast beteiligt, ist es für Wähler mit geringem Einkommen rational, für eine höhere Umverteilung zu stimmen, von der sie profitieren. Bindet man weitere Politikdimensionen in den Entscheidungsprozess ein – etwa das Ausmaß der Zuwanderung während der kommenden Legislaturperiode – verkompliziert sich der Entscheidungsmechanismus. Die Logik eines rationalen, nutzenmaximierenden Wählers lässt sich jedoch auch in einer solchen mehrdimensionalen Wahlentscheidung anwenden: So können Zuwanderer als potenzielle Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt oder auf dem Markt für Sozialleistungen angesehen werden (Dolmas und Huffman, 2004). Folglich kennzeichnen sich Bezieher von Sozialleistungen oder Menschen, die ihren Arbeitsplatz bedroht sehen, durch ein Interesse an einer restriktiven Zuwanderungspolitik – dies sind meist Personen mit unterdurchschnittlicher Bildung und geringem Einkommen.
Für Deutschland finden Dülmer und Klein (2005), dass ein geringes Bildungsniveau (und damit ein geringes Einkommen) gerade in einer durch einen hohen Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund geprägten Region bei rechtsextremen Wählern die ausschlaggebende Determinante für die Wahlentscheidung darstellt – also dort, wo die ökonomische Konkurrenz am größten ist. Dies steht auch im Einklang mit Antworten zur Parteiidentifikation die regelmäßig im Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) abgefragt werden: Diejenigen, die eine Neigung zur NPD (oder anderen rechtsextremen Parteien) angeben, sind in der langfristigen Betrachtung überdurchschnittlich häufig arbeitslos und am unteren Rand der Einkommensskala verortet.
Das gilt auch für die aktuelle SOEP-Welle des Jahres 2014: Über 31 Prozent derjenigen, die eine Parteipräferenz für die NPD angeben, befinden sich im einkommensärmsten Fünftel, nur 4 Prozent im obersten Fünftel. Beide Werte stellen unter den abgebildeten Parteien einen Extremwert dar. Wenig erstaunlich bilden diese auch die Gruppe, der Zuwanderung die größten Sorgen bereitet: Knapp 93 Prozent geben an, sich wegen der Zuwanderung „große Sorgen“ zu machen. Im Durchschnitt aller Befragten äußern dies hingegen nur 26 Prozent.
Eine ähnlich große Sorge um die Zuwanderungssituation findet sich nur bei denjenigen, die eine Parteipräferenz für die AfD artikulieren. Interessanterweise unterscheidet sich diese Gruppe maßgeblich von den einkommensschwachen, häufig geringqualifizierten NPD-Sympathisanten. Denn Sorgen um ihre eigene wirtschaftliche Lage haben die AfD-nahen Befragten kaum: Mit einem Anteil von über einem Drittel im obersten Einkommensfünftel bewegen sich die AfD-Sympathisanten eher im Feld von Union und Grünen. Nur unter den FDP-Befürwortern kommen deutlich mehr Befragte aus dem reichsten Fünftel der Bevölkerung. Das Bildungsniveau der AfD-Anhänger ist entsprechend überdurchschnittlich und we- niger als 10 Prozent machen sich große Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation.
Die wohlhabenden AfD- und armen NPD-Sympathisanten eint also ihre ablehnende Haltung gegenüber Zuwanderung. Auch über alle Befragten hinweg zeigt sich nur ein sehr schwacher Zusammenhang zwischen den Sorgen wegen Zuwanderung und dem Nettohaushaltseinkommen – dies gilt sowohl für diejenigen, die Parteipräferenzen angeben, als auch für diejenigen, die dies nicht tun (der Korrelationskoeffizient beträgt in beiden Fällen unter 0,13). Bei den 60 Prozent mit mittlerem Einkommen sind die Sorgen aufgrund der Zuwanderung nahezu gleichmäßig verteilt, nur im ärmsten Fünftel liegen sie etwas höher, im reichsten Fünftel etwas geringer als im Durchschnitt der Bevölkerung.
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