Dokumente zum Zeitgeschehen

»Judenhass ist in vielen Ländern der Welt, auch in Deutschland, wieder alltäglich«

Rede von Inge Auerbacher zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, 27.1.2022

Wer bin ich?

Ich bin ein jüdisches Maedel aus dem badischen Dorf Kippenheim und dem schwäbischen Jebenhausen-Göppingen. Ich wurde am 31. Dezember 1934 in Kippenheim geboren. Juden und Christen wohnten friedlich zusammen. Ich war das letzte jüdische Kind, das dort geboren wurde. Ich blieb ein Einzelkind von Berthold und Regina Auerbacher. Papa war im Ersten Weltkrieg Soldat in der deutschen Armee und wurde schwer verwundet. Er ist mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden. Sein Beruf war Textilhändler. Mama stammte aus dem schwäbischen Jebenhausen. Ihre Mutter, meine Oma, kam aus einer großen Familie mit 14 Kindern, von denen vier Brüder im Ersten Weltkrieg kämpften. Zwei gaben ihr Leben für das deutsche Vaterland. Meine selige Oma wurde von den Nazis ermordet und liegt in einem Massengrab in Bikernieki, einem Wald in der Nähe von Riga in Lettland. Berthold Auerbach (eigentlich hieß er Moses Baruch Auerbacher) war ein Mitglied meiner Familie und war im 19. Jahrhundert ein sehr bekannter Schriftsteller. Nach ihm ist auch heute wieder eine Straße in Berlin benannt.

Soviel ich weiß, bin ich das einzige Kind, das unter allen Deportierten aus Stuttgart zurückkehrte. 20 Personen von unserer Familie sind von den Nazis ermordet worden. 3 Jahre KZ Theresienstadt. 4 Jahre im Bett wegen der schweren gesundheitlichen Folgen. 8 Jahre Schulverlust. 4 Jahre Stigmatisierung, den Judenstern zu tragen. Stigma wegen der bösen Krankheit, die Partner daran hinderte, mich zu heiraten. Ich durfte nie ein Brautkleid tragen. Ich werde nie Mama oder Oma werden. Aber ich bin glücklich und die Kinder der Welt sind meine. 

Ich schließe mit meinem Herzenswunsch: Menschenhass ist etwas Schreckliches. Wir sind alle als Brüder und Schwestern geboren. Mein innigster Wunsch ist die Versöhnung aller Menschen. Entzünde heute eine Kerze zur Erinnerung an die ermordeten unschuldigen Kinder, Frauen und Männer. Entzünde eine Kerze für das Leben und halte die Dunkelheit zurück. Sei Hüter deiner Schwestern und Brüder, dann wird dein Glück immer blühen. Wir sind alle als Kinder Gottes geboren. Für Einigkeit und Frieden öffnen sich die Tore. Die Vergangenheit darf nie vergessen werden. Zusammen wollen wir beten für Einigkeit auf Erden. Lasst uns gemeinsam einen neuen Morgen sehen. Dieser Traum soll nie verlorengehen.

Die vollständige Rede finden Sie hier.