Ausgabe Juli 2022

Bellizismus oder Selbstbehauptung: Was heißt heute abwehrbereit?

IMAGO/Christian Ohde

Bild: IMAGO/Christian Ohde

Die deutsche Debatte in Politik und Öffentlichkeit folgt einem Pawlowschen Reflex: Kaum ist von Waffenlieferungen an die überfallene Ukraine die Rede, kaum präsentiert der Kanzler die Wehr-Bazooka in Höhe von 100 Mrd.-„Sondervermögen“ für die Bundeswehr, kaum wird das Zwei-Prozent-Stichwort mit Blick auf das Niveau des Verteidigungsetats in den Mund genommen, beklagt ein vielstimmiger Chor die „Militarisierung“ der Politik, den „Bellizismus“ des Regierungskurses oder beschwört das Gespenst einer „Aufrüstungsspirale“. Dabei dürfte inzwischen allen Beteiligten klar geworden sein, dass der russische Angriffskrieg auf die Ukraine eine „Zeitenwende“ markiert, hinter die es so leicht kein Zurück geben wird. Zumal die Gegenseite in ihren ultimativen Maximalforderungen keinen Zweifel daran gelassen hat, dass es ihr um sehr viel mehr geht als um die Sicherung der geopolitischen Beute auf dem ukrainischen Territorium.[1]

Zum Auslösen der russischen Aggression haben verschiedene Faktoren beigetragen, im Kern aber ging und geht es um den imperialen Traum vergangener Größe – nach dem Motto, wann wird es endlich wieder so, wie es niemals war. Die Methoden und Manöver, mit denen man diesem Treiben ein Ende oder zumindest Grenzen setzen kann, werden unterschiedlicher Natur sein.

Juli 2022

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In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

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