Europa vor der amerikanischen Situation
1. Freedom and Democracy
„Zerfällt Europa in das ,Abendland' und in den ,Sozialismus', so zerfällt es in sich selbst", schrieb Walter Dirks im Juni 1946: „Oder aber die nackte leere Zukunft wird den Reichtum des Gewordenen in einem Geisteskrieg, der ein Klassenkrieg sein wird, überwältigen." Allerdings hatte Stalin in der europäischen Schlüsselfrage der Neuordnung Deutschlands bereits ein Jahr zuvor anders disponiert. In einem von Wilhelm Pieck verfaßten Protokoll der Beschlüsse Stalins, Molotows und Shdanows unter Anwesenheit von Pieck, Ulbricht und Ackermann über die Kaderpolitik der KPD im besiegten Deutschland fällt am 4. Juni 1945 der entscheidende Satz: „Es wird zwei Deutschlands geben."
Vierzig Jahre lang hat der Kalte Krieg den „Möglichkeitssinn" (Musil) für eine europäische Entwicklung beschnitten und zerspalten. Gerade darum lohnt es sich heute, auf Vorstellungen zurückzublicken, wie sie der Widerstand gegen das nationalsozialistische Europa entwickelt hatte. Die europäischen Untergrundbewegungen, schrieb Hannah Arendt 1945, „waren das unmittelbare Produkt des Zusammenbruchs erstens des durch Quislingregierungen ersetzten Nationalstaates und zweitens des Nationalismus als der entscheidenden Triebkraft der Nationen".