Ausgabe Januar 2000

Blutkörperchen. Oder: Was es heißt, ein nützlicher Mensch zu sein

Man erlebt derzeit das seltsame, wenn auch nicht erstmalige Schauspiel einer Gesellschaft, die ihren Abgesang als literarisches Ereignis feiert. Die Rede ist von den „Elementarteilchen“, Michel Houellebecqs „visionärem Gesellschaftsroman“ über „das Ende der alten Ordnung“ (Houellebecq 1999). Erzählt wird von eindimensionalen Menschen ohne soziale Bindung und ohne persönliche Identität, tristen Existenzen, mit ihrer Umwelt höchstens über Obsessionen verbunden. Die Theorie des modernen Subjekts sagt uns, daß das nicht gut gehen kann – solche Lebensläufe enden im Bankrott, physisch oder psychisch: Die „brüderlichen Helden ... sind zwischen Liebesunfähigkeit, Sex-Sucht und hoffnungsloser Einsamkeit hin- und hergerissen; sie enden in Wahnsinn und Selbstmord“ („Der Spiegel“).

Von der Theorie moderner Systeme (Luhmann 1984) können wir lernen, daß auch Gesellschaften an solchen Figuren scheitern, weil sie ihnen auf Dauer nicht entziehen können, was für ihre Fortexistenz unabdingbar ist: menschliche Energie, „mehr Leben als eine alte Plastiktüte“ (FAZ). Energie bedarf eines Zentrums, dessen Platz aber ist leer – das „Leben ermüdet und langweilt“ (Houellebecq). Doch noch ist es nicht so weit. Systeme „laufen“, daher können Subjekte „leben“, meistens jedenfalls. Houellebecqs „Elementarteilchen“ sind Kunstfiguren, negative Utopien, deren Gegenwelt die positive, genauer: positivistische Utopie des realen Systems liefert.

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