Bild: Eine Gruppe der PKK vernichtet Waffen im Nordirak, 11.7.2025 (IMAGO / Anadolu Agency)
Am 11. Juli 2025 legten dreißig Guerillakämpfer und -kämpferinnen der Kurdischen Arbeiterpartei PKK ihre Waffen nieder. Vor laufenden Kameras verbrannten sie in einer Zeremonie ihre Sturmgewehre. Das in der Nähe der kurdischen Stadt Slemanî an der iranisch-irakischen Grenze entzündete Feuer knüpfte an das Newroz-Feuer an, das jährlich zum kurdischen Neujahrsfest entfacht wird und einen Neuanfang symbolisiert. Damit folgte der bewaffnete Arm der kurdischen Bewegung dem Aufruf seines inhaftierten Anführers Abdullah Öcalan. Im Zuge der seit Oktober 2024 laufenden Annäherung zwischen der türkischen Regierung und kurdischen Akteuren hatte dieser sich aus der Haft heraus für eine Entwaffnung der PKK ausgesprochen.
In einer Zeit, in der weltweit massiv aufgerüstet und militärische Macht als politisches Kapital ins Zentrum rückt, erscheint das Bekenntnis zur Entwaffnung einer Guerillabewegung ungewöhnlich, wenn nicht sogar anachronistisch. Doch es verweist auf eine seit den 1990er Jahren fortlaufende ideologische Transformation der kurdischen Mobilisierung, die Militanz nicht als Selbstzweck betrachtet, sondern als Teil eines umfassenden Emanzipationsprojekts. Gewalt soll in diesem Projekt nur zur Selbstverteidigung angewendet werden – der politische Fokus aber liegt auf dem Aufbau einer demokratischen Gesellschaft.
In der wachsenden Zahl wissenschaftlicher Arbeiten über die diversen kurdischen Mobilisierungsformen wird genau diese Neuausrichtung betont.[1] Im 21. Jahrhundert hat sich ein neues Verständnis von den Kurd:innen durchgesetzt: Aus der gängigen Bezeichnung „Volk ohne Staat“ wurde das „Volk jenseits des Staates“.[2] Im Gegensatz zu der Annahme, dass staatliche Gewalt in ethnisch heterogenen Gesellschaften zwangsläufig sezessionistische und nationalistische Bestrebungen verstärkt, zeigt die Anthropologin Özlem Goner, wie die koloniale Gewalt in Kurdistan eine Positionierung hervorgebracht hat, die Mobilisierung nicht nur als Widerstand gegen staatliche Gewalt begreift, sondern auch eine staatsskeptische Grundhaltung beinhaltet.[3] Den Schritt der Entwaffnung und Auflösung daher als ein Zeichen des Rückzugs oder der Kapitulation gegenüber dem türkischen Staat zu deuten, greift zu kurz. Vielmehr spiegelt er den Anspruch wider, inmitten eines regionalen Kriegsgefüges strategisch neue Handlungsräume zu eröffnen und zugleich die eigene normative Haltung sichtbar zu machen.
Dass auf der anderen Seite dieser Friedensprozess für die türkische Regierung nicht viel mit Werten zu tun hat, zeigt sich vor allem darin, dass er vom Konzept der Demokratie entkoppelt wird. Nach Jahrzehnten systematischer und gewaltsamer Statthalterpolitik – sprich: der Absetzung demokratisch gewählter Bürgermeister:innen in kurdischen Städten – werden die an Kurd:innen erprobten Verfahren der Autokratisierung nun auch auf Istanbul und die oppositionelle Partei CHP angewendet. Zudem werden kurdische Politiker:innen, die seit 2016 in politischer Haft sitzen, trotz zahlreicher Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht entlassen. Ungeachtet dieser antidemokratischen Rahmenbedingungen soll nun der Frieden kommen. Motiviert durch existenzielle Ängste und Sorgen um den innenpolitischen Machterhalt sowie durch außenpolitische Hegemonialkämpfe im Zuge einer sich neu ordnenden Region, hat sich der türkische Staat an den Verhandlungstisch begeben. Die kurdische Seite nutzt diese Gelegenheit nun strategisch.
