Offener Brief von 1769 Wissenschaftler:innen, 4.3.2025
Ihre Anfrage suggeriert, dass staatlich geförderte Organisationen einer Neutralitätspflicht unterliegen, die sich aus der Neutralitätspflicht des Staates ableitet. Dies ist verfassungsrechtlich nicht haltbar.
Wie das Bundesverfassungsgericht mehrfach betont hat, ist es Aufgabe des Staates, eine „freie und offene Meinungs- und Willensbildung“ (BVerfG, Urteil zur Parteienfinanzierung II, 1966) zu gewährleisten. Die Neutralitätspflicht des Staates bezieht sich auf das Handeln der Exekutive, nicht aber auf die Meinungsäußerungen und die politische Arbeit unabhängiger zivilgesellschaftlicher Akteure. Eine Übertragung dieser Pflicht auf Nichtregierungsorganisationen ist daher ein „etatistisches Missverständnis“ (Verfassungsblog 2024).
Die Vorstellung, dass eine Organisation durch öffentliche Förderung zu einem „verlängerten Arm des Staates“ werde und sich deshalb jeglicher politischer Äußerung enthalten müsse, widerspricht dem Verfassungsprinzip der Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu klargestellt, dass auch Organisationen, die staatliche Unterstützung erhalten, eine eigenständige gesellschaftliche Rolle haben und ihre Unabhängigkeit gewahrt bleiben muss (BVerfG, Entscheidung zu parteinahen Stiftungen, 1986). Insbesondere behalten sie ihre Rechte auf freie Meinungsäußerung und die Freiheit, sich friedlich zu versammeln.
Zivilgesellschaftliche Organisationen dürfen im Sinne des Gemeinnützigkeitsrechts nicht parteiähnlich sein, müssen aber auch nicht politisch neutral sein – dies würde ihre gesellschaftliche, historische und demokratische Funktion ad absurdum führen.
Die Auslegung des Neutralitätsgebots, wie wir sie in Ihrer Anfrage zur Kenntnis nehmen, kannten wir bisher von rechtsextremen Akteuren wie der AfD. Diese nutzen verzerrte Darstellungen von „Neutralität“, um die wehrhafte Demokratie zu delegitimieren und um zivilgesellschaftliche Initiativen, Organisationen und Akteure, aber auch Lehrerinnen und Lehrer, Wahlbeamte und Mitarbeitende von Behörden und öffentlicher Verwaltung einzuschüchtern. Ein solches Vorgehen kann nicht im Sinne der CDU/CSU sein. Denn sollte das von Rechtsextremisten bekannte Vorgehen nun auch im demokratischen Spektrum Schule machen, sähen wir die Grundfesten demokratischer Kultur, der freien Willensbildung und Meinungsäußerung in Gefahr.
Den vollständigen Brief finden Sie hier.