Dokumente zum Zeitgeschehen

»Die Hälfte der Stadt Berlin gehört Multimillionären«

Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung, 10.11.2020

Wem gehört die Stadt? Wem gehören die zwei Millionen Wohnungen in Berlin? Wer profitiert von den seit knapp zehn Jahren steigenden Preisen und Mieten? Was heißt »keine Rendite mit der Miete«? Wer ist Mietenhai und wer ist verantwortungsvoller Vermieter? Weil es bisher weder offizielle Eigentümerlisten noch Mietenkataster gibt, bleiben diese Fragen bisher unbeantwortet oder wilder Spekulation und hartnäckigen Mythen überlassen. Um das zu ändern, verbindet das Projekt »RLS-Cities. Wem gehört die Stadt?« der Rosa-Luxemburg-Stiftung die jahrelange Detailarbeit von Mieter*innen und Journalist*innen zu Tausenden Einzelfällen sowie eigene Recherchen zu Hunderten Eigentümer*innen in weltweiten Firmenregistern und Finanzberichten mit Daten aus offiziellen Statistiken und kommerziellen Datenbanken. Daraus ergeben sich ein grobes Bild der Eigentümerstruktur auf dem Berliner Immobilienmarkt und wichtige Erkenntnisse für die demokratische Meinungsbildung:

  • Über die Wohnungen in Landesbesitz haben alle Berliner*innen einen Anteil an den Wohnungen der Stadt. Dazu kommen 305.000 Eigentümer*innen eines selbstbewohnten Hauses oder einer Eigentumswohnung sowie Hunderttausende Mitglieder von Wohnungsgenossenschaften. Weiterhin gibt es etwa 100.000 bis 200.000 Einzeleigentümer*innen einer vermieteten Wohnung und hinter den Investmentfonds und Aktiengesellschaften verbergen sich unzählige kleine Profiteure aus der ganzen Welt. Aber: Fast die Hälfte der Stadt gehört wenigen Tausend (Immobilien)Multimillionär*innen, die bisher oft anonym bleiben.
  • Fast alle Immobilieneigentümer – die landeseigenen Wohnungsunternehmen und die Genossenschaften genauso wie die privaten Unternehmen und die Privatbesitzer*innen – konnten wegen steigender Mieten und sinkender Zinsen in den letzten zehn Jahren ihre Gewinne erhöhen. Letztere zwei profitieren zusätzlich oft von den gestiegenen Kaufpreisen. Im Gegensatz dazu sind die Mieten für viele Haushalte schneller gestiegen als das Einkommen und auch die zahlungskräftigen Selbstnutzer*innen zahlen für ihre neue Eigentumswohnung mehr als durch die Zinsersparnis gerechtfertigt. Dadurch entsteht eine massive Umverteilung von Wohlstand von unten (junge, vermögenslose Menschen) nach oben (Menschen mit großem, oft geerbten Immobilienvermögen).
  • Mit dem weitgehend risikofreien Kauf eines Wohnhauses in guter Innenstadtlage in einer der gefragtesten und politisch stabilsten Metropolen der Welt konnten in den letzten zehn Jahren Renditen von teilweise mehr als 20 Prozent pro Jahr erzielt werden. Das ist weder mit dem Argument der Risikokompensation noch mit dem Leistungsgedanken zu rechtfertigen. Vielmehr führt hier die Logik des unregulierten (Finanz)Marktes unter anderem durch die wiederholten Stützungsmaßnahmen der politisch unabhängigen Zentralbanken zu ungewollten realwirtschaftlichen Effekten, die einer Korrektur durch die Politik bedürfen. Wohnen ist keine Ware.
  • Um rücksichtslose Profitmaximierer genauso wie gemeinwohlorientierte Vermieter*innen zu erkennen, analysiert die Studie mehr als 100 Berliner Immobilieneigentümer*innen. Darunter findet sich eine Reihe in der Öffentlichkeit bisher kaum bekannter Eigentümer mit mehr als 1.000, teilweise auch mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin: vom US-amerikanischen Private-Equity-Unternehmen Blackstone über den Investmentfonds Phoenix Spree aus Jersey bis hin zur Familienstiftung Becker & Kries oder den Erben von Harry Gerlach.
  • Als besonders problematisch erweisen sich die großen Private-Equity-Gesellschaften, allen voran Blackstone mit mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin. Sie machen ihre Manager*innen zu Milliardär*innen und versprechen den Anleger*innen trotzdem dauerhaft zweistellige Renditen. Sie wollen schnelles Geld anstatt langfristiger Investitionen. Sie optimieren die Rendite der Häuser und nicht deren Wohnwert. Sie nutzen Schattenfinanzplätze für Steuervermeidung und Anonymität. Und sie entziehen sich viel zu oft der Mitbestimmung ihrer Mieter*innen und der gesellschaftlichen Rechenschaftspflicht.
  • Kündigungen wegen Eigenbedarf und großzügige Steuerbefreiungen bieten privaten Vermieter*innen zusätzliche Möglichkeiten der Profitmaximierung. Der Schutz der Privatsphäre und fehlende Berichtspflichten führen in diesem Bereich zu einer hohen Intransparenz, was besonders bei großen Immobilienbeständen und bei der Verwendung komplexer Firmenstrukturen und Briefkastengesellschaften in »Geheimnisoasen« ein Problem sein kann. Angesichts der Marktentwicklungen der letzten Jahre dürfte der »kleine« Privatvermieter, dem durch zusätzliche Regulierung die Pleite oder Altersarmut droht, eine Randerscheinung sein. Wohnungskauf als Ausweg aus dem Mietenwahnsinn ist meist nur ein Modell für sehr gut Verdienende. Von der Aufteilung profitieren vor allem die Voreigentümer*innen und mehr als zwei Drittel der Eigentumswohnungen werden zur Kapitalanlage.
  • Die Genossenschaften konnten durch die niedrigen Zinsen ihre Kosten reduzieren und ihren Wohnungsbestand umfassend sanieren. Im Gegensatz zu dem Eindruck, den sie mit ihrer teils aggressiven Kampagne gegen den in Berlin eingeführten Mietendeckel hinterließen, verfügen die meisten der 27 Mitglieder im Verbund der Berliner Genossenschaften über hohe Überschüsse und Rückstellungen. Während die landeseigenen Wohnungsunternehmen mittlerweile an klare sozialpolitische Ziele vom Neubau über Wohnungen für besondere Bedarfe bis hin zum einfachen Wohnungswechsel  gebunden sind, sind die Genossenschaften vor allem ihren Mitgliedern verpflichtet. Trotzdem leisten sie durch die langfristige Bindung ihrer Mittel und ihrer Wohnungsbestände und die Mitbestimmungsmöglichkeiten einen wichtigen Beitrag für bezahlbaren Wohnraum in der Stadt.

