Wider den falschen Realismus der Machtpolitik

Bild: Der ukrainische Botschafter bei den Vereinten Nationen hält das Handbuch der Charta der Vereinten Nationen während seiner Rede hoch, 2.3.2022 (IMAGO / UPI Photo)
Am Anfang stand der 11. September 2001. Danach wurde die Lawine losgetreten: Ein langsamer, aber unaufhaltsamer Erdrutsch erfasste die internationale rechtliche und politische Ordnung. Ein Erdrutsch, der nach und nach die supranationalen Institutionen, die Garantiestrukturen, die gemeinsamen Kodizes und die stets fragile, aber nie völlig illusorische Utopie einer friedlichen und auf dem Recht basierenden Weltordnung tief erschüttert hat. Mit der Reaktion auf die Anschläge von 2001 wurden bestimmte Dynamiken sichtbar, die in den folgenden Jahrzehnten zyklisch wiederkehren sollten: insbesondere die Tendenz, einen terroristischen Akt als kriegerischen Akt zu qualifizieren und darauf mit kriegerischen Mitteln zu reagieren, die einem Krieg zwischen Staaten eigen sind. Aus dieser semantischen und juristischen Fehlentwicklung hat sich eine ganze Reihe von „präventiven“, „defensiven“, „antiterroristischen“ Kriegen entwickelt, die in Wirklichkeit verdeckte Angriffskriege sind. Daraus leiten sich fast zwangsläufig Formen echter juristischer Barbarei ab: von den unbefristeten Inhaftierungen ohne jegliche Rechtsgarantie in Guantánamo und den Geheimgefängnissen der CIA bis zu den Folterungen in Abu Ghraib.
Diese Ereignisse verweisen auch auf eine weitere grundlegende Dynamik: Es ist nicht möglich, eine vollständig demokratische Ordnung innerhalb eines Landes zu haben und gleichzeitig systematisch gegen das Völkerrecht zu verstoßen.