Ausgabe Oktober 2025

Israel in der dekolonialen Matrix

Über die seltsame Nähe zwischen Linken und Islamisten

Am 8. Oktober 2023 marschierte die Demo »All Out for Palestine« durch die Straßen von Manhattan. Demonstrierende hielten auch Schilder mit der Aufschrift »Long Live The Intifada« in die Höhe (IMAGO / ZUMA Press Wire)

Bild: Am 8. Oktober 2023 marschierte die Demo »All Out for Palestine« durch die Straßen von Manhattan. Demonstrierende hielten auch Schilder mit der Aufschrift »Long Live The Intifada« in die Höhe (IMAGO / ZUMA Press Wire)

Manchmal kommt es auf der Weltbühne zu Ereignissen, die unmittelbar einen grundlegenden Bruch markieren. Der 7. Oktober 2023 war ein solches Ereignis. Die Hamas, jene Organisation, die 2007 gewaltsam (durch Tötung von Anhängern ihrer Gegenpartei, der Fatah) die Macht im Gazastreifen übernommen hatte und von den Vereinigten Staaten wie der Europäischen Union als terroristisch eingestuft worden ist, verübte Verbrechen gegen die Menschlichkeit, indem sie fast 1200 Israelis ermordete, überwiegend Zivilisten. Selbst diejenigen, die sich in trostloser Weise an die menschliche Barbarei gewöhnt haben, erschauderten angesichts der gezielten Grausamkeit dieser Massaker: Kinder und Babys wurden aus nächster Nähe getötet, es kam zu sexueller Gewalt und Misshandlungen von seltenem Ausmaß, ganze Familien wurden verbrannt und Leichen öffentlich inmitten tanzender und singender Menschenmengen zur Schau gestellt – das alles unter großem Jubel gefilmt und über soziale Netzwerke in der ganzen Welt verbreitet. Schockierender noch als dieses „festliche“ Regime des Verbrechens gegen die Menschlichkeit waren die Reaktionen einer erstaunlichen Zahl progressiver Beobachter, die in den fröhlichen Chor der Menschenansammlungen aus Gaza einstimmten.

Soweit ich mich erinnern kann, hat kein anderes Massaker – ob im Südsudan oder im Kongo, in Äthiopien, Sri Lanka, Syrien oder der Ukraine – im Westen und in islamischen Ländern so viele Menschen glücklich gemacht.

»Blätter«-Ausgabe 10/2025

Sie haben etwa 5% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 95% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (5.00€)
Digitalausgabe kaufen (12.00€)
Druckausgabe kaufen (12.00€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Oktober 2025

In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Gaza und die Ära der Straflosigkeit

von Seyla Benhabib

Künftige Historikerinnen und Historiker, die auf den Israel-Gaza-Konflikt zurückblicken, werden möglicherweise erkennen, dass dieser Konflikt an der Schnittstelle dreier Entwicklungen steht, die gemeinsam das Koordinatensystem der nach dem Zweiten Weltkrieg gegründeten internationalen Institutionen völlig verschoben und eine neue Ära eingeläutet haben.

Eine mörderische Sackgasse

von Wolfgang Kraushaar

Wer seit dem 7. Oktober 2023 von Deutschland aus die Nachrichten zum Nahen Osten fortlaufend verfolgt, der steht vor einem quälenden Problem. Die Tag für Tag eintreffenden Informationen, Bilder und Videosequenzen sind so unerträglich geworden, dass man nahezu unausweichlich in eine moralische Zwangslage zu geraten droht.

Krieg gegen Gaza: Israels innere Spaltung

von Ignaz Szlacheta

„Schalom, auf Wiedersehen Gaza, wir trennen uns. Ich werde am Strand sitzen und die Uniform vergessen.“ Diese Zeilen sang Yishai Levi während eines Auftritts in einer bekannten israelischen Politiksendung im Jahr 1993.