Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, 25.8.2022
Wir alle erinnern uns an die Bilder der Flammen, die aus den Fenstern schlugen, auf grausame Art bejubelt von tausenden johlenden Menschen davor. Wir wissen darum. Aber Ihre Todesangst, Ihr Gefühl des Verlassenseins in jenen Stunden können wir alle nur erahnen.
Was in Rostock geschah, ist eine Schande für unser Land. Und für diese Schande trägt die Politik große Mitverantwortung.
Man darf die Ereignisse von Rostock nicht singulär und auch nicht losgelöst von der damals aktuellen politischen Diskussion betrachten. Die Nächte von Lichtenhagen waren ein furchtbarer Auswuchs in einer ganzen Welle von menschenfeindlichen Ausschreitungen und von Anschlägen auf Migranten, bei denen viele Menschen getötet wurden.
Viele der bundesweit 2.277 Angriffe auf Migranten, welche die Sicherheitsbehörden allein 1992 zählten, sind unter einer Schicht des Vergessens begraben. Aber auch die sind passiert. In Lichtenhagen gab es wie durch ein Wunder keine Toten. Nach Lichtenhagen geschahen die Mordanschläge von Mölln, von Hünxe, von Solingen, von Lübeck. In Mölln gab es drei Mordopfer, in Solingen wurden fünf Angehörige der Familie Genç ermordet, in Lübeck kamen bei einem Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim zehn Menschen zu Tode. Eine Spur rechter Gewalt zog sich durch Deutschland.
Das Risiko, Opfer zu werden von kollektiver Wut, Hetze und Gewalt, tragen aber nicht alle in gleicher Weise. Das gilt für Lichtenhagen, für Mölln, für Halle, für Hanau. Aus dieser Erkenntnis folgt eine gesellschaftliche Pflicht. Es gilt für uns alle, denjenigen Schutz zu bieten, die potenziell Opfer sind. Es gilt für uns alle, wachsam zu sein für haarfeine Risse im Zusammenleben, wehrhaft gegen die Feinde dieser Gesellschaft und friedfertig im Umgang miteinander, vor allem aber solidarisch mit den Bedrohten. Wir dürfen sie niemals im Stich lassen.
Die vollständige Rede finden Sie hier.