Neue Kolonialität und Antidemokratie
Wie prekär die Voraussetzungen für einen nachhaltigen und würdevollen Frieden in der Türkei sind, zeigte sich exemplarisch in der fünften Sitzung der parlamentarischen „Kommission für nationale Solidarität, Geschwisterlichkeit und Demokratie“ am 20. August. Als Nezahat Teke von der Friedensmütter-Bewegung dort ihre Rede auf Kurdisch beginnen wollte, wurde sie vom Parlamentspräsidenten Numan Kurtulmuş unterbrochen und aufgefordert, auf Türkisch fortzufahren. Im offiziellen Protokoll der Sitzung findet sich wiederholt der Hinweis „An dieser Stelle wurde ein nichttürkisches Wort verwendet“. Mehrfach boten Abgeordnete der DEM-Partei und der CHP an, zu übersetzen, doch die Interventionen blieben erfolglos. Teke wurde gezwungen, ihre Rede auf Türkisch zu halten, wenngleich sie darauf hinwies, dass sie ihre Gefühle und Erinnerungen auf Kurdisch weit präziser hätte formulieren können. Am Ende ihrer Rede sagte sie, dass die größte Ungerechtigkeit ihr selbst widerfahren sei. Dass Kurtulmuş ihr anschließend zu ihrem „hervorragenden Türkisch“ gratulierte, machte deutlich, dass selbst in einem Gremium, das eigens im Rahmen des Friedensprozesses gegründet wurde und offiziell der Anerkennung kurdischer Rechte gewidmet ist, türkische Regierungsvertreter an ihrem Assimilationsgrundsatz festhalten. Dabei bildet die staatliche Nichtanerkennung des Rechts der kurdischen Bevölkerung auf ihre Muttersprache den Kern der hundertjährigen „Kurdischen Frage“.
Ein weiteres Beispiel für die Diskrepanz zwischen offizieller Friedensrhetorik und faktischer Kriegslogik lieferte der türkische Außenminister Hakan Fidan am 22. Juli, als er kurdischen Vertretern in Syrien, die dort mit der HTS-Übergangsregierung über die Möglichkeit einer politischen Einigung verhandeln, drohte: „Wir warnen: Keine Gruppe soll Schritte zur Teilung unternehmen. […] Sollten Sie auf Spaltung und Destabilisierung hinarbeiten, betrachten wir dies als direkte Bedrohung unserer nationalen Sicherheit und werden eingreifen.“ Während die arabische Seite auf die Integration der kurdischen Einheiten in eine nationale Armee und arabische Nation unter Führung von Ahmed al-Scharaa hinarbeitet und die kurdische Seite ihre seit zwölf Jahren aufgebauten demokratisch-konföderalen Strukturen zumindest in Form einer multiethnischen Autonomie bewahren will[4], markieren die Worte Fidans die Kontinuität eines türkischen Selbstverständnisses, das jede Form kurdischer Selbstverwaltung innerhalb und jenseits der eigenen Grenzen als existenzielle Gefahr deutet und militärische Interventionen zu ihrer Beseitigung als legitimes Mittel begreift.
Diese Szenen verweisen exemplarisch auf das, was der Historiker Hamit Bozarslan für die Türkei, Russland und den Iran als „Antidemokratie“ bezeichnet. Gemeint ist ein Herrschaftstypus, der sich nationalistisch, antiuniversalistisch und maskulin inszeniert und Innen- wie Außenpolitik als ein in sich geschlossenes Kriegsfeld versteht.[5] In der Türkei kommt dieser in Militarisierung, der Aushebelung des Rechtsstaats und einer sich ständig erneuernden kolonialen Ordnung zum Ausdruck. Mit jeder Krise wird dieser Modus reproduziert, um die Macht der seit 2015 eigentlich abgewählten AKP-Regierung zu sichern.
