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»Am 31. Dezember ist Deutschland länger vereint, als Mauer und Stacheldraht es getrennt haben«

Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit, 26.9.2018

Am 31. Dezember 2018 ist Deutschland länger vereint, als Mauer und Stacheldraht es getrennt haben. Das hat vielen ins Bewusstsein gerufen, dass Ostdeutschland aus dem langen Schatten der DDR-Vergangenheit herausgetreten ist.

Seit der Wiedervereinigung haben sich Ost- und Westdeutschland kontinuierlich weiter aufeinander zu bewegt. Die Angleichung der Lebensverhältnisse ist insgesamt weit vorangeschritten. Sie ist ein Ergebnis gelebter Solidarität und eines großen Willens und Mutes, den Aufholprozess unter zunächst schwierigen Bedingungen zu bewältigen. Auf diese solidarische Leistung können alle Bürgerinnen und Bürger stolz sein. Die Menschen in den neuen Bundesländern haben sich Freiheit und Demokratie in der Friedlichen Revolution selbst erkämpft. Für sie war der Vereinigungsprozess mit vielen gesellschaftlichen Umbrüchen und persönlichen Einschnitten verbunden. Sie können mit großem Selbstbewusstsein auf das Erreichte und die eigene Geschichte, Kultur und Tradition blicken.

Der Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer legt regelmäßig den Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit vor. Der Bericht hat gemäß dem Auftrag des Deutschen Bundestages an die Bundesregierung das Ziel, „ihre Politik zur Angleichung der sozialen, ökonomischen, politischen und kulturellen Lebensbedingungen der Menschen im vereinten Deutschland“ darzustellen.

Der diesjährige Bericht legt den Fokus auf das bisher Erreichte. Er würdigt, welchen enormen Herausforderungen sich ostdeutsche Bürgerinnen und Bürger stellen mussten, und zeigt, dass dieser Transformationsprozess alles in allem erfolgreich war. Ein Erfolg, den sich Deutschland als Ganzes zurechnen kann, der aber ohne die ganz individuellen Transformationsleistungen der ostdeutschen Bevölkerung nicht hätte realisiert werden können.

Gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland sind unverändert Verfassungsauftrag und ein wichtiges politisches Ziel der Bundesregierung. Voraussetzungen dafür sind eine dynamische Wirtschaft und attraktive Arbeitsplätze. Deshalb bildet sowohl die Steigerung der Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Ostdeutschland als auch des Wirtschaftsstandortes Deutschland insgesamt einen Schwerpunkt der Politik der Bundesregierung.

Als Wirtschaftsstandort haben die ostdeutschen Bundesländer viel zu bieten. Für eine weitere Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der Lebensqualität wird die Bundesregierung auch in Zukunft investieren. Sie setzt sich das Ziel, ländliche Räume und Regionen mit Strukturdefiziten in der Summe in den Blick zu nehmen. Die Mehrzahl dieser Regionen befindet sich in Ostdeutschland. Der Bericht zum Stand der Deutschen Einheit wirft auch einen Blick in die Zukunft. Dabei geht es nicht allein um Strukturen und die Wirtschaftsentwicklung. Die Bundesregierung betrachtet es als genauso wichtige Aufgabe, die Entwicklung so zu gestalten, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt wird und dauerhaft gewährt ist.

Dies alles erfordert 28 Jahre nach der Vereinigung auch neue Antworten. 2019 wird das letzte Jahr sein, in dem Mittel aus dem Solidarpakt II in die ostdeutschen Bundesländer fließen werden. Das kündigt den Beginn einer neuen Etappe der Politik für gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West an.

In der Rückschau bestätigt sich, dass die enormen Mittel, die mit dem Solidarpakt mobilisiert werden konnten, gut angelegt sind. Der Aufbau Ost ist längst eine Erfolgsgeschichte. Nach den tief greifenden Umwälzungen in den ostdeutschen Bundesländern, allem voran dem Zusammenbruch der Wirtschaft der untergegangenen DDR, aber auch den Folgen der internationalen Finanzkrise, wachsen in Ostdeutschland seit 2009 Unternehmen und Einkommen kontinuierlich.

Auch die Länder und Kommunen profitieren von dem anhaltenden Wachstum. Ihre Steuereinnahmen sind ebenso wie beim Bund seit der Überwindung der Finanzkrise stetig gestiegen. Der Bund hat zudem Länder und Kommunen in den letzten Jahren massiv entlastet – auch dies ermöglicht neue Spielräume vor Ort. Der positive Trend hält laut aktueller Steuerschätzung vom Mai 2018 auch in den nächsten Jahren an. Das stärkt insgesamt die Fähigkeit der ostdeutschen Länder und Kommunen, eigenständige Initiativen zur Stärkung ihrer Wirtschaft zu unternehmen.

