Elemente und Ursprünge der österreichischen Krise
"Einen besonderen Hang zu Endzeiten" als Österreichisches Spezifikum diagnostizierte einmal der Wiener Autor Robert Menasse. 1) Er bezog sich auf die Erfahrungen einer Generation, die, um die Jahrhundertwende geboren, zwischen 1918 und 1945 gleich vier Endzeiten erlebte: Habsburgerreich, Erste Republik, Ständestaat und Nazi-Ostmark. Dem beispiellosen Vernichtungswerk dieser Generation folgte ein ebenso beispielloses Aufbauwerk, verbunden mit dauerhafter politischer Stabilität. Es gab diesen und jenen Skandal - im Zuge der Lucona-Affäre wurde sogar ein Teil der SPÖ-Führung versenkt -, aber keine Hinweise auf neue Endzeiten.
Noch vor drei Jahren schien die Welt zwischen Donau und Karawanken in Ordnung zu sein. Der unsägliche Bundespräsident Waldheim, der - ungewollt sicherlich - durch die Debatten über seine Vergangenheit gesellschaftliche Aufklärung bewirkt hatte, war ausgestanden. Die Großparteien hatten noch fast 80% der Wählerinnen und Wähler hinter sich. Der "Brief nach Brüssel" beschäftigte die Öffentlichkeit weit mehr als irgendwelche peripheren Krisensignale. Inzwischen ist das Land in eine tiefe politische Krise hineingeschlittert, wie es seit 1950 keine mehr gegeben hat. 2) Sie hatte sich bereits seit längerem angekündigt, zwar nicht mit spektakulären Ereignissen, wohl aber mit "stillen Revolutionen".