Ausgabe Dezember 2005

Reaktionäres Lehrstück

Es gibt grundsätzlich zwei Weisen, mit denen sich das Kino der Realität nähern kann und die ihre je immanenten Regeln haben: Zum einen kann es in die Wirklichkeit eindringen, ihr Inneres mit dem Zweck bloßlegen, die Folgen einer (fehlgeleiteten) Entwicklung deutlich werden zu lassen. Zu diesem Zweck ist es nötig, diese Realität zur Richtschnur der Darstellung zu nehmen; die erzählte Geschichte muss in einer bestimmten Weise „wahr“ sein. Die andere Möglichkeit könnte man mit dem Begriff „Allegorie“ charakterisieren; hier tritt die bewusste Konstruktion an die Stelle des Vorfindbaren. Die erzählte Geschichte soll als ein Lehrstück dienen, etwas beweisen, ein höheres Wissen um die Gesetze des menschlichen Daseins vermitteln.

Natürlich gibt es die verschiedensten Ausprägungen dieser künstlerischen Alternativen, auch solche, die sich einander annähern. Im Falle von Lars von Triers beiden ersten Filmen seiner Amerika-Trilogie, Dogville von 2003 und dem gerade erschienenen Manderlay, kann es dagegen keinen Zweifel geben: Es sind Lehrfilme der reinsten Art. In ihnen wird die Handlung auf einer im Studio aufgebauten Spielfläche „aufgeführt“, auf der die Orte (Zimmer, Höfe etc.) nur durch Kulissenfragmente und Grundrisse auf dem Bühnenboden angedeutet sind. Nicht vorhandene Türen werden gestisch geöffnet und geschlossen, der Soundtrack liefert das Geräusch dazu.

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In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

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