Die Wende in Moskau und im Verhältnis zwischen den Republiken und der (Rest-)Zentrale stellen das Völkerrecht vor ungewöhnliche Anforderungen. Führen die gegenwärtigen Veränderungen zum Untergang bzw. Erlöschen des völkerrechtlichen Subjekts UdSSR oder sind sie lediglich als innere Transformation des Regierungssystems zu werten, die auf die völkerrechtliche Subjektivität keine Auswirkungen haben? Die Beantwortung dieser Frage hat weitreichende Konsequenzen. Bleibt die Union als völkerrechtliches Subjekt erhalten — und das kann durchaus unter anderen Namen und inneren Verhältnissen, auch zurückgenommenen Grenzen der Fall sein —, stellen sich Nachfolgeprobleme nur für die abgetrennten Gebiete als neu- oder wiederentstehende Staaten, nicht für die fortexistierende Union. Sie ist nach wie vor völkerrechtlich berechtigt und verpflichtet, behält z.B. den Sitz im Sicherheitsrat, muß die übernommenen Abrüstungsverpflichtungen erfüllen, beispielsweise ihre Truppen aus Deutschland zurückziehen.
Anders ist es, wenn man von einem Untergang wegen Zerfalls (dismembratio) ausgeht. Grundsätzlich erlöschen dann Rechte und Pflichten. Inwieweit die neuen Staatsgebilde Rechte und Pflichten übernehmen, wäre eine Frage der Staatennachfolge.