Ausgabe September 2015

Wider die Instrumentalisierung der Geschichte

Die neue deutsche Erinnerungspolitik seit 1990

Mit großer medialer Resonanz wurden die Gedenkveranstaltungen zum 70. Jahrestag des Kriegsendes begangen. Sie stehen für einen tiefen Einschnitt in der deutschen Erinnerungskultur: Das Ende der Zeitzeugenschaft rückt immer näher. Eines „natürlichen Todes“ wird die Erinnerung an die nationalsozialistische Terrorherrschaft aber kaum sterben, vielmehr gibt es einen immer freimütiger geäußerten Aufarbeitungsstolz. Doch Aufarbeitung ist alles andere als ein Selbstzweck, spätestens seit Helmut Kohl kann man von einer innen- und außenpolitischen Indienstnahme der Vergangenheit für die Gegenwart sprechen. Heute hat die Instrumentalisierung der Geschichte für aktuelle tagespolitische Zwecke ein alles bestimmendes Ausmaß angenommen, das wie das religiöse Diktat der Kirchen tabuisierend, dogmatisch und einschüchternd wirkt und jeglichen freien politischen Diskurs abzuwürgen droht. Ob man etwa für oder gegen einen härteren Kurs gegen Russland ist, hängt, so wird von beiden Seiten suggeriert, von den richtigen „Lehren der Geschichte“ ab, die natürlich alle Akteure für sich selbst reklamieren.

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