Das Friedensverständnis der Regierung bleibt so von Beginn an in einem „Terror-Narrativ“ verhaftet – so sehr, dass regierungsnahe Medien und der Präsident die Annäherung bis heute nicht als Friedensprozesses bezeichnen, sondern explizit von „Terörsüz Türkiye Süreci“, dem „Prozess der terrorfreien Türkei“, sprechen. Das Friedensversprechen des türkischen Staates zielt daher auf die „Integration“ der Kurd:innen in bestehende nationale Konstrukte, ohne dass ihre Rechte auf Selbstbestimmung anerkannt oder die staatliche Unterdrückungsgeschichte aufgearbeitet würden – ob in Syrien oder der Türkei. Ohne eine grundlegende demokratische Transformation der Institutionen und politischen Grammatik wird Frieden aber eine neue Form der Kolonialität bedeuten, in der kurdische Subjekte zwar sichtbar sind, aber nicht als gleichwertige politische Akteure anerkannt werden.
Die AKP regiert seit 2015 im permanenten Krisenmodus, wobei jede Wahl für Präsident Recep Tayyip Erdoğan zur existenziellen Überlebensfrage wird. Die kurdische Frage bildet dabei das zentrale Scharnier, um sowohl nach innen Loyalitäten und Mehrheiten zu mobilisieren – mal durch Koalitionen mit rechtsradikalen Parteien, mal durch die Annäherung an die kurdische Wählerschaft –, als auch, um nach außen geopolitische Einflussräume zu sichern. Innenpolitisch steht Erdoğan aktuell wieder vor der Herausforderung, seine Macht zu verteidigen – gegen die wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung, die trotz Repression erstarkende Oppositionspartei CHP unter Özgür Özel und ökonomische Krisen. Außenpolitisch setzt die Türkei auf militärische und ideologische Verbrüderung mit den neuen Machthabern in Syrien, die einerseits mit Sicherheitsargumenten legitimiert wird, andererseits als Möglichkeit dient, eigene ökonomische und geopolitischen Interessen zu verfolgen.
Machterhalt nach innen und außen
Innerhalb des türkischen Staates existieren dabei konkurrierende Strömungen. Während einige im Friedensprozess eine Chance sehen, neue territoriale Zerwürfnisse zu verhindern, und einen historischen türkisch-kurdischen Schicksalsbund über eine gemeinsame muslimische Identität konstruieren, arbeiten andere zusammen mit der einflussreichen Militärlobby an der Aufrechterhaltung regionaler Konflikte. Die Rüstungsindustrie ist in den vergangenen Jahren zur wichtigsten Wachstumsbranche der Türkei geworden und Krieg damit zum Kapitalprojekt der türkischen Regierung. Weltweite Militarisierung, Aufrüstung, die Errichtung von militärischen Basen der Türkei in Syrien und Irak und die Möglichkeit, eine neue Armee auszustatten, die sich grade in Syrien unter al-Scharaa formiert, sichern dabei sowohl geopolitische Spielräume als auch ökonomische Profite. Eine autonome kurdische Selbstverwaltung in Nordsyrien-Rojava würde genau dieses Einflussgebiet der Türkei in Syrien schmälern.
Die der Entwaffnung vorausgegangene Erklärung zur PKK-Auflösung vom 12. Mai dieses Jahres, in der der Schritt als historische Weichenstellung gedeutet wurde, erinnert an eine Pressekonferenz vom März 1993. Damals verkündete Öcalan erstmals in Anwesenheit kurdischer, türkischer und internationaler Politiker:innen und Journalist:innen einen einseitigen Waffenstillstand, und zwar mit dem Zusatz, dass die kurdische Freiheitsbewegung nun keine separatistischen Ziele mehr verfolge. In einem symbolischen Akt trat er damals in Zivilkleidung und mit Krawatte vor die Kameras und betonte, dass dies nicht als einfaches taktisches Vorgehen aufgefasst werden solle. Die historischen, politischen und wirtschaftlichen Beziehungen der Völker seien nicht durch ethnische, territoriale und nationale Konstrukte zu trennen. Das Ziel des kurdischen Freiheitskampfes sei es, die geschlechtlichen und gesellschaftlichen Macht- und Hierarchiestrukturen zu demaskieren und neue Beziehungen zu schaffen.