Dass sich die Lebensverhältnisse in den ostdeutschen Ländern an diejenigen in Westdeutschland seit der Wiedervereinigung weiter angenähert haben, zeigt sich insbesondere bei der Infrastruktur, der Umweltqualität, der Stadt- und Dorfbilder, den Wohnverhältnissen, der Umwelt und der Gesundheitsversorgung. Auch die Lebenserwartung der Bürgerinnen und Bürger hat sich inzwischen weitgehend angeglichen. Auch im sozialen Bereich hat sich die Lücke weiter geschlossen. Die rechtlichen und sozialpolitischen Anpassungen sind weitgehend vollendet. Mit der Regelung der Rentenangleichung wurde in der letzten Legislatur ein offener Punkt bereinigt, der vielen Menschen in Ostdeutschland außerordentlich wichtig war.

Auch der Arbeitsmarkt in Ostdeutschland hat sich in den zurückliegenden Jahren positiv entwickelt. Während die Arbeitslosigkeit im Osten im Jahr 1999 noch bei über 17 Prozent lag, betrug sie im Jahr 2017 im Durchschnitt noch 7,6 Prozent – im Vergleich zu 5,3 Prozent in Westdeutschland. Thüringen liegt beispielsweise längst im gesamtdeutschen Mittelfeld. Im Durchschnitt sind die Löhne in Deutschland im Jahr 2017 gegenüber dem Vorjahr um 2,3 Prozent gestiegen. In Ostdeutschland waren es dagegen 3,9 Prozent, bei ungelernten Arbeitskräften sogar 7,9 Prozent. Hierbei macht sich auch die Einführung des Mindestlohns bemerkbar. Die Tariflöhne in Ostdeutschland liegen mittlerweile bei 98 Prozent des Westniveaus. Das durchschnittliche Niveau der tatsächlich gezahlten Löhne, das neben den Tariflöhnen entscheidend durch die Wirtschaftsstruktur und nicht tarifliche Lohnkomponenten bestimmt wird, erreicht 82 Prozent des Westniveaus.

Ostdeutschland ist in den letzten 28 Jahren zu einem attraktiven Standort für Unternehmen geworden. Immer mehr Unternehmen – vor allem Mittelständler – können im internationalen Wettbewerb bestehen. Der Anteil der Industrie an der Bruttowertschöpfung liegt in Ostdeutschland dabei heute höher als im Durchschnitt der Europäischen Union. Auch bei der Wirtschaftskraft hat der klein- und mittelständisch geprägte Osten Deutschlands den Durchschnitt der Europäischen Union schon fast erreicht. Das ist ein beachtlicher Erfolg. Wenngleich der Abstand beim Bruttoinlandsprodukt je Einwohner zu den erfolgreichsten westdeutschen Regionen fortbesteht, ist es einigen ostdeutschen Regionen wie zum Beispiel Jena und Leipzig bereits gelungen, westdeutsche Regionen bei der Wirtschaftskraft zu überholen. Hoffnung macht auch, dass sich in den ostdeutschen Bundesländern allmählich industrielle Schwerpunkte entwickeln.

In einer gezielten Mittelstandspolitik sieht die Bundesregierung wichtige Ansatzpunkte, um das Innovationspotenzial, die Internationalisierung und die Fachkräftesituation zu verbessern und damit die Wettbewerbsfähigkeit und die Wirtschaftskraft zu stärken.

Heute weisen die Lebensverhältnisse in den ostdeutschen Ländern – wie in allen anderen Regionen Deutschlands – spezifische Stärken und Schwächen auf. Einige Städte und die darum herumliegenden Regionen wachsen kontinuierlich: Das gilt beispielsweise für Berlin, Potsdam, Leipzig, Dresden, Rostock, Magdeburg oder Erfurt. Eine moderne Forschungs- und Hochschullandschaft, Kultur, Freizeiteinrichtungen, Umweltqualität und Tourismus tragen in diesen wachsenden Ballungsräumen zu ihrer bundesweiten Attraktivität bei. Und es gibt viele Signale, die optimistisch stimmen, wie etwa die im Osten gesunkene Arbeitslosigkeit. Das entscheidende Thema ist inzwischen vielmehr der zunehmende Fachkräftemangel.

Spricht man vom „Osten“, so beschreibt das mithin keine einheitliche Lebenslage. Dasselbe gilt selbstverständlich auch für den „Westen“. Regionen entwickeln sich differenziert. Die Bundesregierung verfolgt daher das Ziel, strukturelle Nachteile einzelner Regionen deutschlandweit auszugleichen, um überall gleichwertige Lebensbedingungen zu schaffen.

Der Osten kann dabei mit Selbstbewusstsein an eigene Stärken und Erfahrungen anknüpfen. Bei der Bewältigung harter struktureller und demografischer Veränderungen ist er dem Westen um viele Jahre voraus.

Durch oft günstigere Mieten, attraktive Städte und Landschaften, gut ausgebaute Kinderbetreuung und ein gutes Bildungsangebot hat der Osten im Standortwettbewerb heute bereits viele starke Argumente. Wichtig bleibt jedoch für die Zukunft, dass grundlegende Infrastruktur, wie Breitbandnetze, ärztliche Versorgung, Betreuungsstruktur und Schulen, auch in strukturschwachen Regionen erhalten bleibt und qualitativ ausgebaut wird.

Den vollständigen Bericht finden Sie hier.