Kurzbericht der Expert:innenkommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin, 15.4.2024
Dem Gesetzgeber steht bei der Frage des Einsatzes von (Kriminal-) Strafrecht innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Dieser Gestaltungsspielraum findet im Fall des Schwangerschaftsabbruchs allerdings dort seine Grenze, wo die Schwangere als Grundrechtssubjekt durch Strafrecht übermäßig in Anspruch genommen würde: Beim strafrechtlichen Lebensschutz ist das der Fall, wenn der Schwangeren die Übernahme der Schutzpflicht für das ungeborene menschliche Leben nicht (mehr) zumutbar ist und damit der Schwangerschaftsabbruch rechtmäßig ist.
Darüber hinaus ist der Schwangerschaftsabbruch rechtmäßig zu erlauben, wenn die Fortsetzung der Schwangerschaft von der Schwangeren wegen einer Indikation nicht verlangt werden darf. Mit Unzumutbarkeit der Fortsetzung der Schwangerschaft entfällt für die Frau materiell-strafrechtlich die Pflicht zur Austragung. Bei der konkreten Ausgestaltung der Indikationen hat der Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum.
Der Einsatz der Kriminalstrafe bei grundsätzlich unzulässigen (rechtswidrigen) Schwangerschaftsabbrüchen in der Spätphase und ggf. auch in der mittleren Phase der Schwangerschaft liegt in der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers.
Der Gesetzgeber könnte danach künftig eine grundsätzliche Strafbarkeit (so heute gem. § 218 Abs. 1 S. 1 StGB) zwar noch vorsehen, müsste diese aber weitergehender als bislang einschränken und dann entsprechende Ausnahmen bei Rechtmäßigkeit regeln. Der Gesetzgeber sollte insbesondere den Schwangerschaftsabbruch in der Frühphase der Schwangerschaft rechtmäßig und straflos stellen. Er kann sich hierfür im Rahmen der sorgfältigen Prüfung unter Hinzuziehung sämtlicher Abwägungsaspekte auch in der mittleren Phase der Schwangerschaft entscheiden (Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers).
Ebenso denkbar wäre es, § 218 Abs. 1 S. 1 StGB zu streichen und nur dort eine Strafbarkeit vorzusehen, wo sie erforderlich ist (für nicht selbstbestimmte und unsichere Abbrüche und Eingriffe gegenüber dem Embryo bzw. Fetus). Die strafrechtliche Verantwortung der Schwangeren ließe sich daneben in einer einzigen Norm (partiell) begrenzen bzw. ausschließen, statt sie wie bisher durch verschiedene Regelungen zu privilegieren.
Es bedarf einer Regelung, die die Rechtmäßigkeit und Straflosigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen in der Frühphase sicherstellt. Für ein damit zu verbindendes Beratungsverfahren, sei es verpflichtend oder wahlweise, mit oder ohne gesonderter Wartefrist, sind dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers aus Sicht des Strafrechts keine weitergehenden Beschränkungen aufzuerlegen.
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