Vom deutschen Jubel über die eigene Unzulänglichkeit
Karl D. Bredthauer: Herr Gaus, ist es in Ihren Augen so etwas wie Nabelschau, unverantwortliches Abschweifen von den eigentlichen Problemen der Zeit, wenn die Deutschen gegenwärtig weitgehend mit sich selbst, mit deutschen Fragen, deutschen Problemen, Hoffnungen, Ängsten beschäftigt sind?
Günter Gaus: Ich kann das nicht so sehen. Ich bin der Meinung, daß die Vorgänge in den beiden deutschen Staaten, das Dahinschwinden des schwächeren, des kleineren deutschen Staates in diesen Monaten, von einer Bedeutung sind, die die Fixierung der Menschen auf dieses Thema und seine Bedeutung verständlich machen. Es bleibt richtig, daß die Welt sich glücklicherweise nicht in Deutschland erschöpft. Es ist meine Sorge, daß außerdeutsche Probleme, vor allem Probleme der Dritten Welt, auch wirtschaftlich für längere Zeit ins Hintertreffen geraten, nicht nur im Bewußtsein der Menschen, sondern auch konkret im Handeln der deutschen Politik.
Dennoch verfehlt man die Realität, wenn man zu früh, zu schnell, zu hochmütig "Nabelschau" nennt, was tatsächlich - und mit noch ungewissem Ausgang - unmittelbar ins Leben jedes Deutschen eingreift.