Jörg Armbruster: Im Strudel der Wut. Der Krieg in Gaza und die Neuordnung in Nahost, S. 51-58
Die großen Demonstrationen in den arabischen Ländern zeigen: Die USA verlieren in den dortigen Bevölkerungen weiter an Ansehen, eine Aussöhnung mit Israel scheint unmöglich. Der langjährige Nahostkorrespondent Jörg Armbruster zeigt, wie die Enttäuschung über die Doppelmoral des „Westens“ die Machtverschiebung in der Region beschleunigt: Iran gewinnt an Einfluss und China bringt sich als Ordnungsstifter ins Spiel.
Simon Sebag Montefiore: Narrative der Entmenschlichung. Der Terror der Hamas und das Versagen der dekolonialen Linken, S. 59-70
Nach dem Terrorangriff der Hamas und der folgenden israelischen Offensive zeigen sich viele linke Intellektuelle solidarisch mit Palästina. Oft glauben sie, damit einen antikolonialen Befreiungskampf zu unterstützen, zu dem teilweise auch die Hamas gezählt wird. Der Historiker Simon Sebag Montefiore hält das für ein gefährliche Verdrehung der Tatsachen. An der Geschichte zeigt er, dass der Staat Israel kein koloniales Konstrukt ist.
Seyla Benhabib: Die Hamas ist keine Befreiungsbewegung. Eine Antwort auf »Philosophy for Palestine«, S. 71-76
In einem offenen Brief solidarisierten sich jüngst namhafte Philosophen mit den Palästinensern gegen Israel. Implizit deuten sie dabei aber die Hamas zur Befreiungsbewegung um, kritisiert die Philosophin und „Blätter“-Mitherausgeberin Seyla Benhabib. Das aber lasse die historische Entwicklung beider Völker außer Acht. Trotz der fatalen Politik der israelischen Regierung sei Zionismus keine Form von Rassismus und seien zwei Staaten notwendig, auch wenn diese Lösung gerade unerreichbar scheint.
Salman Rushdie: Der Frieden in einer Zeit der Lügen. Warum wir die freie Rede erbittert verteidigen müssen, S. 77-83
Die Redefreiheit ist ein elementarer Bestandteil einer liberalen und demokratischen Gesellschaft. Diese Freiheit wird von reaktionären Kräften weltweit zunehmend bedroht, aber auch missbraucht. Der Schriftsteller Salman Rushdie plädiert dafür, falschen Narrativen bessere entgegenzusetzen, auf Hass mit Liebe zu antworten und nicht die Hoffnung aufzugeben, dass sich die Wahrheit selbst in einer Zeit der Lügen am Ende durchsetzen kann.
Golineh Atai: »Die Wahrheit muss an den Tag«. Was die 89er-Revolution mit Iran und Nahost verbindet, S. 85-93
Der Herbst 1989 steht beispielhaft dafür, dass friedliche Revolutionen möglich sind. Die Auslandskorrespondentin in Kairo, Golineh Atai, erinnert an die Bürgerrechtsbewegung und zieht Parallelen zu den Aufständen im Iran. Während Demokratie und Menschenrechte dort ihre Strahlkraft behalten hätten, gelte es hierzulande wieder an das Moment von 1989 anzuknüpfen.
Steffen Vogel: Faschismus und Freiheitskampf. Zur Aktualität von Jorge Semprún, S. 95-102
Der Schriftsteller Jorge Semprún kämpfte gegen den Nationalsozialismus und überlebte das Konzentrationslager Buchenwald – trotzdem plädierte er später für die Vereinigung Deutschlands. Zu seinem 100. Geburtstag erklärt „Blätter“-Redakteur Steffen Vogel, warum dessen politische Interventionen auch für die Debatten der Gegenwart relevant bleiben.
Ferdinand Muggenthaler: In schwerer See. 75 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, S. 103-110
75 Jahre nach ihrer Formulierung sind die Menschenrechte vielerorts diskreditiert und kaum durchgesetzt. Trotzdem sieht „Blätter“-Redakteur Ferdinand Muggenthaler in ihnen den herausragenden Bezugspunkt, um eine Weltpolitik zu denken, die mehr ist als ein chaotischer Machtkampf zwischen Staaten, internationalen Konzernen und kriminellen Kartellen.
Ralf Gisinger: Wissenschaftlich exakt, politisch unbrauchbar? Zur geologischen Definition des Anthropozäns, S. 111-116
Die Geologie steht kurz davor, das Zeitalter des Anthropozäns exakt zu bestimmen. Doch was als Durchbruch erscheint, ist innerhalb der Disziplin umstritten, wie der Philosoph Ralf Gisinger darlegt. So bleibt völlig unklar, ob die Definition dem Schutz menschlichen Lebens auf der Erde dient.
Martin Rücker: Die Krankheit nach der Krankheit. Deutschland in der Long-Covid-Krise, S. 117-122
Etwa jede zehnte Person bleibt auch nach überstandener Coronainfektion krank. Der Journalist Martin Rücker zeigt auf, wie unser Gesundheits- und Sozialsystem Betroffene postviraler Erkrankungen oft noch immer alleinlässt und ihr Leid durch falsche Therapien teils sogar verschärft.