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»Steuerentlastungen in Größenordnungen von mehr als vier Prozent des BIP, wie sie FDP oder AfD versprechen, sind utopisch«

Studie des DIW, 10.2.2025

Steuerentlastungen in Größenordnungen von mehr als vier Prozent des BIP, wie sie FDP oder AfD versprechen, sind utopisch angesichts der finanzpolitischen Herausforderungen, vor denen Deutschland in den nächsten Jahren steht. Infrastruktur, Bildung, demografischer Wandel, Fachkräftemangel, Migration, Energiewende, Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und Verteidigung – all das sind Probleme, für die in den kommenden Jahren mehr Geld ausgegeben werden muss. Schon weniger Steuereinnahmen von mehr als zwei Prozent des BIP wie bei der Union erscheinen überambitioniert. Mit Entlastungen von bis zu einem Prozent des BIP wie bei SPD und Grünen dürfte das Ende der Fahnenstange erreicht sein.

Dass die Schuldenbremse in der nächsten Legislatur für öffentliche Investitionen oder Verteidigung gelockert wird, ist ziemlich sicher. Aber selbst dann summieren sich die verbleibenden Ausgabenbedarfe auf mehrere Prozentpunkte des BIP. Zusätzliche Entlastungen bei Steuern und Abgaben erfordern umfassende Einsparungen in den öffentlichen Haushalten. Tatsächlich sollten die bestehenden Ausgabenprogramme nicht tabu sein, etwa Subventionen, aber auch Sozialleistungen. Wünschenswert wären hierzu umfassende Evaluationen und Effizienzverbesserungen in der öffentlichen Verwaltung. Aber jenseits von Einsparungen in Größenordnungen von 50 Milliarden Euro im Jahr lässt sich das nur langfristig erreichen. Um die öffentliche Verwaltung effizienter zu machen, muss man in Strukturreformen investieren. Das kostet erst einmal Geld, um dann langfristig zu sparen. Darüber liest man wenig in den Wahlprogrammen der Parteien oder wenn, dann nur Allgemeinplätze.

Den Haushaltstitel „Öffentliche Verschwendung“, aus dem man für Steuererleichterungen oder Budgetsanierung höhere zweistellige Milliardenbeträge mobilisieren könnte, findet man nicht in den Haushaltsplänen. Wenn nicht bei Kommunen und Investitionen gespart werden soll, wie häufig in der Vergangenheit geschehen, lassen sich solche Größenordnungen nur durch pauschale Kürzungen bei Sozialleistungen und Subventionen erreichen. Dies belastet vor allem die ärmere Bevölkerung und die arbeitende Mitte, aber auch Besserverdienende.

Höhere Wachstumseffekte über die hier geschätzten „Selbstfinanzierungseffekte“ hinaus sind unwahrscheinlich.info Daher werden auch schrittweise Entlastungen die Defizite treiben. Aus diesem Grund sollte man Steuerentlastungen vor allem auf sensitive Bereiche konzentrieren, bei denen das Wachstum gestärkt oder die Steuergerechtigkeit verbessert wird – etwa die hohen Belastungen der Erwerbseinkommen durch Sozialbeiträge, Einkommensteuer und den Abbau von Sozialleistungen bei steigendem Verdienst. Ferner geht es um Entlastungen der Unternehmen, zu denen weitgehender Konsens besteht. Die Frage dabei ist allenfalls, ob das durch allgemeine Steuersenkungen oder breite Investitionssenkungen erreicht werden soll. Hierzu sollten sich Kompromisse finden lassen.

Zur Finanzierung der Entlastungen kommt man an Steuererhöhungen nicht vorbei. Diese sollten möglichst auf „leistungslose“ Einkommen, Vermögen oder Vermögensübertragungen konzentriert werden. Dies betrifft die Vorschläge zum Abbau von Steuervergünstigungen bei der Immobilienbesteuerung, wie sie die SPD und Grüne machen.info Auch die Grundsteuer könnte gestärkt werden, die in Deutschland ein relativ geringes Gewicht im internationalen Vergleich hat. Der Abbau von Erbschaftsteuerprivilegien oder Superreichen-Vermögensteuern können dazu beitragen, die Steuergerechtigkeit zu stärken und die beträchtliche Top-Vermögenskumulation zu begrenzen. Je nach Design müssen sie keine großen Effizienz- und Wachstumsnachteile haben. Angesichts der aktuellen Standortprobleme sollte man dabei aber vorsichtig sein und nur schrittweise vorgehen, möglichst auch international koordiniert.

Der steuerpolitische Elefant im Raum ist die Mehrwertsteuer. Dazu bekennt sich derzeit keine Partei. Wie die guten Erfahrungen mit der „Merkelsteuer“ 2007 zeigen, kann eine Mehrwertsteuererhöhung mit breit verteilten moderaten Belastungen ein hohes Aufkommen erzielen. Eine Erhöhung des Regelsatzes um einen Prozentpunkt dürfte derzeit ein Aufkommen von 16 Milliarden Euro im Jahr erzielen. Eine Abschaffung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes außer für Lebensmittel würde weitere 13 Milliarden Euro im Jahr mobilisieren. Die Schattenseite sind ungünstige Verteilungswirkungen, da untere und mittlere Einkommen davon relativ stark getroffen werden.info Entlastungen bei den Sozialbeiträgen würden kleine und mittlere Erwerbseinkommen per Saldo entlasten. Sozialleistungen wie das Bürgergeld oder das Wohngeld könnte man aufstocken. Dann würden vor allem besserversorgte Ruheständler belastet – eine Rentenkürzung durch die Hintertür, die sich die Parteien bei den dringlichen Rentenreformen nicht trauen. 

 

Die vollständige Studie finden sie hier.