Ausgabe Mai 2005

Die Antigonen des AA

Als vor zweieinhalb Jahrtausenden die Antigone des Sophokles uraufgeführt wurde, stand die Hauptgestalt nur in einfacher Ausfertigung auf der Bühne. Das moderne Regietheater hat es inzwischen mit sich gebracht, dass die Jungfrau von Orleans, Faust, Gretchen doppelt, fünffach oder zehnfach auf die Bühne geworfen werden. Aber gleich 100 Antigonen auf einen Schlag, dies kann nur in der Gegenwart, auf der großen Bühne der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ) geschehen. Über 100 Diplomaten schalteten dort eine Anzeige zum ehrenden Gedenken an einen verstorbenen Kollegen, dem das Auswärtige Amt dies versagt hatte.

Sie taten dies in Erinnerung an die Antigone des Sophokles. So schrieb es Frank Elbe, der deutsche Botschafter in der Schweiz, in einem Brief an Bundesaußenminister Joseph Fischer. "Der Protest Elbes und – nach Berichten – einer Vielzahl aktiver Diplomaten ist ohne Beispiel", freute sich die "Zeitung für Deutschland" und druckte den Brief.1

Der Botschafter hielt seinem Minister vor, was einst mit Kreon geschah: "Er scheitert an seiner menschlichen Überheblichkeit und Verblendung in der Machtauseinandersetzung mit Antigone." Und die FAZ kommentierte tags darauf: "Der Stil, in dem der gestern in dieser Zeitung gedruckte Protestbrief des Botschafters Elbe gehalten ist, nötigt Bewunderung ab: Der von ihm zitierten Antigone gleich wahrt der Autor die Fassung, um Fassungslosigkeit zu bekunden.

Sie haben etwa 13% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 87% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

Zur Ausgabe Probeabo