Ausgabe Dezember 1992

Deutsche Integration - Europäische Erosion

Mittlerweile ist es überdeutlich und wird auch kaum noch ernsthaft bestritten: Europa befindet sich in einer tiefen Krise. Gemeint ist nicht mehr nur die Transformationskrise Osteuropas, sondern der bislang strukturierende Kern, der Hoffnungsträger einer neuen, gesamteuropäischen Architektur: die Europäische Gemeinschaft ist in Frage gestellt. Ausgehend von der dänischen Absage an Maastricht schien es sich zunächst lediglich um ein Wahrnehmungs- bzw. ein Darstellungsproblem zu handeln. Die EG-Regierungen hatten es augenscheinlich versäumt, die im Kern scheinbar unangefochtene Integrationspolitik — von dem Binnenmarktprojekt über die Einheitliche Europäische Akte bis hin zum Maastricht-Vertrag — ihren jeweiligen Landsleuten ausreichend zu vermitteln. Zu selbstgefällig hatten die politischen Klassen auf eine bereits hinreichend stabile europäische Identität gesetzt. Spätestens nach dem äußerst knappen Referendum in Frankreich mußten sie einsehen, daß diese Akzeptanz wohl selbst in Kernländern der EG (noch?) nicht vorausgesetzt werden kann. Die Reaktion bestand allerdings nicht in einer Überarbeitung der Integrationspolitik der letzten Jahre, sondern — auch in der Bundesrepublik Deutschland, wo der Ausgang eines Referendums ebenfalls ungewiß wäre — vorwiegend in PR-Erwägungen nach dem Motto „Wie sag ich's meinem Volke?".

Dezember 1992

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