Dokumente zum Zeitgeschehen

»Die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus muss für uns ein Leitgedanke sein und uns dazu verpflichten, eine Zukunft aufzubauen, in der Menschlichkeit und Gerechtigkeit keine leeren Worte sind«

Rede von Roman Schwarzmann bei der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus im Bundestag, 29.1.2025

Lassen Sie mich zu Beginn meinen aufrichtigen Dank dafür aussprechen, dass ich heute die Gelegenheit habe, hier vor Ihnen das Wort zu ergreifen. Ich stehe heute vor Ihnen als Person, die eine der grausamsten Seiten der Menschheitsgeschichte durchlebt hat. Meine persönliche Geschichte ist eine Geschichte des Überlebens, des Kampfes und der Hoffnung. Meine Geschichte ist die Geschichte von Millionen von Menschen, die ihre eigene Geschichte nicht mehr erzählen können. […]

Ich war viele Male mit dem Tod konfrontiert, aber ich habe auch Momente der Güte und Solidarität im Ghetto erlebt. Diese Momente haben uns geholfen, standzuhalten und den Glauben nicht zu verlieren. Und zu überleben! Zu überleben, um der Welt vom Holocaust, vom Faschismus, von Folter und von anderen Schrecken des Krieges zu berichten. Leider haben die meisten von ihnen die Stunde der Rettung nicht mehr erlebt. Die Erinnerung an die Opfer des Holocaust zu bewahren, wurde zu meiner Lebensaufgabe. Ich danke dem Deutschen Bundestag, dass wir hier zusammenkommen und derjenigen gedenken können, die wir verloren haben. Für mich ist es auch wichtig, ein würdiges Denkmal in meiner Heimatstadt Odessa zu errichten. An jenem Ort, an dem 25 000 Einwohner von Odessa lebendig verbrannt wurden, nur weil sie Juden waren.

Denn in der Nacht vom 22. auf den 23. Oktober 1941 wurden Juden (alte Menschen, Frauen, Kinder und Jugendliche) in neun leerstehende Lagerhallen getrieben, in denen vor dem Krieg Munition gelagert wurde. Die Gebäude wurden mit einem leicht brennbaren Gemisch übergossen und in Brand gesetzt. […]

Der Bau des Denkmals wurde durch den aggressiven russischen Krieg unterbrochen. Aber ich bin mir sicher, dass dieses Projekt zu Ende geführt wird. Seitdem am 24. Februar 2022 Russland unsere Zivilbevölkerung, unsere Städte und unser Energiesystem angegriffen hat, ist unser Leben und unsere Freiheit wieder in Gefahr. Putin versucht, uns als Nation zu vernichten. So wie Hitler versucht hat, das jüdische Volk im Zweiten Weltkrieg zu vernichten. Damals wollte mich Hitler töten, weil ich Jude bin. Jetzt versucht Putin, mich zu töten, weil ich Ukrainer bin. […]

Unsere historische und moralische Pflicht besteht darin, dafür zu sorgen, dass niemand leiden muss oder gefoltert wird. Heute möchte ich Sie an diesem historischen Ort bitten, weiter für die Ukraine und meine Heimatstadt Odessa zu kämpfen. Heute müssen wir erneut alles daransetzen, die Barbarei in die Schranken zu weisen. Dies ist der einzige Weg zu Frieden und gegenseitigem Verständnis. Ich flehe Sie an, uns zu bewaffnen, damit Putin diesen Vernichtungskrieg beendet. Einmal bin ich der Vernichtung entgangen. Jetzt bin ich schon alt, aber ich muss mit der Angst leben, dass meine Kinder und die Kinder meiner Kinder Opfer eines Vernichtungskriegs werden. Die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus muss für uns ein Leitgedanke sein und uns dazu verpflichten, eine Zukunft aufzubauen, in der Menschlichkeit und Gerechtigkeit keine leeren Worte sind.

Die vollständige Rede finden Sie hier.