Gegen den gehäuften Missbrauch oder die gezielte Aushöhlung einzelner Regeln genauso wie gegen die massive Umverteilung von Wohlstand auf den Immobilienmärkten in den letzten zehn Jahren muss auf zwei Ebenen gehandelt werden:

  1. Die aktuell verfügbaren Daten zu den Eigentümerstrukturen und zum Mietmarkt sind für die notwendigen regulatorischen und steuerlichen Maßnahmen und angesichts der Bedeutung des Themas völlig unzureichend. Um die »soziale Frage des 21. Jahrhunderts« demokratisch zu beantworten, für evidenzbasierte politische Maßnahmen und nicht zuletzt für den Kampf gegen Missbrauch und organisierte Kriminalität braucht es mehr Transparenz und sehr viel bessere Informationen. Ein Gebäude und Wohnungsregister bzw. Mietenkataster mit Eigentümerinformationen könnte hier Abhilfe schaffen.
  2. Durch gezielte Maßnahmen müssen die Umwandlung in Eigentumswohnungen und die Eigenbedarfskündigung genauso wie der Immobilienhandel über Firmenanteile (sogenannte Share Deals) zur Umgehung von Vorkauf und Grunderwerbssteuer besser reguliert werden. Als Reaktion auf die Preisexplosion müssen ferner hohe leistungslose Einkommen abgeschöpft werden (z. B. über eine reformierte Erbschafts oder Vermögenssteuer). Zudem sollten die Realisierung und Extraktion von extremen Wertsteigerungen über Preislimits (berechnet z. B. als Vielfaches der Jahresmieteinnahmen zum Zeitpunkt des Verkaufs) verhindert werden. Zu einer langfristig angelegten städtischen Bodenpolitik gehört auch das Instrument der Enteignung zu realistischen Preisen als Ultima Ratio.

Die gesamte Studie können Sie hier herunterladen.