Die ideologische Neuausrichtung
Während andere antikoloniale Bewegungen den Zerfall der Sowjetunion als Chance sahen, um neue Nationalstaaten zu errichten, fand in der kurdischen Freiheitsbewegung eine ideologische Transformation statt. Freiheit wurde nicht über neue Grenzziehungen definiert, sondern über die Notwendigkeit, demokratische Gesellschaften aufzubauen.
Heute ist in der Bewegungsforschung unumstritten, dass diese ideologische Neuausrichtung der 1990er Jahre auch andere Widerstandsbewegungen in der Region inspiriert hat. Sie bildete den Ursprung der „Jin, Jiyan, Azadi“-Bewegung und die Bedingung dafür, dass aus einer militanten Organisation eine transnationale, soziale und feministische Bewegung entstanden ist. Dieser Wandel hin zu einem multidirektionalen Widerstandsverständnis hat es marginalisierten Bevölkerungsgruppen wie beispielsweise Kurd:innen und Jesiden, aber auch Frauen erst ermöglicht, trotz wiederkehrender und von mehreren Staaten – der Türkei, Syrien, Irak und Iran – ausgeübter Gewalt politisch und gesellschaftlich zu überleben.
Der bewaffnete Kampf habe seine historische Mission erfüllt, da die kurdische Identität nun nicht mehr geleugnet werden könne und die kurdische Bewegung eine neue historische Verantwortung übernehme, erklärte Öcalan im Mai 2025. Der mittlerweile verstorbene DEM-Abgeordnete Sırrı Süreyya Önder, der die Erklärung des PKK-Anführers verlas, fügte hinzu, dass nun der türkische Staat in der Verantwortung stehe, die demokratischen und juristischen Rahmenbedingungen für einen gerechten Frieden herzustellen. Die Beschleunigung des Friedensprozesses in der Türkei im Gefolge der Neuordnung Syriens und die parallelen Verhandlungen in Syrien zeigen, dass die Kurd:innen heute als selbstbewusste politische Akteure auftreten.
Dagegen setzt die Türkei einerseits weiterhin, nach außen wie nach innen, auf militärische Drohungen und Assimilierung. Die türkische Regierung ist nicht bereit, ihre koloniale Praxis aufzugeben, die systematisch das Recht auf politische Selbstbestimmung und die Entwicklung einer kurdischen Subjektivität leugnet und beides über Grenzen hinweg zu unterbinden versucht. Andererseits aber kann Ankara die etablierte Stellung der kurdischen Akteure in der Region nicht länger ignorieren und musste schließlich doch den Weg des Dialogs einschlagen. Auch in Deutschland, wo die Wahrnehmung der kurdischen Frage historisch von türkischen Deutungsmustern bestimmt ist, sollten kurdische Akteure endlich als eigenständige politische Subjekte anerkannt werden, anstatt sie ausschließlich durch den Spiegel der Türkei zu betrachten.
[1] Vgl. etwa Dirik, Dilar, Stateless Citizenship: „Radical Democracy as Consciousness-Raising“ in the Rojava Revolution., in: „Identities“, 1/2022, S. 1-18; Francis O’Connor, Understanding Insurgency: Popular Support for the PKK in Turkey, Cambridge und New York 2021.
[2] Jongerden Joost und Ahmet Hamdi Akkaya, A People beyond the State: Kurdish Movements and Self-Determination in the Twentieth and Twenty-First Centuries., in: Hamit Bozarslan, Cengiz Gunes, and Veli Yadirgi, The Cambridge History of the Kurds, Cambridge 2021, S. 805-828.
[3] Özlem Goner, Turkish National Identity and Its Outsiders: Memories of State Violence in Dersim, London 2018.
[4] Vgl. Rosa Burç, Bastion der Frauen: Rojavas Kampf ums Überleben, in: „Blätter“, 2/2025, S. 99-103.
[5] Hamit Bozarslan, L’anti-démocratie au XXIe siècle. Iran, Russie, Turquie, Paris 2021.