Erste Analysen deuten den politischen Erdrutsch vom 27. September als Paradebeispiel einer Persönlichkeitswahl im amerikanischen Stil: Junger, dynamischer Herausforderer schlägt alten, müde gewordenen Amtsinhaber; eine ausgeklügelte und effiziente Kommunikations- und Medienstrategie der SPD trägt einen strahlenden Sieg über halbherzige und eher altbackene Ansätze herkömmlicher politischer Werbung der Union davon. Diese Deutungsversuche erscheinen auf den ersten Blick plausibel. Gerhard Schröder lag während des gesamten Wahlkampfes in allen Popularitätstests weit vor dem Bundeskanzler. Und die SPD eroberte mit ihrer "Kampa" in der Öffentlichkeit früh und zielstrebig die Lufthoheit gegenüber den Parteien des Regierungslagers. Sie konnte alle Versuche der Union und der Liberalen abwehren, einen Stimmungsumschwung in der Wählerschaft herbeizuführen. Als wahlsoziologische Erklärung und politische Bewertung des Wahlausgangs ist die These vom professionell inszenierten Persönlichkeitswahlkampf jedoch nicht überzeugend. Sie haftet zu sehr an kurzfristigen Stimmungen und Kandidatenimages, und sie neigt deshalb dazu, langfristige Grundströmungen und strukturelle Konfliktlagen in der Wählerschaft zu unterschätzen und auszublenden.
In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.