Venezuela hat einen blutigen Sommer hinter sich: Seit April demonstriert die Opposition gegen die Regierung, der sie Misswirtschaft und Korruption vorwirft. Mehr als 130 Menschen starben bei den Protesten, rund 3500 Menschen wurden verletzt und mehr als 1000 inhaftiert. Aus Sicht vieler Beobachter scheint die Lage klar: Präsident Nicolás Maduro schwingt sich zum Diktator auf, die venezolanische Demokratie ist am Ende. In der Tat steht die Anfang August auf Maduros Initiative hin einberufene verfassungsgebende Versammlung über allen anderen Regierungseinrichtungen – über der Nationalversammlung, den Ministerien und Behörden, aber auch über dem Präsidenten. Sie besetzte das Gebäude des von der Opposition kontrollierten Parlaments und verwehrte deren Abgeordneten den Zugang.
Die Realität ist jedoch weitaus komplexer. Zwar zeigt die jüngste Entwicklung, dass sich im Regierungslager endgültig jene Fraktion durchgesetzt hat, die ihre Macht um jeden Preis bewahren will. Allerdings kämpft in Venezuela längst nicht mehr eine revolutionäre Regierung des Volkes gegen die Oligarchie, sondern vielmehr eine neue herrschende Klasse gegen die alte. Wer sich zwischen diesen verhärteten Fronten bewegt, stößt daher kaum noch auf Gehör.
Die Ursachen der aktuellen politischen Krise reichen weit zurück.