Ausgabe November 2016

Die Politik des Ressentiments

Hass, Wut und Ressentiment, lange nicht wahrgenommen, aufgestaut oder schamhaft versteckt, bespielen die europäische Bühne. Kaum ein Land, in dem kein erbitterter Kulturkampf angezettelt werden soll – für das Abendland und gegen den Islam. Auch in Deutschland, lange Zeit vermeintliche Insel der Seligen, hat ein solcher Zeitgeist inzwischen massiv Einzug gehalten. Pegida fasst die diffuse, hoch widersprüchliche Affektlage in einem abstrusen Namenskürzel zusammen. Und die AfD, eine Ressentimentpartei sui generis, stürmt in die Parlamente – im Osten schon fast in Volksparteistärke, wie die Landtagswahlen dieses Jahres beweisen.

Wie aber erklärt es sich, dass der Kampf gegen den Islam, des vom Ressentiment gegenwärtig bevorzugten Hauptfeindes, dort mit der größten Emphase geführt wird, wo dieser kaum vorkommt – nämlich in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Umgebung? Woher kommt diese Unangemessenheit, diese Diskrepanz von emotionalem Affekt und seinem faktischen Gegenstand? Offenbar gilt für das Ressentiment: Wo sein Feind am fernsten und der Anlass am abwegigsten, da ist es am größten. Schon Nietzsche erkannte, dass der Mensch des Ressentiments eigentlich nicht auf Eindrücke reagiert, die er unmittelbar empfängt, sondern in seiner Vehemenz seltsam abwesend wirkt – wie von einem anderen Ort, einer anderen Zeit her bestimmt.

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